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DTJ-Blog

Der Poco-Boykott oder das muslimische Winterloch

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Aktionismus ist hier fehl am Platz. Eine gewisse Weitsicht ist gefragt, sonst laufen Muslime Gefahr, in die Hände der Islam-Gegner und -Kritiker zu spielen.

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Wie bei jedem Boykott, zu dem Muslime aufrufen, geht auch dieser eigentlich gänzlich an mir – ebenfalls Muslimin – vorbei. Ich gestehe, dass ich von einem Boykott immer erst erfahre, wenn dieser seinen Zenit schon erreicht hat und auf dem Abstieg ist. In dunkler Erinnerung habe ich den Boykott israelischer Waren, der wahrscheinlich bei vielen noch anhält. Als mir gesagt wurde, ich dürfe als Muslimin keine israelischen Datteln mehr essen, war bei mir der Zug abgefahren und ich fing an den Boykott zu boykottieren.
Vom Poco-Boykott erfuhr ich per Zufall über Facebook, und auch nur, weil das Thema in einer Gruppe von Bloggern aufkam und ich erst einmal recherchieren musste, worum es bei diesem Aufruf überhaupt geht. Dann sah ich die Bilder von den Fußmatten mit den Abbildungen Istanbul thematisierend, inklusive des Galata-Turms, Kizkulesi (dem „Mädchenturm“), der Bosporus-Brücke und der Sultan-Ahmet-Moschee, besser bekannt als die Blaue Moschee.

Die Moschee ist kein heiliger Ort

Kommen wir gleich zur Sache und gehen den Kern des so genannten Problems hier an: Eine Moschee auf einem Fußabtreter abzubilden wird für viele Muslime ein Aufreger schlechthin sein, denn erstens zieht man sich die Schuhe aus, wenn man eine Moschee betritt, und zweitens ist es für viele Gläubige einfach eine Beleidigung, wenn man ihren Glauben im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen „tritt“. Für einen Moment lang musste ich selbst überlegen, wie ich damit umgehen sollte, schließlich bin ich selbst mit Herz und Verstand Muslimin und gehe gerne in Moscheen, um mich entweder zurückzuziehen, zu beten oder auch mit Gleichgesinnten zu treffen. Schlagartig kam mir aber dann der Gedanke, wie man als Muslim oder Muslimin zu dem Begriff Moschee steht, und was dieser für einen beinhaltet. Wie folgt bin ich zu dieser Erkenntnis gelangt, was es mir leicht machte, diesem Boykott für mich ein Ende zu bereiten:

Eine Moschee ist ein Versammlungsort, ein Ort der Gemeinschaft, ein Ort für das persönliche und das gemeinschaftliche Gebet, sowie ein Ort des Lehrens und Lernens. Es ist kein – wie für viele unwissentlich verstanden – heiliger Ort. Die Religion bemüht sich, eine Harmonie zwischen dem Religiösen und dem Weltlichen herzustellen, deshalb ist eine Moschee eine Örtlichkeit, in der beides, also religiöses wie weltliches Leben, stattfindet und kein sakraler Raum wie im Sinne einer Kirche. Moscheen sind Zentren und Ausgangpunkte mit vielfältigen Aufgaben, die sich an Zeit, Ort und Bedarf verändern. Sie besitzen keine Heiligkeit, sondern dienen praktisch orientierten Zielen.

Ich kann die Verärgerung mancher Muslime durchaus verstehen; ich selbst würde wohl keinen Fußabtreter mit Abbild einer Moschee kaufen und mir vor die Haustür legen, aber irgendwo sollte man auch die Moschee im Dorf lassen. Manchmal hege ich das Gefühl, dass einige Muslime aus einer Mücke einen Elefanten machen, obwohl es sich letztendlich nur um eine Kleinigkeit handelt und das persönliche Leben selten bis gar nicht beeinflusst oder verändert.

Flüssigseife löste auch Boykott aus

Was mir beim Schreiben zeitgleich einfällt, ist, dass es doch vor nicht allzu langer Zeit etwas Vergleichbares mit einer Flüssigseife gab, auf deren Flasche auch eine Moschee abgebildet war und es Muslime gab, die daraus einen Shitstorm machten. Hätte sich nicht ein Einzelner darüber aufgeregt, wären keiner Mitläufer zur Stelle gewesen, die das Ganze so aufgebauscht haben, dass es zu einem Selbstläufer mit Absturz wurde.

Die Reaktionen halte ich für übertrieben, aber es scheint, als ob aus diesem sogenannten Boykott mehr gemacht wird, als es die Situation verdient oder ist. Schließlich gibt es unter anderem auch Fußmatten mit christlichen Motiven, oder von Fußballvereinen, oder Künstlern. Darüber wird sich nicht derartig echauffiert, sondern es wird mit Gelassenheit akzeptiert.

Mein Fazit zu diesem (und wahrscheinlich zukünftigen) Boykott(s):

Übersensiblen Gläubigen rate ich den Weg der Mitte zu gehen und darüber nachzudenken, ob ein Echauffieren es wirklich wert ist. Wenn man nicht in die Hände von Islamgegnern und Islamkritikern spielen möchte, sollte man Weitsicht zeigen und nicht alles überbewerten.

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