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Politik

„Der Staat hat die NSU-Verbrechen nicht gedeckt“

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Im Rahmen des bevorstehenden Türkeibesuchs des Bundesinnenministers wird das Thema „Terrorismus“ an erster Stelle stehen. Friedrich sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass die NSU-Verbrechen von staatlichen Stellen gedeckt wurden. (Foto: Tayfun Girgin)

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„Der Staat hat die NSU-Verbrechen nicht gedeckt“
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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will im Rahmen seines bevorstehenden Besuches in der Türkei über eine engere Zusammenarbeit beider Länder bei der Terror-Bekämpfung sprechen.

Friedrich wird am morgigen Dienstag zunächst nach Istanbul und dann nach Ankara reisen. Die Rückkehr nach Deutschland ist für Donnerstag geplant. Dem DTJ stand Friedrich im Vorfeld dieser Reise für ein Interview zur Verfügung.

Sie werden in den kommenden Tagen in die Türkei reisen. Was ist der Anlass Ihrer Reise, was werden die Themen sein?

Bei dem Gespräch mit meinem neuen türkischen Kollegen Muammer Güler wird vor allem die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus auf der Tagesordnung stehen. Ich werde auch noch einmal unsere Visa-Politik erläutern. Hier hat Guido Westerwelle, der deutsche Außenminister, mit meiner Zustimmung in den letzten Jahren erhebliche Erleichterungen bei der Visaerteilung für türkische Geschäftsleute eingeführt.

Nimmt man aber das Ankara-Protokoll von 1973 und die dazugehörigen Zusatzprotokolle als Grundlage, müssten türkische Staatsangehörige bei einem Aufenthalt bis zu 3 Monaten doch ohne eine Visumpflicht in Mitgliedsländer der EU einreisen können. Warum wird immer noch darüber diskutiert?

Es gibt kein Abkommen, das eine Visafreiheit für türkische Staatsangehörige ausdrücklich vorsieht, sondern lediglich eine Entscheidung des EuGH, aus der sich ergibt, dass türkische Staatsangehörige zur Erbringung bestimmter Dienstleistungen, z.B. als Lkw-Fahrer, ohne Visum nach Deutschland einreisen können.

„Islamistischer“ Terrorismus

Viele Muslime fühlen sich auf Grund der Art und Weise, in der Diskussionen rund um den Extremismus und Terrorismus hier geführt werden, unwohl. Sie sind der Meinung, dass nicht hinreichend zwischen Muslimen und Extremisten unterschieden wird. Was kann die Politik tun, um die Diskussion auf die wirklichen Extremisten zu begrenzen?

Die überwiegende Mehrheit der vier Millionen Muslime in Deutschland lebt friedlich bei uns. Viele Muslime bringen sich positiv in unsere Gesellschaft ein. Wir werden nicht akzeptieren, dass einige Wenige dieses positive Miteinander stören. Eins ist aber auch klar: Terroristen missbrauchen die Religion für ihre politischen Ziele. Das sind Menschen, die unter dem Deckmantel der Religion Terror ausüben. Vielfach wurde bereits von Seiten der muslimischen Verbände gefordert, den Begriff „Islamismus“ nicht zu verwenden, mit der Begründung, er stelle Muslime unter Generalverdacht. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu hat mir bei seinem Besuch vorgeschlagen, von „religiös motivierten Extremisten“ zu sprechen statt von Islamisten. Aber man kann Begriffe nicht so einfach von staatlicher Seite aus ändern.

Was kann die Politik konkret unternehmen?

Wichtig ist, klar zu betonen, dass der Großteil der Muslime in Deutschland unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptiert. In der Öffentlichkeit muss immer wieder kommuniziert werden, dass unsere staatlichen Stellen mit den muslimischen Gemeinden und den Moscheevereinen sehr eng kooperieren, zum Beispiel in der Deutschen Islam Konferenz. Wir müssen Extremismus, Radikalisierung und gesellschaftliche Polarisierung gemeinsam bekämpfen. Dies ist ein Themenschwerpunkt der Islamkonferenz. Die hierfür eingerichtete und seit September 2010 tagende Arbeitsgruppe „Präventionsarbeit mit Jugendlichen” verfolgt einen phänomenübergreifenden Ansatz und beschäftigt sich mit Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen und Islamismus im Sinne eines religiös begründeten Extremismus unter Muslimen. Die Arbeitsgruppe erarbeitet praxisnahe Empfehlungen, insbesondere für die Jugendarbeit. Der Themenschwerpunkt Prävention wird im Fokus der kommenden Plenarsitzung der Deutschen Islam Konferenz im Frühjahr stehen.

In den Presseerklärungen Ihres Ministeriums ist die Rede von „Djihad – Terrorismus“ und nicht von „islamistischem Terror“.

Ja, ich glaube dieser Begriff trifft die Sache gut. Deutschland steht im Fadenkreuz des djihadistischen Terrorismus. Diese Bedrohung stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Diese Bedrohung trifft alle Staaten.

Wäre es nicht möglich, Terroristen, statt sie einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zuzuordnen, über ihre Organisation zu definieren?

Es gibt immer die Notwendigkeit für einen Sammelbegriff. Würde man nur von Al Qaida sprechen, hätte man nicht alle Organisationen des djihadistischen Terrors erfasst.

Islamophobie

In vielen muslimischen Ländern und in der Türkei spricht man von Islamophobie. Glauben Sie daran, dass es eine Islamfeindlichkeit gibt?

Es gibt in Deutschland kein allgemeines Feindbild gegenüber dem Islam. Wir haben aber im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz eine Initiative gestartet, um Maßnahmen insbesondere gegen Muslimfeindlichkeit und gegen Antisemitismus zu fördern.

Welche Erklärung kann es für Bewegungen wie „Pro Deutschland“ geben, die islamfeindliche Demonstrationen organisieren?

Fremdenfeindliche Ressentiments einiger Weniger sorgen dafür, dass Bewegungen wie „Pro Deutschland“ Zulauf haben. Die heftigen Diskussionen während des Baus der Moschee in Köln machen diese Ressentiments deutlich. In meinem Wahlkreis gibt es viele Moscheen ohne ein Minarett wie bei vielen Moscheevereinen. Beim Tag der offenen Tür kommen viele Nicht-Muslime und besuchen die Moschee. In Deutschland, wo es Religions- und Glaubensfreiheit gibt, sind Moscheen im öffentlichen Bild mittlerweile selbstverständlich geworden. Natürlich muss es Gebetsstätten für Muslime in Deutschland geben.

Nach Berichten in den Medien soll die Linkspartei nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Trifft dies zu? Wird es auch eine Änderung gegenüber muslimischen Vereinen geben? Dass zum Beispiel auch Milli Görüş nicht mehr unter Beobachtung gestellt sein wird?

Nein. Wir dürfen die Beobachtung von Extremismus in unserem Land nicht aufgeben. Der Schwerpunkt des Verfassungsschutzes lag bislang immer sehr stark auf der Beobachtung von Organisationen und Strukturen. Ich halte es aber für richtig, die handelnden Personen noch stärker in den Blick zu nehmen. In Bezug auf die Linkspartei bedeutet das, dass wir uns auf jene Personen konzentrieren, die Mitglieder der offen linksextremistischen Gruppierungen innerhalb der Partei DIE LINKE sind – wir verlagern also nur den Schwerpunkt unserer Beobachtung.

PKK

Welche Bewertung nehmen deutsche Behörden hinsichtlich der PKK-Strukturen in Deutschland vor? In welchen Feldern ist sie aktiv?

Die PKK wird in Deutschland wie in ganz Europa als terroristische Organisation eingestuft. Sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Wenn unsere Justizbehörden gerichtsverwertbare Hinweise haben, werden Mitglieder der PKK allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft vor Gericht gestellt. Wir dulden keine terroristischen Aktivitäten in Deutschland.

Die Ereignisse in Paris haben Sie sicher mitverfolgt. Der des Mordes Verdächtige Ömer Güney soll zuvor in Deutschland gelebt haben. Welche Informationen gibt es in dem Zusammenhang?

Ich habe mit meinem französischen Kollegen, Innenminister Valls, über diesen Fall gesprochen. Die Untersuchungen laufen. Ich werde mich nicht an Spekulationen beteiligen.

Wie bewerten Sie den neuen Kurs der türkischen Regierung gegenüber der PKK? Was kann Deutschland an dieser Stelle tun? Die Türkei setzt Erwartungen in Deutschland.

Dialog und Gesprächsbereitschaft sind wichtig, um Konflikte zu lösen. Wenn ich als deutscher Innenminister etwas zur Lösung der PKK-Frage beitragen kann, werde ich das tun.

NSU

Es ist über ein Jahr her, dass der NSU aufgedeckt wurde. Viele Dokumente, die vielleicht brisante Informationen enthalten hatten, wurden „versehentlich“ vernichtet bzw. geschreddert, obwohl die jeweiligen Beamten durch die Diskussionen in der Öffentlichkeit besonders achtsam hätten sein müssen. Wie erklären Sie sich diese angeblich „versehentliche“ Vernichtung von Dokumenten über Rechtsextreme? Wie gedenken Sie, das durch die Ermittlungspannen erschütterte Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wiederherzustellen?

Ich kann die Diskussionen über den Vertrauensverlust nachvollziehen. Ich habe mit den Angehörigen der Opfer gesprochen, besonders für sie kam es bei den Ermittlungen zu schwierigen Situationen. Die Polizei hat in alle Richtungen ermittelt und es ist höchst tragisch, dass die Rechtsterroristen dabei nicht entdeckt wurden. Aber es gibt nach wie vor keinen Anhaltspunkt, dass staatliche Stellen oder einzelne Beamte die Verbrechen gedeckt haben. Die Taten müssen jetzt aufgeklärt und alle Beteiligten konsequent bestraft werden. Im Bereich der Sicherheitsbehörden haben wir mit dem gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und einer gemeinsamen Datei von Bund und Ländern Entscheidendes geleistet, damit sich so eine Tragödie nicht wiederholt.

Hatten Sie aber damals, als der NSU aufgedeckt wurde, nicht angeordnet, dass keine Akten vernichtet werden sollten?

Ich habe angeordnet, den Strafverfolgungsbehörden alle relevanten Akten zur Verfügung zu stellen. Sicherlich war eine Vernichtung von Akten in der konkreten Situation unsensibel. Klarzustellen ist aber auch, dass eine Rekonstruktion später ergeben hat, dass die geschredderten Akten keine wesentlichen Erkenntnisse zum NSU enthielten. Auch habe ich nach einer umfassenden Aufklärung durch einen Sonderbeauftragten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Vertuschung unliebsamer Akteninhalte Hintergrund der Vernichtung war.

Sie sprachen von Aufklärung. Glauben Sie immer noch an eine lückenlose Aufklärung der Morde?

In Deutschland kümmern sich die Institutionen auf höchster Ebene um die Aufklärung: Das Oberlandesgericht München, ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages und eine Bund-Länder-Kommission der Exekutive. Eine Aussage von Frau Zschäpe würde die Aufklärung natürlich erheblich erleichtern.

Den Statistiken zufolge ist Deutschland immer noch ein Zuwanderungsland und es werden nach wie vor viele Menschen nach Deutschland kommen. Was ist Ihrer Meinung nach zu tun, wie könnte besser auf diese Situation reagiert werden? Frau Böhmer sagte: „Wir müssen die Willkommenskultur stärken“.

Zuwanderung geht auf Dauer nicht ohne Integration. Hier haben wir schon viel erreicht. Es gibt unzählige Beispiele gelungener Integration in Deutschland, jenseits von Mesut Özil. Dazu haben auch die Integrationskurse beigetragen, für die die Bundesregierung seit 2005 über eine Milliarde Euro bereitgestellt hat und an denen bereits über 800.000 Menschen teilgenommen haben. Aber natürlich gibt es auch noch Probleme, die man nicht verschweigen darf. Manche müssen sich noch stärker um den Anschluss an unsere Gesellschaft bemühen und dürfen sich nicht abschotten. Gleichzeitig suchen wir zum Beispiel nach Wegen, den Anteil von Migranten im öffentlichen Dienst zu steigern.

Zum Abschluss: Was erwarten Sie sich von den Bundestagswahlen? Möchten Sie als Bundesinnenminister weiter machen? Wie gehen Sie mit der hohen Wahrscheinlichkeit einer Großen Koalition um?

Ich habe zwei Ziele: Erstens möchte ich, dass Frau Merkel weiter Bundeskanzlerin bleibt. Und zweitens will ich meine Arbeit als Innenminister fortführen. Ob das so kommt, darüber entscheidet im Herbst der Wähler.