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Kolumnen

Die deutsche Angst vor der Volksabstimmung

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Wie es aussieht, könnte die Große Koalition die erforderlichen Weichen stellen, um erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik den Weg zu mehr direkter Demokratie zu ebnen. Die Bedenken aus der Vergangenheit sind jedoch immer noch groß. (Foto: reuters)

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Volksentscheid - reuters
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Man sollte nicht zu früh jubeln, aber vielleicht ist es dem Verein Mehr Demokratie e.V. durch die Übergabe von mehr als 100 000 Unterschriften am Tag der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages tatsächlich gelungen, das Thema „Direkte Demokratie“ auf die Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen zu hieven. Sowohl SPD als auch CSU stehen dem Anliegen offen gegenüber – jedoch geht deren Engagement nicht über die Frage bundesweiter Volksentscheide hinaus – und es wäre doch gerade bei diesem Thema hilfreich, auf allen Ebenen einheitliche Rahmenbedingungen für direkte Demokratie auf Bundes- wie auf Landesebene zu schaffen. Nun wird geprüft, wie eine Umsetzung auf Bundesebene realisiert werden kann. Gerade eine Große Koalition wäre prädestiniert für diesen Schritt, bedarf es doch zuerst einer Grundgesetzänderung und dafür der entsprechenden Mehrheiten im Parlament.

Volksabstimmungen als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie

Vollkommen direktdemokratische Wege wie die Schweiz will man dabei nicht beschreiten. Aber auch die Praxis in einigen Bundesländern hat gezeigt, dass Volksentscheide ein erfolgreiches Mittel sein können, um Bürgermeinung handlungsrelevant zu machen und Akzeptanz für Entscheidungen zu erreichen. Dabei tut man sich in Deutschland nach wie vor schwer, dem Bürger – dem eigentlichen Souverän – zu vertrauen und ihm Demokratie wirklich zuzutrauen. Das hat einerseits historische Gründe, andererseits muten direktdemokratische Prozesse träge an – unterstellend, dass repräsentativ parlamentarische Prozesse effizient wären.

Zum Teil basiert die Ablehnung aber auch auf der Missdeutung einiger Abläufe zum Ende der Weimarer Republik. Klar hat es die jubelnden Massen für Adolf Hitler gegeben und die Nazidiktatur sitzt als Schreckgespenst so manchem in den Knochen, der ein deutsches Wahlvolk vor Augen hat. Aber ein demokratischer Prozess ist das nicht gewesen und schon gar kein direktdemokratischer.

Die Partei Adolf Hitlers hat nämlich nicht so ohne weiteres eine überzeugende Mehrheit erhalten. Im Gegenteil, man fürchtete die Wahlen am 5. März 1933, war doch das Ergebnis der letzten wenig überzeugend und die Machtergreifung des Reichskanzlers vom 30. Januar 1933 nicht gefestigt. Da kam den Nazis der Reichstagsbrand Ende Februar sehr zupass. Der Befehl zur Verhaftung linker Aktivisten, Politiker und Parlamentarier, ausgegeben vom Chef der preußischen politischen Polizei, Rudolf Diels, war bereits einige Stunden älter als der Brand selbst. Die folgende Reichstagsbrandverordnung tat dann ihren Teil dazu. Wie am Schnürchen funktionierte die Maschinerie der Beseitigung des politischen Gegners, so dass die linke Opposition bei der Reichstagswahl am 5. März gänzlich fehlte. Auch ohne diese blieb die absolute Mehrheit für Hitler aus, so dass dieser koalieren musste, bis mit der Schaffung der NSDAP-Einheitsliste die nächsten Wahlen im November 1933 endgültig zur Farce degenerieren konnten.

Deutschland ist heute ausreichend stabil

Nach der Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur und des Krieges war es dem Parlamentarischen Rat, der das heute für das ganze Bundesgebiet gültige Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland formulierte, ein Anliegen, stabile Regierungsverhältnisse einzuführen. Auch die 5-Prozent-Hürde, die verhindern sollte, dass viele kleine Splitterparteien im Bundestag chaotische Verhältnisse wie in der Weimarer Republik  verursachten, wurde aus dieser Erfahrung heraus entwickelt.

Das Zutrauen in den Wahlbürger war jedoch so nachhaltig geschädigt, dass man nicht einmal ein direktes Plebiszit für das Amt des Bundespräsidenten zuließ, obwohl dieses vor allem auf repräsentative Aufgaben ausgerichtet wurde. Das Grundgesetz der BRD wurde durch Änderungen seither zwar vielfach beschädigt und nach der sog. Wiedervereinigung auch nicht zur Abstimmung gestellt, es stellt aber immer noch eines der besten Verfassungen der sich demokratisch nennenden Welt dar.

Jedoch erweist sich die parlamentarische Demokratie mit ihren Vereinheitlichungstendenzen im Parteienspektrum als zu schwach, um die Aufmerksamkeit der Bürger zu binden – Politikverdrossenheit macht sich als Konsequenz davon breit und diese ist systemisch bedingt.

Eine andere Form der politischen Beteiligung wählte die Schweiz, dort spielt die sog. Direkte Demokratie eine herausragende Rolle. Auf kommunaler, auf kantonaler sowie auf Bundesebene werden Jahr für Jahr unzählige Vorlagen zur Abstimmung gestellt. Der Idealtypus, dass es die Aufgabe der Volksvertreter sei, das jeweilige Für und Wider eines Vorschlags darzustellen, so das Volk bei der Meinungsbildung zu unterstützen und es dann frei entscheiden zu lassen, ist auch in der Schweiz bedroht, da auch diese nicht vom Lobbyismus verschont bleibt. Auffällig ist jedoch, dass ein vergleichsweise großes politisches Bewusstsein sowie generelles Verantwortungsbewusstsein bei der Mehrheit der Schweizer schnell in Gesprächen spürbar ist – die ja kontinuierlich zur Entscheidungsfindung vom Straßenausbau bis hin zur Verfassungsänderung aufgefordert sind.

Angst vor der falschen Abstimmung

Als Argument der Ablehnung gegen die direkte Demokratie, gegen Volksentscheide und dergleichen wird in Deutschland gerne angeführt, dass die Beteiligung des Volkes – noch einmal: des eigentlichen Souveräns – den Populismus befördern würde. Das ist möglich, vor allem, wenn man glaubt, dass es in der politischen Auseinandersetzung ein freies Spiel der Meinungen gibt und nicht etwa verzerrte Debatten befördert werden durch Lobbyisten und PR-Gelder, die ja nicht jeder Idee gleichwertig zur Verfügung stehen.

Hier kann Politik korrigieren, wenn sie es will. Das Volk jedoch für zu dumm zu erklären und zu behaupten, die politischen Vertreter seien klüger und könnten kompetenter entscheiden, ist nicht nur arrogant, sondern schlichtweg falsch. Die Tragweite dessen, was es bedeutet, wenn politische Prozesse von der breiten Bevölkerung getragen werden, muss anscheinend erst noch erkannt werden.

Dabei geht es nicht um eine Frage von mehr oder weniger Akzeptanz für Großprojekte wie Stuttgart 21, den Berliner Flughafen Schönefeld oder industriefreundliche Offshore-Windparks. Es geht um eine Auseinandersetzung mit der jeweiligen Sache und eine Mehrheitsentscheidung auf der Ebene der Wahlbürger, vielleicht sogar um Konsens, wenn es gelingt, die eigene Position als konstruktiv für alle zu vermitteln oder die Position anderer als besser anzunehmen. Ob die Mehrheit immer Recht hat, wäre eine andere Frage, aber sie zu ermitteln würde mehr Ressourcen für die Realisierung der Projekte freisetzen – wenn die Auseinandersetzung fair und konstruktiv geführt wird.