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Politik

Der „neue Gegner“: Die kurdische Opposition

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Der aus Kilis stammende Autor und „Zaman“-Kolumnist İhsan Dağı äußert sich über das derzeit eher ungeschickte Agieren der Regierungspartei im Kurdenkonflikt. (Foto: Zaman)

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Der „neue Gegner“: Die kurdische Opposition
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Durch eine kluge und engagierte Demokratisierungspolitik hat es die regierende AKP geschafft, die alten Eliten zu entmachten und all deren Versuche, die Zeit zurückzudrehen, geschickt ausgekontert. Die Schwierigkeiten der Regierungspartei beim ambitionierten Projekt eines dauerhaften Friedens in Kurdistan lassen jedoch befürchten, dass auch eine von der AKP geführte Regierung nicht davor gefeit ist, in alte, überwunden geglaubte politische Gewohnheiten zu verfallen.

İhsan Dağı

Ich erklärte bereits, wie sich die Identität der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) aufgrund der neuen Herausforderungen in der Türkei verändert.

Die AKP, die sich anfangs klar gegen den autoritären kemalistischen Staat positionierte, musste die Demokratisierung vorantreiben. Nur so konnte sie sich behaupten.

Nun, da das alte kemalistische Regime sowohl auf politischer Ebene als auch in der Judikative und dem Militär erfolgreich zurückgedrängt wurde, stellt es keine Gefahr mehr für die AKP dar. Der politische Arm des kemalistischen Blocks, die Republikanische Volkspartei (CHP), erhielt bei den letzten drei Wahlen deutlich weniger Stimmen als die AKP. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die CHP auf politischer Ebene in naher Zukunft für die AKP eine Gefahr darstellen wird.

Ähnliches gilt für die Judikative. Am 12. September 2010 veränderte ein Verfassungsreferendum die Macht im türkischen Justizapparat zu Gunsten der konservativen AKP. Die obersten Gerichte sind nun der AKP gegenüber freundlicher gesinnt. Es war kein Versprecher, als der Ministerpräsident vor wenigen Wochen über die gerichtliche Aufhebung der Immunität von Abgeordneten der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) sprach, sagte: „Wir haben der Justiz gesagt, was getan werden muss.“ Dieser Ausspruch verdeutlicht die neue Beziehung der regierenden Partei zur Judikative.

Auch das Militär wird mittlerweile von der AKP kontrolliert. Die hohen Offiziere verhalten sich gegenüber der AKP sehr kulant, zum Dank für den politischen Schutz der Regierung. Es ist eine positive Entwicklung, dass das Militär nun unter ziviler Kontrolle steht. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass es dadurch noch schwerer ist, ein von der regierenden AKP kontrolliertes Militär zu kritisieren. Beispiele dafür sind der „Uludere-Vorfall“, bei dem 34 Dorfbewohner von einem türkischen Kampfjet getötet wurden und der „Afyon-Vorfall“, bei dem 25 Soldaten durch eine Explosion starben. In beiden Fällen erschwerte die Regierung öffentliche Kritik, indem sie Kritikern vorwarf, dem Militär Schaden zufügen zu wollen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die AKP regiert die Türkei mittlerweile ohne viel Widerspruch, Auflagen und institutionellen Widerstand.

Es gibt nur eine Kraft in der Türkei, die der AKP gefährlich werden kann: Die politische Bewegung der Kurden mit ihrem politischen und ihrem bewaffneten Arm – der BDP und der PKK. Sie verfügen über Mittel – wie Terroranschläge -, die es ihnen ermöglichen, die AKP als „erfolglos“ erscheinen zu lassen. Dieser Sommer hat gezeigt, dass die BDP mit ihrem provozierenden politischen Stil und die PKK mit ihren Terrorakten die Türkei destabilisieren können.

Die regierende AKP nimmt diese Kraft als Angriff auf die eigene Existenz wahr. Diese neue Haltung gegenüber der kurdischen Opposition ist auch aus zwei Gründen gerechtfertigt.

Erstens nimmt die Führung der AKP für sich in Anspruch, dass die Partei die kurdische Frage in der Vergangenheit mit demokratischen Mitteln, wie sie sich etwa in der „demokratischen Initiative“ von 2009 widerspiegelten, lösen wollte. Die Initiative scheiterte jedoch auf Grund von Provokationen durch die kurdischen Nationalisten in Habur zu Beginn des demokratischen Öffnungsprozesses. Dann sabotierte die PKK den Prozess durch den Angriff in Reşadiye, bei dem sieben türkische Soldaten getötet wurden.

Zweitens erklärte sich die regierende AKP zu direkten Verhandlungen mit der PKK und ihrem Führer Abdullah Öcalan bereit, nachdem sie die Schwierigkeiten der „demokratischen Initiative“ erkannt hatte. Doch auch dieser als Oslo-Prozess bekannte Verhandlungsversuch wurde durch die PKK durch den Angriff bei Silvan sabotiert.

Die Regierung folgert daraus, dass die kurdische Opposition nicht an einer friedlichen und demokratischen Lösung der Kurdenfrage interessiert sei. Darüber hinaus sieht die AKP die PKK als eine Organisation, deren Hauptziel der Sturz der Regierung sei. Die jüngste Welle der Gewalt wird als ein Versuch der PKK gewertet, das politische Ansehen der Regierungspartei zu beschädigen. Um diese Auffassung zu rechtfertigen, weist die AKP auf Äußerungen der PKK-Führung hin.

Das Resultat ist, dass die regierende AKP, die sich durch die politische Bewegung der Kurden bedroht fühlt, einen „totalen Krieg“ gegen die PKK und ihre politischen und sozialen Arme führt. Die Aufhebung der Immunität der BDP-Abgeordneten, die wahrscheinliche Auflösung der BDP durch das Verfassungsgericht und die laufenden massiven Operationen des Militärs sind Teil dieses „Krieges“.

Die kurdische Opposition ist der „neue Gegner“ der AKP, weil sie eine existenzielle Bedrohung für die Partei darstellt. Um sich der PKK zu erwehren, setzt die AKP, genau wie alle Regierungen vor ihr, auf einen Schutzschild aus Nationalismus und Patriotismus. So ist es kaum verwunderlich, dass Wörter wie „Verrat“ regelmäßig in Reden von Regierungsangehörigen auftauchen. Der Bildungsminister sagte sogar, dass das neue Bildungssystem nur von der PKK und ihren Unterstützern (sowie den Kemalisten) abgelehnt würde. Für uns ist es ein altbekanntes Phänomen: Nationalismus und der Kampf gegen die PKK sind der perfekte Vorwand, um die Opposition zum Schweigen zu bringen und die Massen zu steuern. Es ist schade, dass die einst reformorientierte AKP diese alten Tricks nun selbst benutzt.

Da die AKP die kurdische Opposition als den „neuen Gegner“ ausgemacht hat, glaubt sie, fortan auf eine demokratische Sprache und Zusammenarbeit verzichten zu können. Das ist gefährlich, denn es bedeutet einen großen Rückschritt für die Türkei und den eingeleiteten Demokratisierungsprozess. Die Lösung des Kurdenkonfliktes rückt so in weite Ferne.