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Politik

Der Prozess – Peter Steudtner

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Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner
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Von Can Merey und Michael Fischer, dpa

Seit Juli ist der Deutsche Peter Steudtner in der Türkei inhaftiert, nun beginnt der Prozess gegen den Menschenrechtler. Amnesty nennt die Anklage «absurd». Der Verlauf des Verfahrens dürfte maßgeblichen Einfluss auf die weiteren Beziehungen zur Türkei haben.

Der Menschenrechtler Peter Steudtner wollte im Juli für ein paar Tage nach Istanbul reisen, in der türkischen Metropole sollte er als Referent bei einem Workshop auftreten. Nach dem Seminar wollte der 45-Jährige zurück zu seiner Familie nach Berlin fliegen. Stattdessen sitzt Steudtner heute unter Terrorverdacht im Gefängnis in Silivri bei Istanbul, wo auch der «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert ist. Während Yücel seit acht Monaten auf eine Anklageschrift wartet, kommt in den Fall Steudtner nun zumindest Bewegung: An diesem Mittwoch beginnt in Istanbul der Prozess gegen ihn und zehn weitere Menschenrechtler.

Der Fall Steudtner ist längst zum Politikum geworden, der Verlauf des Prozesses dürfte gewaltigen Einfluss auf das gestörte Verhältnis zwischen Berlin und Ankara haben. Schon die Festnahme von Deniz Yücel und anderer Bundesbürger in der Türkei hatte die bilateralen Beziehungen schwer belastet. Die Inhaftierung Steudtners im Juli brachte das Fass aus Sicht der Bundesregierung zum Überlaufen.

Außenminister Sigmar Gabriel brach damals seinen Urlaub ab und kündigte eine Neuorientierung der Türkei-Politik an. Die Reisehinweise wurden verschärft, die Bundesregierung beschloss eine Blockade weiterer Verhandlungen über die Zollunion zwischen EU und Türkei, deckelte die Hermes-Bürgschaften für deutsche Exporte und beschränkte die Rüstungsexporte auf ein Minimum. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die festgenommenen Menschenrechtler zunächst in die Nähe von Putschisten gerückt, später erhob er im Zusammenhang mit dem Fall Steudtner Spionagevorwürfe gegen die Bundesregierung.

Nun bietet der Prozess eine Chance, das zerrüttete deutsch-türkische Verhältnis wieder auf den Weg der Besserung zu bringen. Sollte Steudtner freigelassen werden und nach Deutschland ausreisen dürfen, könnte das den Teufelskreis gegenseitiger Anschuldigungen durchbrechen. Die Tatsache, dass Anklage und Prozessbeginn verhältnismäßig zügig erfolgten, wertet die Bundesregierung immerhin als positives Signal. Alles andere als eine Freilassung Steudtners würde die Beziehungen noch tiefer in die Krise stürzen. Schon der erste Prozesstag könnte erste Hinweise geben.

Festgenommen wurden zehn der elf Angeklagten, als eine Einheit der Anti-Terrorpolizei am 5. Juli das Seminar im Hotel Ascot auf Büyükada stürmte, einer Insel vor der Küste Istanbuls im Marmarameer. Bei dem Workshop ging es unter anderem um digitale Sicherheit, also Verschlüsselungstechnologien, und um Stressbewältigung – naheliegende Themen angesichts der zunehmend schwierigen Arbeit von Menschenrechtlern in der Türkei. Die Staatsanwaltschaft hat daraus eine Anklageschrift gebastelt, von der Steudtners Anwalt Murat Boduroglu sagt: «Sie liest sich wie ein schlechter Roman.»

Mit viel Substanz kann die 17-Seiten-Schrift nicht aufwarten, was angesichts der Schwere der Anschuldigungen erstaunlich wirkt. Den zehn Seminarteilnehmern sowie dem elften Angeklagten – dem schon seit Juni inhaftierten Amnesty-Vorsitzenden in der Türkei, Taner Kilic – wird «Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen» vorgeworfen. Auf ersteres stehen bis zu 15 Jahre Haft, auf letzteres bis zu zehn.

Die Anwälte von Steudtner und von dessen schwedischem Kollegen Ali Gharavi gehen davon aus, dass ihren Mandanten lediglich Terrorunterstützung angelastet wird, nicht aber die schwerer wiegende Mitgliedschaft. Die Anklageschrift bleibt da allerdings vage, was im Übrigen auch für etliche andere Punkte gilt.

Die Staatsanwaltschaft wirft den zehn auf Büyükada festgenommenen Angeklagten vor, an einem «geheimen» Seminar teilgenommen zu haben, wo über Methoden gesprochen worden sei, wie sie auch Terrorgruppen anwendeten – gemeint sind anscheinend Verschlüsselungstechniken. Die Workshop-Teilnehmer hätten «gesellschaftliches Chaos» im Stil der Gezi-Proteste vom Sommer 2013 provozieren wollen, was auch den Interessen von Terrororganisationen entspreche.

Die Anklage nennt in diesem Zusammenhang gleich drei Gruppen, die völlig unterschiedliche Ziele verfolgen: Die Terrororganisation PKK, die Gülen-Bewegung und die linksterroristische DHKP-C – womit fast das gesamte Spektrum namhafter verbotener Gruppen in der Türkei abgedeckt wäre, es fehlt nur die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Die Staatsanwaltschaft führt zwei Zeugen ins Feld, einer davon war als Übersetzer auf dem Seminar, die Identität des zweiten ist «geheim» – auch Steudtners Anwälte wissen nicht, um wen es sich dabei handeln soll. Den Zeugenaussagen zufolge sollen Steudtner und Gharavi «generell über Informationssicherheit, Datenspeicherung, Verschlüsselung geredet haben und darüber, wie man verhindert, dass Informationen in die Hände der Polizei oder anderen Personen gelangen». Amnesty weist darauf hin, dass es in der Türkei nicht verboten ist, über digitale Sicherheit zu diskutieren.

Ähnlich fragwürdig wirken auch die Vorwürfe gegen Gharavi. Bei ihm haben die Ermittler eine Landkarte gefunden, die Teile der Ost- und Südosttürkei nach Ansicht der Staatsanwaltschaft so darstellt, «als gehörten sie zu einem anderen Staat». Das angebliche Beweismittel soll wohl Separatismus suggerieren. Dabei handelt es sich um eine Karte, die nicht Länder und Grenzen, sondern Sprachen abbildet.

Amnesty nennt die Anklageschrift «absurd», und selbst ein regierungsfreundlicher türkischer Jurist bezeichnet die darin aufgeführten Vorwürfe als «lächerlich». Dennoch wagt niemand eine Prognose darüber, wie das Verfahren verlaufen wird – erst recht nicht nach dem Auftakt des Prozesses gegen die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu vor zwei Wochen.

Auch die Vorwürfe gegen Tolu sind aus Sicht Berlins haltlos, aus der Untersuchungshaft wurde sie trotzdem nicht entlassen, und ihr Verfahren wird erst im Dezember fortgesetzt. In dem für Steudtner und Gharavi besten Fall könnte das Gericht entscheiden, die beiden Ausländer abzuschieben. Dann wäre der Alptraum für sie vorüber – anders als für Deniz Yücel und mindestens neun weitere Deutsche, die dann noch aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen sitzen.

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