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Politik

Debatte um Syrien-Einmarsch: Erdoğan rührt Kriegstrommel, was machen die Militärs?

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Seit Erdoğans Äußerung, dass die Türkei auf keinen Fall einen kurdischen Staat in ihrem Süden dulden werde, wird in Ankara über einen Einmarsch in Syrien debattiert. Was ist dran an den Spekulationen?

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Es kommt abermals Bewegung in den Kriegsschauplatz in Nordsyrien. Nachdem die PKK-nahe Miliz YPG und verbündete kurdische Einheiten den erneuten Vorstoß des IS gegen die symbolisch und strategisch bedeutende Stadt Kobane zurückgeschlagen und ihr Territorium sogar vergrößert haben, scheint der kurdische Erfolgskurs der türkischen Regierung Kopfzerbrechen zu bereiten. Offenbar befürchten Übergangspremier Ahmet Davutoğlu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, dass es in Rojava, dem kurdisch besiedelten Teil Nordsyriens, schon in naher Zukunft zum Versuch kommen könnte, einen eigenen Staat zu gründen.

Dass die Türkei das nicht dulden werde, hat nun Präsident Erdoğan klargestellt: „Wir werden die Gründung eines Staates im Norden Syriens, im Süden von uns, niemals erlauben. Bei diesem Thema werden wir unseren Kampf um jeden Preis fortsetzen.“

Türkischer Einmarsch in Syrien schon in naher Zukunft?

Wie sich Erdoğan diese Fortsetzung vorstellt, ist derweil zu einem Topthema der öffentlichen Debatte in der Türkei geworden: Laut Informationen der Hürriyet, die in Militärkreisen sehr gut vernetzt ist, plant die Regierung einen Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien. 18.000 Soldaten sollen den Meldungen zufolge auf einer Breite von über 100 km gut 30 km tief nach Syrien einmarschieren und dort einen Korridor unter türkischer Kontrolle etablieren, der als Pufferzone zwischen der Türkei und dem Bürgerkriegsland dienen soll.

Bisher hat Generalstabschef Necdet Özel (Foto, re.) die Initiative jedoch unter Verweis auf politische und völkerrechtliche Bedenken verzögert. Bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates (Millî Güvenlik Kurulu, MGK) unter Leitung von Präsident Erdoğan am Montagabend habe man die Entwicklungen in Syrien und die notwendigen Maßnahmen aufgrund sicherheitsrelevanter Gefahren „im Detail“ diskutiert, wie in einer Erklärung nach Ende der Sitzung bekanntgegeben wurde. Außerdem kam darin die Besorgnis wegen der „Bestrebungen zur Veränderung der demographischen Struktur der Region sowie terroristischer Angriffe auf Zivilisten“ zum Ausdruck. Der erste Punkt spielt dabei auf Gerüchte der letzten Tage an, dass es in den von der PYD besetzten Gebieten ethnische Säuberungen gäbe, die das Ziel hätten, Araber und Turkmenen aus der Region zu vertreiben.

Angesichts der Tatsache, dass zur gleichen Zeit in Ankara die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung laufen und Davutoğlus AKP nach wie vor auf der Suche nach einem Koalitionspartner ist, gehen die meisten Beobachter hingegen davon aus, dass die jetzige kommissarische Regierung gar nicht zu einer umfassenden Operation mit ihren unberechenbaren Konsequenzen in der Lage wäre.

So beschränkte sich Davutoğlu bisher auch darauf, die Sicherheit der türkischen Grenzen und die Entschlossenheit zu deren Erhaltung zu betonen: „Falls der türkischen Grenzsicherheit irgendwelcher Schaden zugefügt werden sollte, falls die Türkei zu dem Schluss kommt, dass dieser Garten des Friedens bedroht wird, dann ist sie für alle Eventualitäten gerüstet. Wir werden die notwendigen Schritte einleiten, um die Risiken in Fragen der Grenzsicherheit zu verringern“, ließ der einstige Vordenker der „Null-Probleme-Politik“ mit den Nachbarn am Sonntagabend verlauten.

Militärs wehren sich gegen Befehle der Regierung

Wie jedoch mehrere türkische Zeitungen berichten, habe Davutoğlu bereits Befehle an den Generalstab gegeben, diese „Schritte“ inklusive eines begrenzten Einmarsches auf syrisches Territorium vorzunehmen. Laut Hürriyet erhielt die Armeeführung die Befehle nach einer langen Sitzung der Regierung mit Präsident Erdoğan, in der es um die Einnahme der Stadt Tal Abyad durch die Kurden vor wenigen Wochen ging.

Derzeit befinde sich die Armee in der Vorbereitungsphase für eine solche Operation, habe die Regierung allerdings gebeten, erst mit den USA, Russland und dem Iran in Kontakt zu treten und eine diplomatische Koordination anzustrengen, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Die politischen Risiken seien einerseits die weitere Isolation der Türkei von den anderen im Konflikt entscheidenden Staaten sowie die unmittelbare militärische Bedrohung, die von einem Engagement im Bürgerkriegsland ausginge. Außerdem müsse man zwangsweise die syrische Regierung vor einem solchen Schritt konsultieren und um ihre Zustimmung fragen, um einen Bruch des Völkerrechts durch die Türkei zu vermeiden.

Trotz Unwahrscheinlichkeit einer Operation deutliche Reaktionen und Drohungen

Es scheint also eher unwahrscheinlich, dass es in naher Zukunft zu einem großangelegten türkischen Einmarsch in Syrien kommt. Dennoch zeichnet sich eine stärkere Beteiligung der Türkei am Geschehen im südlichen Nachbarstaat ab. Quellen der Zeitung Hürriyet zufolge sollen sowohl das Präsidialamt, die Regierung als auch der Nationale Nachrichtendienst MİT mittlerweile von den Streitkräften fordern, die syrische Anti-Assad-Koalition, die auch aus Gruppen wie der islamistischen al-Nusra-Front besteht, materiell, militärisch und logistisch zu unterstützen. Denkbar ist dabei ein Vorgehen wie die Unterstützung der USA für die in Nordsyrien gegen den IS kämpfende PYD, also Waffen- und Munitionslieferungen einerseits, andererseits aber auch Bombardements.

Die Reaktionen auf die Gerüchte fielen trotzdem auf fast allen Seiten ablehnend aus. Die bisherige Oppositions- und vielleicht schon bald Regierungspartei CHP lehnte die Pläne für ein Engagement in Syrien rundweg ab. „Die Türkei sollte niemals Teil eines dreckigen Krieges in Syrien sein“, machte ihr stellvertretender Vorsitzender Gürsel Tekin klar. Der ehemalige Generalstabschef İlker Başbuğ wiederum warf die Frage nach den Folgen einer etwaigen Intervention auf: „Wenn sie den Soldaten sagen ‚Marschiert nach Syrien‘, dann machen sie das. Aber wenn sie gehen, wie kommen sie wieder raus?“

Zu den Folgen, die ein türkischer Einmarsch haben könnte, meldete sich Murat Karayılan aus den Kandil-Bergen noch deutlicher zu Wort: „Wenn sie die Entscheidung zum Angriff auf die Kantone in Rojava treffen, dann ist das kein Angriff auf Rojava, sondern auf das gesamte kurdische Volk. Egal ob Kobane oder Amed [kurdisch für Diyarbakır, Anm. d. Red.]. Das macht keinen Unterschied“, so der Oberkommandeur der HPG, des militärischen Arms der terroristischen PKK, zur kurdischen Nachrichtenagentur Fırat. „Wenn sie Rojava angreifen, werden wir sie angreifen“, erklärte Karayılan. Beistand bekam er von Salih Muslim, dem Co-Vorsitzenden der PYD in Rojava, der heute in einem Interview mit der türkischen Zeitung Milliyet abstritt, dass es in Nordsyrien ethnische Säuberungen gebe. „Wenn die Türkei in Rojava einmarschiert, werden wir ihr genauso Widerstand leisten, wie dem IS“, so Muslim.