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Kolumnen

Der Freitag als Feiertag? Nein, die Debatte ist falsch, der Zeitpunkt auch

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In der Türkei ist eine Regelung auf dem Weg, die es Staatsbediensteten ermöglichen soll, freitags ihren Arbeitsplatz zu verlassen, um zum Freitagsgebet zu gehen. Sie soll auch die Schulen umfassen.

Dies nehmen einige zum Anlass, gleich zu fordern, dass der Freitag in der Türkei als Feiertag eingeführt und dafür der Sonntag geopfert werden soll. Die Woche würde dann schon am Sonntag beginnen.

Auch mein Kollege Mustafa Görkem hat sich dafür ausgesprochen. Er schreibt, dass sich die Gesetze an den gegebenen Umständen orientieren sollten, Laizismus hin oder her, die Türkei ein muslimisch geprägtes Land ist und im Islam der Freitag der Feiertag ist.

In der Tat: Der Freitag als Feiertag wurde erst 1924 von Atatürk abgeschafft, stattdessen der Samstag und der Sonntag als Wochenende eingeführt.

Nichts gegen Möglichkeiten für Gläubige, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Trotzdem ist der Ansatz, jetzt für den Freitag als Feiertag einzutreten, falsch. Es ist eine falsche Debatte zur falschen Zeit.

Zum Einen: Im Südosten der Türkei herrscht Gewalt, Menschen sterben. Es ist nicht der Zeitpunkt, um über Feiertage zu sprechen. Zum Anderen: Das Argument, dass die Türkei ein muslimisches Land ist und dem Genüge getan muss, greift meines Erachtens zu kurz.

Gewiss, die Türkei ist ein muslimisches Land. Sie ist aber nicht nur ein muslimisches Land. Es gibt auch Andersgläubige, Nicht-Gläubige. Es gibt auch Muslime, die ihre Religion nicht praktizieren. Die Religion zu beachten ist etwas anderes als die Öffentlichkeit total nach religiösen Vorschriften zu regeln.

Die Türkei geht durch eine Zeit, in der sie riesengroße Schritte rückwärts macht, was Grundrechte angeht, was Rechtsstaatlichkeit, ja sogar grundlegendste Menschlichkeit angeht. Einerseits sterben Menschen, Journalisten werden willkürlich eingesperrt, Intellektuelle für ihre Meinung bestraft, aber das alles lässt die Mehrheit kalt. Weil die Bevölkerung gespalten wurde, weil viele miteinander nicht mehr sprechen, einander als Bedrohung wahrnehmen.

Die Lösung: Nicht nur für die Rechte der konservativen Muslime eintreten, sondern Rechte und Freiheiten aller im Blick haben. Sehen, dass auch die Aleviten und nichtmuslimische Minderheiten Probleme haben: Zum Beispiel, dass die griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei vom Aussterben bedroht sind, weil sie dort keine Geistlichen ausbilden können.

Verbesserungen für alle sind sinnvoller. Sie werden das Land voranbringen, die Solidarität unter den Menschen stärken. Einseitige Verbesserungen vermögen das nicht zu leisten.