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Der Türke als Feindbild – Vom Papst Urban II. bis zum heutigen Rechtspopulismus

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Die abwegige Aussage „Am Bosporus muss mit Mohammed, Muezzin und Minarett Schluss sein“ , erinnert mich an den Satz von Papst Urban II. „Jerusalem soll von den Türken gereinigt werden“. Es ist der Widerklang der höchsten Absurdität.

Wer sich mit der europäischen Geschichte auseinandergesetzt hat, wird bestimmt die berühmte, eloquente Hetzrede des Papstes Urban II. gegen Muslime gelesen haben. Im Winter des Jahres 1095 hielt er im französischen Clermont eine Predigt zur Befreiung Jerusalems. Nicht er, sondern Jesus wolle, dass seine Grabstätte von den Heiden (!) befreit wird

Deus lo vult – Gott will es“ schrie die Menge, bestehend aus Geistlichen, Kriegern und dem einfachen Volk. Doch der Beifall hielt sich in Grenzen. Urban II. musste fast durch das gesamte Frankenreich reisen, um die Mengen in den Provinzen zu einem Heiligen Krieg anzufachen.

Durch eine weite Landschaft wanderte er, um für den heiligen Kreuzzug zu propagieren. Die „Deus lo vult“-Schreie wurden sodann immer lauter. So entstand nach diesen Hetzreden eine riesengroße Armee von ca. 50.000 Mann, bestehend aus Franzosen, Lothringer und Normannen.

Die Hetze kennt keine Grenzen

Die Hetzparolen, wie die des Alberts von Aachen gewannen immer mehr an Oberhand. Nach seinen Aussagen töteten die Türken sogar die Pilger zu Fuß. Sogar Mädchen, Frauen, Kinder und Greise, kein Alter verschonten sie. Durch dieses grausame Morden gerieten die zarten und vornehmen Frauen in Angst und Entsetzen. Sie eilten, um sich festlich zu schmücken, und böteten sich den Türken selber an.

Das Erbe jener Seldschuken traten dann die Osmanen an und zogen Richtung Abendland. Das Feindbild nahm neue Dimensionen an. Die Türkengefahr des 16. und 17. Jahrhunderts, symbolisiert durch die „Türkenglocken“, wurde zu einem „Ferment der Identität und des Zusammenhalts“ unter den streitenden Fürsten hochgespielt.

Ein Wiener Landknecht berichtete über die Schlacht von Mohács im Jahr 1526, dass die Türken sogar die nicht bewaffneten Christen jämmerlich erschlagen hätten. Damit verlieh er der dramatischen Szene des Krieges noch mehr Glanz. Auch das scheint ein weiteres Beispiel für eine Hetze zu sein, denn historisch belegt konnten diese und ähnliche Aussagen nie.

Nicht zuletzt sei hier auch Martin Luther erwähnt. Er schrieb sogar ein Kinderlied, um damit die Knaben vor den Türken abzuschrecken. „Ein Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken“ schrieb er darin.

Es dauerte bis 1683, bis der großen Gefahr, das Abendland zu islamisieren(!), gemeinsam entgegengetreten und den Osmanen Paroli geboten werden konnte. Die Reichskriegsverfassung wurde verabschiedet und die anschließende „Heilige Liga“ führte erfolgreich einen Abwehrkrieg und ging mit den sogenannten „Türkenkriegen“ dann in die Offensive. Die Patrioten Europas (!), die die Islamisierung des Abendlandes (!) verhindern wollten, rückten die Grenzen immer mehr nach Südosten. Es stellte sich lediglich heraus, dass die meisten Krieger nur um der Beute willen in die Schlacht gezogen waren und nicht für den Glauben. Ähnlich wie bei dem Ersten Kreuzzug, der mit der Rückeroberung Jerusalems enden sollte, doch die Pracht Konstantinopels für viele das endgültige Ziel gewesen war.

Das Feindbild ebbt auf deutschem Boden ab

Erst mit den Beutetürken, die nach Nürnberg, Würzburg, München, Augsburg, Hannover und anderswo als Kriegsgefangene verschleppt wurden und die meisten hier dann eine neue Heimat gefunden haben, ebbte das Feindbild ab. Auf kultureller Ebene fand ein reger Austausch statt. Die deutschen Fürstentümer des 18. Jahrhunderts waren geprägt durch den türkischen Kaffee, den türkischen Wohnstil, Ornamente und Arabesken, die nach orientalischem Vorbild die Häuser und Höfe schmückten. Aus dem Feindbild wurde ein Vorbild in vielen Bereichen des Alltags. Durch das Abklingen der Gefahr kamen Ost und West, Orient und Okzident immer näher zusammen und dieses Verständnis fand dann in Goethes „West-Östlicher Diwan“ schließlich seinen literarischen Höhepunkt.

Diese Versöhnung hielt die nächsten Jahrzehnte an. Deutsche Straßen waren sogar Anfang des 20. Jahrhunderts mit Plakaten überflutet, die „das Land der Brüder im Orient“ als ein zuverlässiges „Reise- und Investitionsziel“ hochpriesen.

Doch dieser Zustand blieb nur zwischen Preußen und der Türkei erhalten. Das Feindbild wurde außer im Preußischen Reich in weiten Teilen Europas weiter vorangetrieben. Nationalistisches Gedankengut überschattete seit der Französischen Revolution die Bemühung, den Türken nicht mehr als Feindbild zu sehen. Der blutrünstige Türke, der in griechischen, bulgarischen oder mazedonischen (damals noch osmanische Provinzen) Flugblättern oder Zeitungen karikiert wurde, sollte hier gar nicht näher dargestellt werden. 

Während die früheren Feindbilder religiöse Motive aufwiesen, werden seitdem mehr die nationalen Gefühle gekitzelt. Es waren und sind ideologische Feindbilder der Staatsmacht, um mit Hetzkampagnen die Massen zu Gunsten der herrschenden Elite zu manipulieren. Grausames Beispiel hierfür war die Herrschaft des Nationalsozialismus.

Der Rechtspopulismus in Deutschland und der historische Vergleich

Fragt man sich, ob dieses Feindbild in Deutschland komplett ausgestorben ist? Wohl kaum. Die Aussagen der Rechtspopulisten in Deutschland erinnern mich an die zahlreichen Hetzreden in der Geschichte.

Der Kern der rechtspopulistischen Agitation besteht darin, die unterdrückten Bedürfnisse der einfachen Menschen an- bzw. auszusprechen. Also ein „Schmelztiegel für Wutbürger“ muss geschaffen werden. Ehrlich gesagt, etwas professioneller als es Papst Urban damals getan hatte. So, dass alle negativen Entwicklungen in die Schuhe der anderen, insbesondere der Muslime, geschoben werden kann.

Abschließend noch drei eklatante Beispiele zur nationalistischen Hetze

  1. Was hätte in Köln eine grandiose Moschee zu suchen, der Islam gehöre doch gar nicht zu Deutschland. Und ob. Weite Teile der Wissenschaft, der Medizin und der Technik, von denen wir heute Gebrauch machen, sind durch die Entdeckungen der muslimischen Wissenschaftler zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert zurückzuführen. Sogar unsere Zahlen sind immer noch arabisch. Außerdem ist unsere Sprache (damit meine ich die deutsche) von türkischen, arabischen und persischen Wörtern regelrecht geprägt.
  2. Multikulti hätte nach den Rechtspopulisten die Aufgabe, die Völker zu homogenisieren und damit religiös und kulturell auszulöschen. Das beste Gegenbeispiel lieferte jahrhundertelang die osmanische Gesellschaft unter dem sogenannten „Millet-System“. Weder der Armenier, noch der Jude und Grieche hatten ihre Identitäten abgeben müssen. Die religiöse und kulturelle Entfaltung fand in Synagogen, Kirchen und gesellschaftlichen Räumen fortgehend statt. Das muslimische Volk der Osmanen war sich der Koranverse bewusst: „Und unter Seinen Zeichen ist die Schöpfung der Himmel und der Erde und die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben (30:22). Das gegenseitige Kennenlernen ist hier beabsichtigt und nicht die Hetze. An dieser Stelle noch der Rückblick auf die „Deus lo vult“-Rufe im 11. Jahrhundert. Ich meine, Gott will doch nicht, dass auf andere gehetzt wird. Das friedliche Mit- und Füreinander laut Koran hat Gott hier anvisiert. Es sei denn, der christliche und der islamische Gott sind zwei verschiedene, was ich sehr bezweifle.
  3. Schließlich die abwegige Aussage „Am Bosporus muss mit Mohammed, Muezzin und Minarett Schluss sein“, erinnert mich an den Satz von Papst Urban II. „Jerusalem soll von den Türken gereinigt werden“. Es ist der Widerklang der höchsten Absurdität.