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Gesellschaft

‚Den Osten‘ gibt es genauso wenig wie ‚den Islam‘ und ‚die Flüchtlinge‘

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In Sachsen nehmen die Proteste gegen Flüchtlinge zu. Der Osten habe mehr Schwierigkeiten mit der Migration als gedacht, meint nun der Sprecher der Länderinnenminister. Der Osten mag das nicht auf sich sitzen lassen. (Foto: dpa)

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Ein Orteingangsschild der Statdt Heidenau in Sachsen, aufgenommen am 23.08.2015.
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Die Unterstützung vieler Bürger für rechtsradikale Anti-Asyl-Proteste im sächsischen Heidenau hat einen Streit darüber entfacht, ob Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern weiter verbreitet ist als in Westdeutschland.

Anders als die ostdeutschen Ministerpräsidenten sieht der Vorsitzende der Innenminister-Konferenz, Roger Lewentz (SPD), im Osten „eine größere Bereitschaft zu einer fremdenfeindlichen Radikalisierung“ als im Westen. Das zeige auch das vom Bundesrat für das NPD-Verbotsverfahren nachgelieferte Beweismaterial, sagte der rheinland-pfälzische Minister der „Welt“ am Montag. In den am Freitag eingereichten Unterlagen seien 370 Ereignisse aufgelistet, die die NPD beträfen und sich überwiegend im Osten abgespielt hätten.

Linkenfraktionschef Gregor Gysi warnte aber vor pauschalen Urteilen. „Was in Dresden und in der Umgebung passiert, ist ja nicht typisch für Ostdeutschland. Auch dort gibt es klare Mehrheiten gegen den Rechtsextremismus“, sagte Gysi der „Saarbrücker Zeitung“ am Montag. Außerdem sei es beim Rechtsextremismus immer so gewesen: „Die Anführer kamen aus dem Westen, das Fußvolk aus dem Osten.“

„Hotspots der braunen Gewalt in allen Himmelsrichtungen“

Auch die Ost-Ministerpräsidenten hatten am Wochenende davor gewarnt, ihre Länder an den Pranger zu stellen. Man solle sich hüten, „vorschnell von einem ostdeutschen Phänomen zu sprechen“, sagte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) der „Welt am Sonntag“. Sein Thüringer Kollege Bodo Ramelow (Linke) erklärte „Die Hotspots der braunen Gewalt liegen in allen Himmelsrichtungen verteilt.“ Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) sagte dem „Tagesspiegel“: „Die große Mehrheit der Ostdeutschen ist weltoffen und solidarisch.“

Lewentz setzte entgegen: „Im Osten leben deutlich weniger Flüchtlinge und Migranten als im Westen, und doch ist die Aggressivität dort besonders hoch. Das ist bedrückend und befremdlich.“ Zur Erklärung fügte er hinzu: „Der Osten kannte über Jahrzehnte nicht den umfangreichen Zuzug aus anderen Kulturen. Das Zusammenleben mit Menschen mit Migrationshintergründen muss gelernt werden.“

Viele Sozialwissenschaftler und auch Politiker wie Gysi verweisen dabei insbesondere auf den Zusammenhang, dass diffuse Ängste sehr viel leichter geschürt und instrumentalisiert werden können, als konkret überprüfbare. So verfangen Parolen von der „Islamisierung des Abendlandes“ beispielsweise am ehesten an Orten, in denen die Menschen diese nicht mit ihrer Lebensumwelt abgleichen können – schlicht, weil sie kaum oder keinen alltäglichen Kontakt zu Menschen mit einem muslimischen Hintergrund haben und kolportierte Vorurteile nicht an eigenen Erfahrungen messen können.

Gysi: „Abstrakte Ängste treiben die Menschen am meisten“

Gysi sagte dazu im Interview mit einem Online-Musikmagazin: „Abstrakte Ängste treiben die Menschen am meisten. Es ist ja kein Zufall, dass im Bezirk Kreuzberg die Republikaner und andere rechtsextreme Parteien chancenlos waren und in den Bezirken, in denen es kaum Muslime, kaum Ausländerinnen und Ausländer gibt, da waren sie stark. Es sind immer abstrakte Ängste.“ Dies gelte zum Beispiel auch für Pegida in Dresden. Die Menschen miteinander in Kontakt bringen wäre deshalb die beste Möglichkeit, solche Ängste abzubauen beziehungsweise zu verhindern, dass sie geschürt werden können. Außerdem, so Gysi, sei es eine Frage von gesellschaftlichen Abstiegsängsten, die eine Rolle spielten.

Damit spricht er auch die Bedeutung sozioökonomischer Verhältnisse an. Bei vielen Ostdeutschen, gerade in mittlerem Alter und in gewisser ökonomischer Unsicherheit, verfängt Hetze gegen ‚die Ausländer‘, ‚den Islam‘ oder ‚die Flüchtlinge‘ besonders gut, weil die Brüche der Wendejahre, die für allzu viele Menschen auch mit einem sozioökonomischen Abstieg verbunden waren, bei vielen das grundlegende Gefühl hinterlassen haben, zu ‚den Verlierern‘ zu gehören. Diese diffusen Abstiegsängste, gepaart mit einer unverfrorenen Neiddebatte (meist im Duktus von ‚die bekommen mehr zugeschoben als Hartz-IV-Empfänger, ohne etwas dafür zu tun‘) bedient die Hetze gegen ‚die Ausländer‘, die ‚den Deutschen die Arbeit wegnehmen‘.

„Die, die da demonstrieren, sind ja gar nicht die wirklich armen. Sondern das sind Leute, die die Angst haben, arm zu werden. Und diese abstrakte Angst treibt sie und sie denken, wenn es weniger Arme gibt, ist die Gefahr für sie geringer, was wiederum Quatsch ist, weil sie nicht nach oben schauen. Aber die Auseinandersetzung mit einem Herrn Ackermann ist natürlich schwieriger, als die mit einem Asylbewerber“, so der Ost-Berliner Linken-Politiker. (dtj/dpa)