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Politik

Der Tag danach: Die Stilblüten der türkischen Presse

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Am Tag nach der Armenier-Resolution sind Wut und Hass in der Türkei groß. Die türkische Medienlandschaft bringt wieder fragwürdige Stilblüten en masse hervor. Die Inhalte und vertretenen Meinungen sind größtenteils dieselben, aber Ton und Layout machen den Unterschied.

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„Historisch“. Mit diesem Wort wurde in den letzten 24 Stunden recht inflationär umgegangen. Historische Verantwortung, eine historische Leistung, ein historischer Fehler: Wie man es auch sehen mag, die gestrige Resolution hat auf jeden Fall – auch so ein oft inflationär verwendetes Wort – polarisiert.

Aus der armenischen Hauptstadt Jerewan kamen gestern Freuden- und Dankesbekundungen der Regierung. Am Abend zogen dann um die hundert meist junge Armenier zu einer Freuden-Demonstration vor die deutsche Botschaft und hielten Schilder in die Luft, auf denen „Danke“ geschrieben stand.

Und in der Türkei? Da ist die Stimmung beinahe genauso einhellig, nur dass heute statt Freude und Dankbarkeit Enttäuschung und Wut dominieren. Und in dieser Gefühlslage sind sich ausnahmsweise mal über die Parteigrenzen hinweg fast alle einig. Es kommt selten vor, dass Regierungs- und Oppositionspresse ins selbe Horn blasen. Der Ton unterscheidet sich dabei zum Teil, aber die Musik ist weitestgehend die gleiche.

Über die Stränge schlagen vor allem die üblichen Verdächtigen, auf Grautöne oder gar differenziertes Abwägen wird dabei natürlich verzichtet, stattdessen wird die nationalistische Karte allzu offen ausgespielt. „Unser Waffenbruder ist uns in den Rücken gefallen“ schreibt Sabah, eines der Flaggschiffe der Regierungspresse, um gleich auf Seite eins neben einem Bild Cem Özdemirs darauf hinzuweisen, dass auch „11 türkische Abgeordnete an der Verrats-Resolution teilgenommen“ haben. Alle 11 Bundestagsabgeordneten mit türkischen Wurzeln hatten gestern für die Resolution gestimmt. Auch die Takvim, die sich bereits während der Böhmermann-Affäre an Deutschland abgearbeitet hat, kommt mit dem Narrativ vom deutschen Verrat um die Ecke: „Deutschland, das als Freund gesehen wurde, hat sich als ein Brutus herausgestellt.“

Akşam titelt auf Deutsch: „Dummkopf!“. Die einst regierungskritische, mittlerweile aber beinahe auf AKP-Linie gebrachte Hürriyet kommt mit einem deftigen „Schande über Euch!“ daher und gibt die klassischen Argumente wieder: Parlamente sind keine Gerichte und so weiter. In den meisten türkischen Zeitungen auch prominent vertreten ist die Leipziger CDU-Abgeordnete Bettina Kudla. Sie war die einzige Parlamentarierin, die gegen die Resolution gestimmt hatte. In nahezu jeder Zeitung wird sie erwähnt, manche widmen ihr gar kurze Geschichten.

Natürlich ist es auch wieder Zeit für Verschwörungstheorien: „Alles für die PKK“ titelt das Regierungsblatt Star unter einem großformatigen Foto Angela Merkels mit einem Hitlerbart, der aus ihrem Namen besteht. Darunter die hanebüchene These: Deutschland konnte seinen Plan nicht umsetzen, die PKK zu retten, deshalb versucht es jetzt, der Türkei mit der Völkermord-Resolution zu schaden. Aha.

Mit den Nazis hat es auch das islamistische Revolverblatt Yeni Akit: „Der Nazi bellt, die Karawane zieht weiter“ („Nazi ürür, kervan yürür“), eine Abwandlung des türkischen Sprichwortes „Der Köter bellt, die Karwane zieht weiter“ („İt ürür, kervan yürür“). Sinngehalt: Labert ihr nur, wir machen hier unser Ding. Überhaupt: Wo man auch hinsieht, Nazis und Hitler. Milat zeigt Hitler mit ausgestrecktem Arm vor den abstimmenden Bundestagsabgeordneten unter der Überschrift „Hitlers Kinder“ und prangert an, dass „die Deutschen, die Menschen in Öfen verbrennen und Seife aus ihnen machen“ es sich anmaßen, die Türkei des Völkermords zu beschuldigen. Auf der Titelseite von Gazete Harbi ebenfalls ein finster dreinblickender Adolf neben der Überschrift „Unser Vater ist nicht Hitler“.

Und auch die regierungskritische Presse steht da oft nicht nach. Vor allem die kemalistisch-nationalistische Sözcü zieht arg vom Leder: „Schämen Sie sich!“ schreibt sie in großen Lettern auf Deutsch, übertitelt mit „Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei des Völkermords“. Vollständig ist so eine Schlagzeile natürlich nur mit einer gephotoshopten Hitler-Merkel-Kollage: Die Kanzlerin samt aufgemaltem Hitlerbart in Naziuniform vor einer Hakenkreuzfahne. Und natürlich muss sich auch Sözcü am vermeintlichen „Haustürken“ Cem Özdemir abarbeiten. Dass er ein „Armenierabzeichen“ am Revers seines Jacketts trug, als er seine Rede im Bundestag hielt, ist für Sözcü – aber auch für viele andere Zeitungen – ein Skandal. „Was für ein Türke!“ schreibt die nationalistische Zeitung deshalb abwertend.

Cumhuriyet berichtet relativ seriös über die Ereignisse, lässt es sich aber nicht nehmen, sie zu einer persönlichen Niederlage Erdoğans umzumünzen. „Das deutsche Parlament hat den ‚Völkermord-Entwurf‘ verabschiedet, die AKP und Erdoğan haben einen weiteren diplomatischen Krieg verloren“, schreibt sie unter dem Titel „Die 1915-Einsamkeit“ („1915 yalnızlığı“). Eine angenehme Ausnahme: Linke Tageszeitungen wie BirGün. Hier spielt die Resolution auch eine Rolle auf der ersten Seite, doch sie gibt die Ereignisse wenigstens nüchtern wieder.

Mit der Völkermord-Resolution will der Bundestag ja nach eigenen Angaben einer Aufarbeitung der Geschehnisse und einer Annäherung zwischen Türken und Armeniern einen Dienst erweisen. Zumindest am Tag danach sieht es eher nach dem Gegenteil aus. Aber zumindest in einer Hinsicht haben die deutschen Parteien einen klitzekleinen Beitrag zu Versöhnung geleistet: In Hass und Wut auf Deutschland zeigen Regierungs- und Oppositionslager plötzlich seltene Einheit.