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Politik

Der Arabische Frühling – Phase 2

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Was folgt nach dem Frühling? Suat Kınıkoğlu sagt voraus, dass er die Suche nach der Seele innerhalb der islamischen Welt beschleunigen wird. Die Türkei könnte dabei eine besondere Rolle spielen.

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Der Arabische Frühling - Phase 2
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Von Suat Kınıkoğlu*
Der Arabische Frühling, der große Hoffnungen in den Menschen im Nahen Osten weckte, ist meiner Meinung nach in eine zweite Phase übergegangen.
Die anfängliche Euphorie und die schnelle Beseitigung von Diktatoren wich langen, gewaltsamen und mühevollen Konfrontationen – allen voran in Syrien. Die Konfliktsituationen in Bahrain und im Jemen sind ebenfalls weit von einer Lösung entfernt. Dennoch behaupte ich, dass der Arabische Frühling ein unumkehrbarer historischer Prozess ist, der auch als solcher wahrgenommen werden muss.

Herausforderungen bleiben bestehen

Die Türkei stellte sich durchwegs auf die Seite der gegen ihre autokratischen Regime revoltierenden Völker. Von diesem Standpunkt aus betrachtet hat die Türkei anscheinend eine längerfristige Perspektive auf die Region. Wir glauben, dass die Ereignisse wahrscheinlich nur kurzfristige Instabilität verursachen und letztendlich einer neuen Ordnung den Weg bereiten werden. Daher verfolgt die Türkei den Grundgedanken seiner Nachbarschaftspolitik weiter, die für die Türkei die Reintegration in ihre Rolle innerhalb der Gesamtregion im Blickfeld hat.

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass große Herausforderungen bestehen. Es besteht die Gefahr, dass die Revolutionen, besonders in Syrien, von extremistischen Elementen an sich gerissen werden. Die Türkei ist beunruhigt durch diese Gefahr. Wir wissen, dass, je länger der Konflikt dauert, die Möglichkeit für extremistische Elemente, darin Fuß zu fassen, umso größer wird. Aus diesem Grund haben wir alle ein großes Interesse daran, einen schnellen Übergang in Syrien zu erleichtern.

Die Türkei ist frustriert über die Untätigkeit der USA und der Europäischen Union. Mehr und mehr Menschen beginnen sich mit dem Gedanken abzufinden, dass die USA vermutlich selbst nach den Präsidentschaftswahlen nicht bereit sein werden, viel zu unternehmen. Dabei wäre es eine bedeutende Gelegenheit für unsere Verbündeten, ihre Solidarität mit der Türkei zu zeigen.

Gefahr von Stellvertreterkriegen

Ich sage voraus, dass der Arabische Frühling die Suche nach der Seele innerhalb der islamischen Welt beschleunigen wird. Werte wie Demokratie, Gleichberechtigung der Geschlechter und Menschen- und Minderheitsrechte werden im Zuge der Errichtung von neuen Ordnungen in der Region intensiver diskutiert werden. Wie wir in Syrien seit einiger Zeit beobachten können, besteht die Gefahr, dass essenzielle politische Probleme im Lichte konfessioneller Absichten ausgeschlachtet werden könnten.

Es besteht das Potenzial für mehr Stellvertreterkriege auf der Grundlage politischer und konfessioneller Rivalität. Die Türkei verfolgt keine konfessionell motivierte Außenpolitik und ermahnt ihre Gegenüber, ihr das gleichzutun. Es wird sich zeigen, ob und wie diese Ermahnung umgesetzt werden wird.

Wie schon betont wurde, hat der Arabische Frühling die romantische Sichtweise der Türkei auf die Region zerstört, besonders unter den Konservativen. Heute bemerkte ein scharfsinniger Beobachter der Region, dass dies auch in umgekehrter Richtung stimme. Der Arabische Frühling zerstörte die romantische Sichtweise der Araber auf die Türkei. Die Türkei als Vorbild oder die Türkei als Lösung für viele der Krankheiten der arabischen Welt – dieses Bild ist seit der Syrienkrise angekratzt. Na gut … Ich denke, damit können wir leben.

Untätigkeit der Verbündeten

Dennoch hat die Türkei begonnen, klare Positionen zu vertreten und uns so in die Komplexität der Region eingetaucht. Wir haben uns auf Werte und Prinzipien gestützt, als wir unsere Syrienpolitik konzipierten. Das ist eher neu für uns. Aber wir lernen Werte und Interessen auszubalancieren. Dies ist nicht immer so einfach, wenn man eine politische Strategie entwickelt. Obwohl der Rückhalt in der Öffentlichkeit für unsere Syrienpolitik schwindet, glaube ich dennoch, dass die Regierung mit der jetzigen Position grundsätzlich die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Was jedoch überraschend und frustrierend zugleich war, ist die Position, die unsere Verbündeten bezogen haben. Diese Haltung wird bei der Neukonzeption unserer Beziehungen in der Region nach der Lösung des Syrienkonfliktes von großer Bedeutung sein. Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Freunde und Verbündeten sich der Tiefe der Narben, die gerade aufgerissen werden, bewusst sind.

Der Arabische Frühling ist gerade in der Mitte von Phase 2. Den negativen Auswirkungen auf die Türkei und dem allgemeinen Trübsinn zum Trotz, die den türkischen Diskurs beherrschen, bleibe ich bei der Meinung, dass der Grundgedanke der türkischen Syrienpolitik richtig ist. Bashar al-Assads Tage sind gezählt. Er wird verschwinden müssen und ein neues Syrien wird geschaffen werden. Und mit ihm ein neuer Naher Osten. Wir können nur hoffen, dass dieser Tag mit so wenig menschlichen und materiellen Verlusten wie nur möglich erreicht werden wird. In einigen Jahren wird in Geschichtsbüchern über die momentane Phase stehen, sie sei nur ein kleiner Abschnitt einer historischen Transformation der Region gewesen.
Übersetzt von Caspar Schliephack

*Suat Kınıklıoğlu wurde 1965 in Deutschland geboren, Er ist Mitglied des Zentralkomitees der AKP, ihr stellvertretender außenpolitischer Sprecher, Mitglied im Außenpolitischen Ausschuss des Türkischen Parlaments sowie der Parlamentarischen Versammlung der NATO für die Türkei. Er ist Gründer und Leiter des Zentrums für Strategische Kommunikation, Experte für Außenpolitik und veröffentlichte Kommentare u.a. in der „Zaman“, in der „Washington Post“, im „Wall Street Journal“ oder der „International Herald Tribune“.