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Der „Sohn des Imams“ macht Erdoğan nervös

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Religiös, volksnah, zukunftsbejahend: Ekrem Imamoğlu hat bei der Kommunalwahl in Istanbul Erdoğans AKP das wichtigste Bürgermeisteramt der Türkei abgejagt. Auch bei der umstrittenen Wahlwiederholung gilt er als Favorit – trotz einer Kampagne der Regierung gegen ihn.

Am Bosporus steht ein Tauziehen an: Mehr als vier Wochen nach den Kommunalwahlen in der Türkei hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP eine Annullierung und Wiederholung der Abstimmung in Istanbul erwirkt. Der bisherige Wahlsieger Ekrem Imamoğlu von der CHP nennt das einen Skandal und bezichtigt den allmächtigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als „Lügner und Betrüger“.

Während der Staatschef und regierungsnahe Medien von „kriminellen Machenschaften“ bei der Abstimmung und einem „Putsch an den Urnen“ sprachen, hegen außenstehende Beobachter wie die Europäische Union und die OSZE Zweifel an der Begründung für die Wahlwiederholung. Auch in vielen Teilen der Türkei ist die Entrüstung groß, selbst unter AKP-Anhängern.

Imamoğlu, der im Gegensatz zu Erdoğan und dessen Kandidaten für Istanbul einen positiven, zukunftsbejahenden Wahlkampf führte und auf Angriffe gegen Kontrahenten weitgehend verzichtete, fordert den Präsidenten, der Istanbul zur Chefsache erklärt hat und bislang als unbesiegbar galt, heraus. Als volksnaher Oberbürgermeister machte er in den ersten Wochen seiner Amtszeit einen guten Eindruck und trieb Reformen voran.

Der Machtkampf hat begonnen

Dass der Präsident ihm von Minute eins an mit Argwohn begegnete, zeigte sich in der Ankündigung, dass Erdoğan nun die Finanzhoheit der Kommunen beschneiden wolle. Größere Ausgaben müssten dann direkt vom Präsidialamt genehmigt werden. Imamoğlus Gestaltungsfreiheit wäre stark eingeschränkt. Der Machtkampf zwischen Imamoğlu und Erdoğan hat gerade erst begonnen.

Dass nicht mehr alle Instanzen hinter dem mächtigen Präsidenten stehen, zeigt eine Nachricht der vergangenen Tage: Denn der Chef der türkischen Wahlbehörde YSK hält die Annullierung der Bürgermeisterwahl in Istanbul für nicht ausreichend begründet. Er selbst habe deshalb dagegen gestimmt, schrieb Sadi Güven in einer persönlichen Stellungnahme. Eine Ohrfeige für Erdoğan.

Ein Aufruf an die PKK, der keiner ist

Eine (physische) Ohrfeige soll auch Imamoğlu verteilt haben. Das jedenfalls wird ihm in der regierungsnahen Presse und von Seiten des Innenministers Süleyman Soylu vorgeworfen. Was war passiert? Bei einem Gespräch mit einem mutmaßlichen Imbissbetreiber wurde Imamoğlu auf seine Worte in einem Video angesprochen, wonach er unter anderem der Terrororganisation PKK angeboten habe, Istanbul mit ihm gemeinsam zu regieren. Imamoğlu erklärt, dass die Sequenz aus dem Zusammenhang gerissen worden sei und er das so nicht gesagt habe. Am Ende des Gesprächs, in dem die beiden auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, wendet sich der Politiker enttäuscht ab und tätschelt dem Mann an die Wange. Für die regierungsnahen Medien ein gefundenes Fressen: Die Schlagzeile „Imamoğlu ohrfeigt Bürger“ entsteht.

Doch das Netz reagierte amüsiert auf diese offensichtlich gelenkte Kampagne. Zahllose Bilder des CHP-Politikers wurden mit süffisanten Unterschriften versehen und in den sozialen Medien in Umlauf gebracht. Mal ist er im Gespräch mit einer älteren Frau zu sehen, auf dem er ihr etwas ins Ohr zu flüstern scheint. Daraus wurde dann: „Imamoğlu beißt wehrloser Frau das Ohr ab“. Auf einem anderen Foto sieht man, wie der CHP-Mann in einer Fernsehsendung mit seinen Händen eine Art Waffe formt. „Imamoğlu zieht vor laufenden Kameras seine Waffe“, lautet der Text dazu. Die überspitzten Posts gehörten in dieser Woche zu den meistgeteilten auf Twitter und Co.

Risiko für Erdoğan

Unter dem Strich und unabhängig von Fake-Kampagnen und Trending Topics ist die Wahlwiederholung für Erdoğan nicht ohne Risiko. Es ist schwer vorstellbar, wie sich bei einem regulären Urnengang die Mehrheitsverhältnisse klar zugunsten der AKP verschieben sollen. Erste Wahlprognosen sehen Imamoğlu mit einem Vorsprung von einer Million Stimmen als absoluten Wahlsieger. Auch von der AKP beauftragte Umfragen sehen den CHP-Mann vorne.

Allein, dass Erdoğan so erbittert gegen Imamoğlu kämpft, zeigt, dass er den politischen Newcomer zumindest erst nimmt. Möglicherweise erkennt er in Imamoğlu möglicherweise den jungen Recep Tayyip Erdoğan am Anfang seiner Karriere wieder. Schließlich begann er seine Karriere einst als Istanbuler Bürgermeister.

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