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Kolumnen

Der Ramadan ist da, sein Geist fehlt vielerorts

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Eine türkische Redewendung besagt:

„Ein halber Arzt bringt einen ums Leben, ein halber Gelehrter bringt einen um den Glauben.“

Die Praxis:

In den vergangenen Tagen sind in Pakistan tausende Menschen gestorben. Gestorben, weil es zum einen eine Mordshitze gab, die Temperaturen tagsüber auf 45, ja sogar auf 50 Grad ansteigen. Weil sie arm sind, weil es häufige Stromausfälle gibt und Klimaanlagen ausfallen.

Aber auch, weil sie fasten und einige von ihnen um keinen Preis davon ablassen wollen. Aus Unwissenheit scheint ihnen die Einhaltung einer religiösen Pflicht über dem Wert des Lebens zu stehen. Ist der Schutz des Lebens nicht eine höhere religiöse Pflicht als das Fastengebot? Hier nun kommen die Religionsgelehrten ins Spiel. Sie sind gefordert, gemeinsam mit Ärzten und Politikern für den Schutz des Lebens einzustehen.

Wo bleibt der Verstand?

Wir wissen auch: Es gibt fünf grundlegende Werte im Islam, die besonderen Schutz verdienen: Das Leben, die Religion, der Verstand, der Besitz sowie die Nachkommenschaft.

Wo bleibt bei dem obigen Beispiel der Verstand, wo der Schutz des Lebens?

Also: An dem obigen Beispiel, an den Toten im Ramadan, stimmt etwas nicht. Natürlich traf die Hitze nicht nur Pakistan, auch in Indien gab es Tote.

Doch für meine Begriffe zeigen die Toten von Pakistan, das irgendetwas nicht in Ordnung war bei ihnen. Offenbar ist nicht nur ein halber Arzt eine Gefahr für das Leben, auch ein halber Gelehrter – andernfalls müsste es dazu nicht kommen.

Auch wenn ich mit dem Beispiel aus Pakistan eingestiegen bin, soll das nicht heißen, dass es nur dort Probleme gibt.

In der Türkei lernen die Kinder, dass Muslime nicht länger als drei Tage zerstritten sein sollen. In den Moscheen wird gepredigt, dass der Ramadan ein besonderer Monat ist. Das zeigt sich auch daran, dass die Frömmigkeit zunimmt. Zeitungen bereiten Ramadan-Sonderseiten vor. Sogar die streng kemalistische Zeitung Cumhuriyet hat dieses Jahr eine eigene Ramadan-Seite eingerichtet. Auch weniger religiöse Türken lassen sich von der Ramadan-Stimmung mitreißen, viele fasten, die sonst in ihrem Alltag eine säkulare Lebensweise haben.

Der Ramadan ist da – sein Geist nicht

Der Ramadan ist da, aber sein Geist nicht unbedingt. Wir erleben eine Kommerzialisierung, bei der die Spiritualität, für die der Ramadan steht, in den Hintergrund gerät. Der Ramadan ist da, aber die Politik lässt sich davon nicht unbedingt beeindrucken. Die Religionsbehörde Diyanet grenzt in ihren Veranstaltungen aus ihrer Sicht missliebige Gruppen aus. Unliebsame Sender dürfen aus Moscheen keine Ramadan-Sendungen übertragen, während regierungsfreundlichen Sendern Tür und Tor offen stehen. Ihr Präsident lässt sich in Luxus-Karossen zum Iftar-Essen fahren. Dabei predigen seine Mitarbeiter von den Moschee-Kanzeln Demut und Bescheidenheit.

Der Geist des Ramadan ist hier nicht zu sehen. Ich glaube in dieser Situation tut zweierlei Not:

Zum einen sollten wir Muslime einsehen, dass sich bei uns eine große Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis aufgetan hat. Das, was wir predigen und umsetzen, ist oft nicht das gleiche. Wenn wir andere kritisieren, dann sollten wir nicht eigene Ideale mit fremden schlechten Beispielen aus ihrer Praxis vergleichen. Selbstkritik ist ein tugendhaftes Verhalten.

Welche Art von Gelehrten Muslime brauchen

Zum anderen brauchen wir auch eine Rückbesinnung auf Traditionen, die den Kern statt die Hülle betonen. Die Muslime verdienen Gelehrte, die in dem Islam mehr erkennen als nur Beschränkungen und Verbote (Haram). Andernfalls wäre die oben erwähnte türkische Redewendung zu ändern: Ein halber Arzt bringt einen ums Leben, ein halber Gelehrter bringt einen sowohl um den Glauben, als auch ums Leben.

Übrigens:

Legte unser Prophet Muhammad nicht großen Wert auf Menschlichkeit, auf Vergebung?

Sagte nicht der berühmte türkische Volksdichter Yunus Emre:

„Wenn Du einmal ein Herz gebrochen hast, ist dein Gebet keines.

„Wenn Du ein Herz gewonnen hast, auch ein tausendstel davon ist nicht wenig.“