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Gesellschaft

„Der Islam hat ein Image-Problem“

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Muslime feierten diese Woche auf der ganzen Welt das Ende des Ramadan. Die deutsche Konvertitin Anja Hilscher hat ein Buch über das Imageproblem der zweitgrößten Welt-Religion geschrieben. (Foto: ap)

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„Der Islam hat ein Image-Problem“
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Sie sagen, dass der Islam ein katastrophales Image hat. Viele verbinden damit Intoleranz, Gewalt und Frauenunterdrückung. Woran liegt das?

Anja Hilscher: Ich habe das Gefühl, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung wahnsinnig auseinander klaffen. Wenn ich über den Islam Reportagen sehe oder lese, habe ich den Eindruck, dass da über eine völlig andere Religion gesprochen wird, als die, die ich praktiziere. Das hat auch mit selektiver Wahrnehmung zu tun und mit selektiver Auswahl von Zitaten. Das führt dazu, dass es praktisch keine Schnittmenge gibt. Zitate werden oft aus dem Zusammenhang gerissen zitiert oder Überlieferungen, die sogenannten Hadithe, um die Hälfte beschnitten. Eines der Hauptmotive, das Buch zu schreiben, war, diese schönen Zitate aus dem Koran und den Hadithen an die Öffentlichkeit zu bringen, die das Wesen meiner Religion ausmachen.

Hat der Islam tatsächlich nur ein Imageproblem?

Anja Hilscher: Ja, sonst wäre ich ja nicht Muslimin, wenn ich das nicht glauben würde. Natürlich ist das ein subjektives Buch, der meinen persönlichen Glauben präsentiert. Ich habe aber auch Argumente, so ist es nicht. Allah sagt zum Beispiel im Koran, er habe „sich selbst Barmherzigkeit vorgeschrieben“. Die Barmherzigkeit ist laut Islam die wichtigste Eigenschaft Gottes, die alle anderen überwiegt. Und die Wurzel des Wortes „Islam“ sind die arabischen Buchstaben S L M. Das bedeutet „heil“ und „ganz sein“. Das Ziel des Islams ist, dass wir Menschen Frieden finden durch Hingabe und Ergebung, und dadurch wieder heil und ganz werden. Davon ist aber momentan nicht viel zu sehen, was auch teilweise die Schuld der Muslime ist, die zu dogmenfixiert und starr in ihrem Denken sind. Die Prioritäten sind momentan total verzerrt.

Welche denn?

Anja Hilscher: Die Prioritäten innerhalb der Religion. Man kann nicht sagen, der Islam kann ohne Gebote existieren. Inhalt und Form sind wie im Judentum untrennbar miteinander verwoben, das ist schon richtig. Aber seit einigen Jahrhunderten wird der Geist des Islams unterdrückt durch die Betonung der Äußerlichkeiten. Und es gibt in Diskussionen auch meist nur diese Ja- oder Nein-Haltung. Dieses Starre, Dogmatische ist aber eine Ansicht, die dem Islam widerspricht, weil der Islam eine sehr flexible und interpretationsfähige Religion ist. Jesus sagte schon: „Der Mensch ist nicht für die Gebote da, sondern die Gebote für den Menschen.“ Das ist im Islam auch so.


Warum haben dann gerade Hardliner wie Salafisten so viele junge Anhänger?

Anja Hilscher: Ich denke das ist ein Phänomen der globalen Desorientierung und religiöser Unwissenheit. Wir erleben momentan einen drastischen spirituellen und kulturellen Niedergang, im islamischen Kulturkreis ebenso wie hier. Kulturen lösen sich auf, Traditionen verschwinden. Hinzu kommt die Tatsache, dass Familien entweder durch Scheidung oder auch durch Migration und die Erfordernis einer berufsbedingten Flexibilität immer mehr auseinander brechen. Überkommene Werte werden aller Orten in Frage gestellt. Das alles verunsichert die Menschen natürlich. Solche Krisen, das weiß man aus der Psychologie, führen oft zu einer Regression. Das heißt, man fällt in der Persönlichkeitsentwicklung auf eine Stufe zurück, die man eigentlich schon überwunden hatte. In solchen Situationen wird dann immer der Ruf nach festen Riten und Regeln, an denen man sich orientieren kann oder nach Autoritäten mit schlichten Botschaften laut, die einem sagen, wo es lang geht. In abgeschwächter Form ist das in unserer Gesellschaft momentan auch zu beobachten. Die Hinwendung zu radikalen Ideologien oder Glaubensrichtungen, wie dem Salafismus, ist so zu erklären.

Erklärt das auch, warum Terroristen des 21. Jahrhunderts vor allem im Namen des Islams töten?

Anja Hilscher: Der Islam ist in seinem Ursprung genau das Gegenteil von dem, was wir oft in den Medien sehen und was viele meiner „Glaubensbrüder“ praktizieren. Das ist ein spiritueller Tiefpunkt im Islam, der auch in vielen Hadithen prophezeit wurde. Mir ist nicht klar, wie Terroristen im Namen eines allbarmherzigen Gottes unschuldige Menschen in die Luft sprengen können. Jeder qualifizierte Islamwissenschaftler wird Ihnen sagen, dass das Töten von Unschuldigen und Zivilisten nicht mit der Religion gerechtfertigt werden kann.

Dschihad bedeutet nicht „Heiliger Krieg“ sondern „Anstrengung“, schreiben Sie. Was bedeutet also diese „Anstrengung“?

Anja Hilscher: Jede Art Anstrengung auf dem Wege Gottes, also jede gute Tat. Der größte Dschihad ist, einem Hadith zufolge, der alltägliche Kampf gegen den inneren Schweinehund – also, dass jeder seine persönlichen Schwächen erkennt und daran arbeitet.


Was denken Sie bei Sätzen wie „muslimische Männer brauchen nicht abwaschen“?

Anja Hilscher: Ganz viel Tradition und Kultur werden mit der Religion vermischt. Das auseinander zu halten ist nicht einfach, aber wichtig. Wenn ein kleiner Junge sagt, er müsse nicht abwaschen, weil das im Koran stehe, sage ich, setzen wir uns zusammen, zeig mir die Stelle.


Sie schreiben „für Sex gibt’s bei uns Punkte“, warum ist Ihnen dieses Thema wichtig?

Anja Hilscher: Letztlich geht es in diesem Kapitel um den Stellenwert der ganzen Natur im Islam – einschließlich der menschlichen. Die sexuellen Bedürfnisse des Menschen sind etwas Reines, Tolles, mit der man sich sogar Gott annähern kann. Im christlichen Abendland, besonders im Mittelalter war die Sexualität etwas sehr Negatives und Sündiges. Das fällt im Islam weg. Im Rahmen der Ehe ist Sexualität eine gute Sache. Es gibt eine Überlieferung, dass eine Frau zum Propheten Mohammed kommt und sich über die Impotenz ihres Mannes beschwert, so offen wurde darüber geredet. Das ist einer der Aspekte des Islams, die ganz grundlegend, aber praktisch unbekannt sind – deswegen fand ich dieses Thema wichtig.


Jedes Jahr zeigen die Nachrichten die Pilgernden in Mekka, Sie sagen das sei eine „Verschwendung von Sendeminuten“? Soll über den Islam/Muslime gar nicht berichtet werden?

Anja Hilscher: „Qualität statt Quantität“ würde ich vorschlagen. Natürlich sollte über den Islam berichtet werden – das mit der „Verschwendung von Sendeminuten“ war natürlich pure Ironie. Ich wünsche mir aber mehr Aussagen von Fachleuten.


Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund würden gern in das Land ihrer Eltern zurückkehren. Warum ist das so?

Anja Hilscher: Ich beobachte eine Frontenverhärtung. Das Niveau sinkt und man bekriegt sich. Es besteht kein echtes Interesse daran, dem Gegenüber aufrichtig zuzuhören. Da so viel Feindseligkeit und Desinteresse besteht, kann ich durchaus nachvollziehen, dass viele Migranten – vor allem Muslime – sagen, das ist nicht mein Land. Ich kenne einen Mann, der hier geboren ist, hier studiert hat und Computerfachmann ist. In Vorstellungsgesprächen wird er immer wieder gefragt: „Woher kommen Sie denn nun?“ Man wird immer wieder in Schubladen gesteckt, und das sind keine netten Schubladen, sondern hässliche und klebrige. Deswegen kann ich verstehen, wenn solche Menschen sagen, ich fühle mich hier nicht zu Hause.

Wen wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?

Anja Hilscher: Mein Ziel ist es, die Gruppe der offenen und humorvollen Nicht-Muslime zu erreichen. Solche, die beim Fernsehen das Gefühl haben, dass die präsentierten Gäste nicht wirklich die besten Islamexperten sind. Leute, die die Stimmen der Brückenbauer vermissen, die würde ich mir in erster Linie als Leser wünschen. Dann natürlich die Gruppe der offenen und humorvollen Muslime, die die Grundlagen des Islams in einem Buch gebündelt haben wollen. Und die Kulturmuslime, die ihre Religion nicht praktizieren, aber etwas Neues lernen möchten.
 Quelle: welt.de
 
„Imageproblem. Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt“ vom Gütersloher Verlagshaus ist für 14,99 Euro im Buchhandel erhältlich.