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Gesellschaft

Datteltäter Marcel im Interview: „Meine Großeltern dachten früher anders über Muslime“

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Er gehört zu den beliebtesten Protagonisten der „Datteltäter“, besonders markant ist sein Lachen. Als gläubiger Christ hält er seit elf Jahren das Fasten ein. Wir haben Marcel gefragt, worauf er in dieser Zeit verzichtet und wann er vorhat, seine Bar zu schließen und endlich zum Islam zu konvertieren.

Marcel, wo erwischen wir dich gerade?

Ich war gerade in meiner Bar. Wegen der aktuellen Situation mit dem Coronavirus haben wir geschlossen. Doch als Inhaber muss ich natürlich hin und wieder trotzdem hin. Jetzt sitze ich draußen und habe mir bei dem schönen Wetter versehentlich eine Orangen-Limo gegönnt.

Versehentlich?

Als gläubiger Christ faste ich derzeit. Dabei verzichte ich unter anderem auf Limonadengetränke. Das ist mir total entfallen. Ich habe sie ausgetrunken…

Astaghfirullah! Möge Gott gnädig mit dir sein.

…und werde als Ausgleich stattdessen Sonntag keine Limo trinken.

Okay… Nicht viele Christen halten die Fastenzeit ein, jedenfalls hat man diesen Eindruck. Wie kommt das?

Ich für mich schaue in erster Linie auf mich. Aber es liegt sehr wahrscheinlich daran, dass es im Christentum im Gegensatz zum Islam etwa kein Gebot gibt. Ob jemand fastet oder nicht, ist also jedem selbst überlassen.

Wie funktioniert das Fasten?

Die Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch und dauert bis Ostersonntag an, geht also insgesamt über sechseinhalb Wochen. Jeden Sonntag ist Fastenbrechen. Dann sind die Dinge erlaubt, auf die man an den anderen sechs Tagen verzichtet. Bei mir sind das hauptsächlich Süßigkeiten, Zucker, Snacks, Nüsse, also Genussmittel. Meinen Tee trinke ich dann zum Beispiel ungezuckert.

Und was ist mit Fleisch, ist das kein Genussmittel?

Doch schon, aber da ich mich seit einigen Jahren vegetarisch ernähre, fällt es mir nicht schwer darauf zu verzichten. Es taucht also nicht auf meiner „Liste“ auf.

Wie sieht dein Sonntag in der Fastenzeit dann aus, bist du die ganze Zeit zuhause und isst Süßes?

Ganz so schlimm ist es nicht, nein (Lachanfall). Meine Frau und ich versuchen uns immer mit guten Freunden zu verabreden und gemeinsam einen schönen Tag zu erleben, unabhängig davon, ob sie fasten oder nicht. Mir geht es darum, schöne Momente zu teilen. Das geht in der Gemeinschaft besser.

Im Islam ist das Fastengebot strenger, dafür gibt es täglich ein Fastenbrechen. Viele Muslime bemühen sich aber auch, nicht nur auf körperliche Bedürfnisse zu verzichten, sondern auch den Geist zu disziplinieren. Wie ist das bei dir, warum fastest du?

Tatsächlich ist Selbstdisziplin auch bei mir ein großes Thema. Mit dem Fasten versuche ich meine Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Ich faste jetzt schon seit elf Jahren und ich denke, dass der Mensch sich auch im Erwachsenenalter hinterfragen und weiterentwickeln kann. Ich für meinen Teil bin dankbarer geworden, auch durch das Fasten. Dankbarer gegenüber Menschen, gegenüber Gott, gegenüber dem Leben, das ich führen kann. Dass wir jetzt in diesem Jahr vermehrt zuhause sind, hilft natürlich noch mehr, um zu entschleunigen und Dinge anders zu bewerten.

Hast du schon mal Jahre gehabt, wo das nicht so geklappt hat?

Ja. Im vergangenen Jahr war ich voll in die Arbeit vertieft und konnte mich in der Fastenzeit nicht davon freimachen. Es war dann eine Art „Fasten nach Vorschrift“, was ich sehr schade fand. Generell ist jedes Jahr anders, viel kommt auf die persönliche Verfassung an. Jetzt läuft die Bar gut und ich muss mich nicht mehr so sehr darum kümmern und kann mich stattdessen mehr auf die Datteltäter konzentrieren.

Eine gute Überleitung. Du gehörst zu den Gründern der Datteltäter. Es läuft recht gut, oder?

Ja, alhamdulillah! Wir haben über 420.000 Abonnenten auf YouTube und zig Videos, die millionenfach angeklickt wurden. Da wir vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefördert werden, können viele von uns mittlerweile von dem Projekt leben und sind Vollzeitangestellte.

Hättest du das damals gedacht bei der Gründung im Jahr 2015?

Natürlich nicht. Wir haben das eher als Hobby gesehen und wollten gesellschaftskritische Themen aufgreifen. Das ist uns scheinbar von Anfang an gut gelungen. Wir haben viele Preise bekommen, etwa den Grimme Online Award und den Smart Hero Award 2017.

Ihr wurdet auch in das internationale „Creators for Change“-Netzwerk von YouTube berufen, das sich gegen Intoleranz und „Hate Speech“ im Internet einsetzt.

Darauf sind wir ganz besonders stolz. Denn Hate Speech ist etwas, wogegen wir alle tatsächlich vorgehen müssen. Hass ist keine Meinung und das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Leider haben die sozialen Netzwerke und die staatlichen Behörden zu spät damit angefangen, dagegen vorzugehen. Als Datteltäter ist uns sehr daran gelegen, Vorurteile in Frage zu stellen und Brücken zu bauen. Das kommt besonders gut bei der muslimischen Community an, aber auch dort herrschen Vorurteile, worauf wir aufmerksam machen möchten mit unseren Videos.

Wie ist das als einziger Christ mit Younes, Gülcan und Co. zu arbeiten?

Wir haben sehr viel Spaß miteinander, nicht nur vor der Kamera. Wir unternehmen auch privat viel zusammen. Insgesamt habe ich mich in meine Rolle ganz gut eingefunden.

Eine Bar zu betreiben und Alkohol zu verkaufen ist haram, Marcel. Wann konvertierst du endlich?

Hin und wieder werde ich das, auch in den Kommentaren, gefragt (lacht). Die Vielfalt ist doch das, was uns ausmacht und der gegenseitige Respekt. Wir als Datteltäter leben das. Ich hatte immer muslimische Freunde in meinem Umfeld, ich kenne mein Deutschland gar nicht anders. Ich bin froh, dass es so ist und hoffe, dass es auch weiter so bleibt.

Nicht alle sind deiner Meinung, besonders rechte Kreise.

Ja stimmt, unsere Bevölkerung wird ja ausgetauscht (schüttelt den Kopf). Ganz ehrlich, mit diesen Leuten kann man nicht reden. Die haben eine Krankheit, die sie selbst erkennen und heilen müssen. Auch wir als Datteltäter hatten anfangs mit solchen Kommentaren zu kämpfen.

Es gibt einige Videos, in denen du welche vorliest.

Genau, das kam recht gut an. Das hat auch etwas gebracht, diese Kommentare sind weniger geworden. Wir bekommen auch viel positives Feedback, die negativen gehen dann automatisch unter. Kritik lassen wir aber natürlich stehen und setzen uns damit auseinander.

Die Interaktion mit euren Followern ist bemerkenswert. Ist das mit ein Grund für euren Erfolg?

Definitiv. Wir suchen regelmäßig den Austausch und bekommen oft auch gute Ideen für weitere Videos. Aktuell wird es schwer, welche zu drehen, aber wir lassen uns etwas einfallen.

Wie sind die Reaktionen in deinem Umfeld? Denkst du, dass euer YouTube-Kanal etwas bewirkt?

Zu einem überwältigenden Teil sehr positiv. Ich weiß nicht, ob es an uns oder mir liegt, aber bei meinen Großeltern habe ich zum Beispiel eine Veränderung festgestellt. Die sind viel ausgewogener und ausgeglichener geworden. Die haben früher anders gedacht. Was Muslime angeht, legen die jetzt großen Wert auf Differenzierung. Das habe ich in einem Gespräch mitbekommen, was mich sehr bewegt hat.

Das ist schön zu hören. Weiterhin viel Erfolg mit den Datteltätern! Bleib gesund und denk dran, Sonntag auf die Limo zu verzichten! Frohe Ostern!

Danke, danke, euch auch schon mal alles Gute für den Ramadan!

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Marcel Sonneck ist Jahrgang 1990. Er ist in Berlin geboren und lebt weiterhin dort. Er ist verheiratet, betreibt eine Bar und baut als leidenschaftlicher Datteltäter Brücken − und Vorurteile ab.

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