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Politik

Der Syrien-Konflikt: Wie alles begann

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Als „Arabischer Frühling“ gepriesen erwiesen sich die Aufstände in Ägypten und Syrien als Alpträume. Je mehr Konfliktparteien involviert sind, desto verzwickter wird die Lage. Doch wie begann damals der Konflikt?

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Syrien: Berichte über Tod von Assads Cousin
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Seit mehr als vier Jahren tobt in Syrien ein erbitterter Bürgerkrieg, der unzähligen Menschen das Leben kostete und Millionen von Syrern in die Flucht gezwungen hat. Mehr als fünf Millionen Flüchtlinge halten sich schon allein in den Nachbarländern Syriens auf und Zehntausende sind auf dem Weg nach Europa. Schon lange ist vergessen, dass die syrische Protestbewegung im Frühjahr 2011 mit großen Hoffnungen begann, ähnlich wie in Ägypten und Tunesien. Mehrheitlich junge Menschen gingen damals auf die Straßen, um gegen das autoritäre Regime Baschar al-Assads zu demonstrieren und demokratische Rechte und politische Partizipation einzufordern. Doch was damals als friedliche Protestbewegung begann, hat sich in überraschend kurzer Zeit zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickelt. Nicht wenige sprechen nun von einem komplexen Stellvertreterkrieg, in den regionale und globale Akteure verwickelt sind.

Schmelztiegel verschiedener Ethnien und Konfessionen

Der Bürgerkrieg in Syrien fußt abgesehen von Machtansprüchen verschiedener Interessengruppen außerdem auf geostrategischen, demographischen sowie konfessionellen Gegebenheiten. Zunächst einmal lag Syrien schon vor Ausbruch des Bürgerkriegs inmitten einer instabilen Region und grenzt an explosive Konfliktgebiete wie Israel und Palästina, den Libanon und Irak. Daneben kann Syrien demographisch und konfessionell als Schmelztiegel verschiedener Ethnien und religiösen Strömungen bezeichnet werden. Auch wenn die Mehrheit der syrischen Bevölkerung aus sunnitischen Arabern besteht, gibt es dennoch einige Minderheiten, die das gesellschaftliche Bild und das politische Geschehen des Landes enorm beeinflussen.

Syrische Kurden pflegen Unabhängigkeitsbestrebungen

Die wichtigste ethnische Minderheit wird gestellt von den Kurden, die vor allem im Norden des Landes entlang der Grenze zur Türkei beheimatet sind. Die syrischen Kurden pflegen seit Beginn des Syrienkonflikts den Gedanken, ihre Unabhängigkeitsbestrebungen voranzutreiben. Deshalb schlugen sie sich anfangs weder auf die Seite Assads noch auf die der Oppositionellen. Die Neutralität der syrischen Kurden kam Assad nicht ungelegen, weshalb er die Selbstverwaltung der Kurden im Norden des Landes tolerierte. Erst nachdem der IS brutale Eroberungszüge in alle Richtungen Syriens unternahm, nahmen auch die syrischen Kurden eine insgesamt aktivere Rolle innerhalb des Syrienkonflikts ein. Zuletzt kam es immer wieder zu heftigen Gefechten zwischen den beiden befeindeten Gruppen.

Alawiten dominieren Staatsgeschicke

Betrachtet man die konfessionelle Zusammensetzung Syriens vor Ausbruch des Bürgerkriegs, so fällt auf, dass knapp drei Viertel der Bevölkerung sunnitische Muslime waren, jedoch nur in sehr geringen Maßen politische Partizipation genossen. Denn seit der Machtübernahme der alawitischen Assads im Jahr 1971 wurde der syrische Staatsapparat weitestgehend von Alawiten kontrolliert. Ebendiese stellten nur die zweitgrößte religiöse Konfession mit einem Bevölkerungsanteil von 10-15 Prozent und waren im Grunde genommen eine religiöse Minderheit des Landes. Dennoch dominierten sie jahrzehntelang maßgeblich die Staatsgeschicke des Landes und besetzten außerdem wichtige Posten innerhalb des politischen Systems. Die alawitische Dominanz betrachten viele syrische Sunniten mit Argwohn. Bereits vor Ausbruch des Bürgerkriegs kam es hin und wieder zu Aufständen gegen das Regime, die alle gewalttätig niedergeschlagen wurden. Die demographische Zusammensetzung Syriens lässt erahnen, warum Assad mit allen Mitteln versucht, seinen Posten zu behalten: „Verlöre Assad die Macht, beträfe dies seinen ganzen Clan mit allen Privilegien und die alawitische Minderheit“ (Wolfgang Günter Lerch). Allerdings wird Assad auch vom Großteil der syrischen Christen unterstützt, die immerhin rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Sie treibt vor allem die Sorge und Ungewissheit, inwiefern sich die Lage für Christen nach einem Regimewechsel ändern könnte. Das plötzliche Aufkommen des IS hat auch die letzten verunsicherten Christen in die Arme Assads getrieben. Für sie ist Assad das kleinere Übel. Daneben genießt Assad auch die Rückendeckung jener sunnitischen Araber, die ein individuelles Interesse am Fortbestehen des Regimes haben, da sie Posten in der Armee und Bürokratie besetzen. So fand Assad von Anfang an mindestens ein Drittel der syrischen Bevölkerung auf seiner Seite, die zum einen das strategisch wichtige Militär kontrollieren und zum anderen bereit waren, alles daran zu setzen, sein Regime am Leben zu halten.

Gegensätzliche Gesellschaftsmodelle

Die Ursachen des andauernden Syrienkonflikts sind vielfältig und hängen unmittelbar mit der demographischen Verfassung des Landes zusammen. Wie in vielen muslimisch geprägten Ländern ist auch Syrien vom Gegensatz des islamischen und säkularen Gesellschaftsmodells betroffen. Die Volksgruppen der Alawiten, Christen sowie Kurden wollen an einem säkularen System festhalten, wogegen innerhalb der sunnitischen Bevölkerung des Landes zunehmend Stimmen nach einem muslimisch geprägten System laut wurden. Hinzu kam die sunnitisch-alawitische Konkurrenz, die von einigen radikal-fundamentalistischen Gruppierungen vor und während des Bürgerkriegs instrumentalisiert wurde. Damit machten sie Gebrauch von einer tatsächlichen Konfliktlinie zwischen Sunniten und Schiiten, die sich vor allem in den letzten Jahren im Nahen Osten stärker bemerkbar macht.

Arabisch-kurdischer Konflikt

Anfangs spielte auch der arabisch-kurdische Konflikt eine relevante Rolle. Aufgrund der Autonomiebestrebungen der Kurden im Norden des Landes kam es schon vor dem Bürgerkrieg immer wieder zu Spannungen zwischen beiden Volksgruppen. Inzwischen kontrollieren Kurden tatsächlich viele Städte im Norden Syriens und demonstrieren mehr als bloße Selbstverwaltung. Zu Beginn des Bürgerkriegs war für viele syrische Rebellen die Abwehr der kurdischen Autonomiebestrebungen ein genauso wichtiger Bestandteil des Aufstands, wie der Kampf gegen Machthaber Assad. Heute liefert sich der IS gleichsam Kämpfe mit Kurden und den Anhängern Assads.

Konfliktlinie globaler Akteure

Nicht zuletzt kann Syrien als Dreh- und Angelpunkt des Nahen Ostens zudem als Konfliktlinie globaler Akteure betrachtet werden. Ein Blick in die jüngste Geschichte der Levante zeigt, dass Großmächte oftmals um Einfluss in Syrien miteinander konkurriert haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten Großbritannien und Frankreich die Herrschaft des Osmanischen Reichs in Syrien zu beenden. Im Kalten Krieg versuchten die USA den Einfluss der Sowjets in Syrien einzudämmen, welche hervorragende Beziehungen zum Baath-Regime pflegten. Und auch heute, zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs, scheint die strategische Rivalität von globalen Akteuren keine unwichtige Rolle im Syrienkonflikt zu spielen.

Einheitliches Syrien unwahrscheinlich

Der syrische Bürgerkrieg fußt sowohl auf politischen als auch auf demographischen sowie konfessionellen Ursachen. Noch kurz vor Ausbruch der ersten Aufstände im März 2011 glaubte niemand an eine Revolte in Syrien. Das Land galt als politisch stabil. Heute ist Syrien ein Land, welches der „Arabische Frühling“ am stärksten verändert hat. Es versinkt im Chaos des Bürgerkriegs und es ist fraglich, ob aus dieser Unordnung jemals wieder ein einheitliches Syrien hervorgehen wird.