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Geschichte

Der ewige Rechtsstreit um das komplizierte Erbe von Abdulhamit II.

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Um die türkisch-amerikanischen Beziehungen ist es derzeit nicht besonders gut bestellt. Zwischen Ankara und Washington gibt es viele Meinungsverschiedenheiten, von unterschiedlichen strategischen Interessen in Syrien und Irak, über die Auslieferung Fethullah Gülens bis hin zu Menschenrechtsfragen. Es gibt jedoch auch einen Streitpunkt, der bis in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückreicht.

Seit mittlerweile sechs Jahren zieht sich ein Rechtsstreit um den Nachlass von Sultan Abdulhamit II. hin. Im Mittelpunkt des Gerichtsprozesses in Istanbul steht die Urenkeltochter des osmanischen Herrschers, Samiye Hatun, die bis zu ihrem Tod im Jahre 1992 in den USA lebte. Verheiratet war sie mit dem Indianer Larry D’Appadoca, dessen Nachnamen sie auch annahm. Laut Klägeranwälten und Erben des Sultans soll Samiye Hatun ihren Ehemann bereits früh verloren und keine Kinder von ihm bekommen haben. Das alles sind jedoch Behauptungen, mit denen das Gericht nicht viel anfangen kann. Für endgültige Antworten wurden Gutachten von Experten aus den USA eingeholt – ohne nennenswertes Ergebnis. Auch blieben Anfragen des Gerichts an US-Behörden unbeantwortet. Da es dem Gericht und auch den Anwälten nicht gelang, mit eigenen Mitteln an Dokumente über die Familienverhältnisse von Samiye Hatun zu gelangen, stockt das Verfahren in Istanbul.

Auch deswegen hat das 12. Istanbuler Friedensgericht kürzlich das Außenministerium in Ankara gebeten, eine diplomatische Note an Washington zu senden.

Der Prozess um das Erbe von Abdulhamit II. begann mit elf Nachkommen, die 2010 eine Klage einreichten. Die Zahl ist mittlerweile auf 300 gestiegen. Ein Teil der Hauptkläger lebt dabei noch nicht einmal in der Türkei: Dündar Abdulkerim Osmanoğlu etwa lebt in Damaskus, Touran İbrahim Rateb in Mexiko, Hatice Ratip Osmanoğlu in Ägypten, Leila Sehnelle in Österreich, Roland Selim Kadir in Australien, Leyla Ethem, Kenan sowie Selma Mehmet im Libanon. Damit dürfte dieser Prozess zu den komplexesten Erbschaftsprozessen weltweit gehören.

Der Prozess um das Erbe von Abdulhamit II. begann mit elf Erben, die 2010 eine Klage einreichten. Mittlerweile sind es 300.

Der Anwalt von vier der insgesamt elf Hauptklägern, Mehmet Erkan Akkuş, meint, dass die USA trotz internationaler Abkommen Informationen zu diesem Sachverhalt vorenthalten. Es gehe dabei auch um Erbeinheiten außerhalb der Türkei, erklärt der Jurist. Das macht die Gesamtsituation zusätzlich heikel und kompliziert: „Auf den Namen von Sultan Abdulhamit II. sind persönliche Immobilien registriert, die sich im Ausland befinden. Um nach internationalem Recht gegen die ausländischen Regierungen Entschädigungsklagen einreichen zu können, müssen den Nachkommen Erbscheine ausgestellt werden“, fordert Akkuş von dem Gericht mit dem Verweis auf das Argument, es handle sich bei den Einheiten um Objekte, die der Sultan mit seinem eigenen Vermögen gekauft und nicht mit Geldern des Reiches erworben habe.

Gehasst und verehrt 

Sultan Abdulhamit II. gilt unter den Kemalisten der Türkei als verhasst, konservative und religiöse Kreise um die AKP verehren ihn hingegen. Er war von 1876 bis 1909 an der Macht und unterschied sich von seinen Vorgängern gerade in seinem Umgang mit Besitztümern des Reiches. Vieles, das Eigentum des Osmanischen Reiches war, ließ er als Privatbesitz auf sich selbst übertragen, darunter beispielsweise die Ölfelder um Mossul und Kirkuk im heutigen Irak. Warum er das gemacht hat, ist bis heute umstritten. Eine Theorie ist, dass er sich mit diesem Schritt vor allem selbst bereichern wollte. Eine andere besagt, dass er angesichts des fortgeschrittenen Zerfalls des einst riesigen Reiches Weitsicht bewies und die Reichtümer einem möglichen Nachfolgestaat erhalten wollte.

Weitere Einheiten sind beispielsweise die bekannte Galatasaray-Insel in Istanbul, ein riesiger, wertvoller Garten in Dolmabahçe und einige historische Villen am Bosporus-Ufer.

Auch wenn der Prozess neueren Datums ist, war der Nachlass von Abdulhamit II. schon immer ein komplexes Thema, mit dem sich die türkischen Gerichte in der knapp 100-jährigen Geschichte der Republik des Öfteren beschäftigen mussten. Ohne Erfolg für die Kläger. Ein fundiertes Buch zu dem Thema hat Vasfi Şensözen verfasst, der auch als Justitiar beim türkischen Finanzministerium angestellt war. Er beschäftigte sich über 20 Jahre lang mit Gerichtsprozessen um den Nachlass von Abdulhamit II. und fasste die Ergebnisse in dem Buch „Das Eigentum der Osmanen und die Immobilien von Abdulhamit II.“ zusammen. Nach dem dieser 1909 die Macht an die Jungtürken abtreten musste, übertrug er auch einen Teil seines Eigentums an den Staat. Sein verbliebenes Eigentum wurde jedoch nach seinem Tod im Jahre 1918 nicht an die damals rechtmäßigen Erben vererbt. Somit blieb die Frage, wie mit seinem Nachlass umzugehen war, zwar juristisch offen, politisch jedoch mit dem Gesetz über die Abschaffung des Kalifats aus dem Jahre 1924 beantwortet.

Auf die Frage, warum die Erben des Sultans erneut vor Gericht ziehen, antwortet ihr Anwalt Akkuş mit dem Verweis auf die Verfassungsänderung von 2004. Er ist der Ansicht, dass damit eine neue Rechtslage entstanden sei: „Danach gilt, falls das türkische Recht im Widerspruch mit dem Völkerrecht steht, muss sich die Türkei an das Völkerrecht halten. Wir haben das Gesetz mit der Nummer 431, welches die Abschaffung des Kalifats regelt. Dieses besagt, dass das Eigentum des Sultans nunmehr dem Volk gehöre. Wenn wir als Juristen uns der Sache annehmen, dann verstehen wir es so, dass es sich dabei um das Eigentum des Sultans, der im Jahre 1924 im Amt war, handelt. Abdulhamit II. ist aber 1918 gestorben. Also war er, als das Gesetz erlassen wurde, nicht mehr im Amt. Unabhängig davon, ob die Übertragung seines Eigentums auf die Erben tatsächlich erfolgte oder nicht. Wir gehen davon aus, dass der Nachlass auf die Erben übergegangen ist.“

Ob das Istanbuler Gericht dieser Deutung folgen wird, bleibt abzuwarten.

Dem Experten Şensözen zufolge gehören unter anderem folgende Erbeinheiten zum ca. 11 000 Objekte umfassenden Nachlass des Sultans.

– ein Garten in Dolmabahçe, der über 20 000 m² groß ist;

– ein Grundstück in Eyüp, 18 Dekar groß. Weitere wertvolle Grundstücke in Bakırköy und Teşvikiye;

– ein 2 500 Hektar großer Wald in Yalova;

– die Ahmet Celâlettin Paşa-Villa in Nişantaşı;

– ein Garten in Izmit von etwa 2000 m²;

– die Ali Saip Paşa-Villa in Ortaköy mit Inventar;

– die Galatasaray-Insel und

– die Hereke-Fabrik und das dazugehörige Grundstück.