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Gesellschaft

„Deutsch muss nicht zu Lasten des Türkischen gelernt werden“

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Prof. Dr. Jörg Roche, seit 2007 Leiter des Instituts für DAF (Deutsch als Fremdsprache) der LMU setzt sich für ein absolutes Mehrsprachigkeitssystem und ein hält es für Unsinn, dass Kinder türkischer Eltern Deutsch zu Lasten des Türkischen lernen.

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Wo kann man die Muttersprache am besten lernen (In der Schule oder Zuhause)?

Beides und weder noch.  Leider ist der Schulunterricht oft sehr ineffizient. Das liegt an verschiedenen Faktoren:  Nicht jeder geht gern in die Schule.  Lehrbücher sind manchmal alt, kaputt oder langweilig. Die Unterrichtmethoden sind nicht kommunikativ, sondern sehr traditionell auf reine Grammatik ausgerichtet. Es gibt wenig Zeit und es gibt Noten, die die Schüler abschrecken.  Das alles ist nicht motivierend.  Deshalb ist der Spracherwerb Zuhause, im Beruf und beim Studium oft viel effizienter. Das Problem beim Erwerb zu Hause ist, dass Eltern viel weniger auf die sprachliche Korrektheit achten,  egal ob Türkisch oder Deutsch:  Es wird oft Dialekt und es wird unvollständig und falsch gesprochen.  Damit schleift sich aber schlechte und  falsche Grammatik ein. Das kann sich dann stabilisieren und man bekommt die falschen Strukturen später nicht mehr weg.  Das ist der große Nachteil des Lernens außerhalb des Unterrichts.  Ausgleichen kann man diesen Nachteil , wenn man darauf achtet, dass Kinder korrekt sprechen.  Es ist auch ganz wichtig, dass Eltern, Verwandte und  Freunde den Kindern möglichst früh, schon wenn sie Babys sind, sehr viel vorlesen und Geschichten erzählen.  Wenn die Kinder älter sind, dann lesen sie selber Bücher und wollen auch Geschichten schreiben. Das hilft viel, Sprache richtig zu lernen.  Lesen ist der Schlüssel zur richtigen Sprachverwendung.

Sollen Migranten Zuhause mit ihren Kindern Deutsch sprechen?

Wir haben doch oft gemischte Familienformen. Ein Teil der Eltern spricht mit den Kindern Deutsch und ein Teil benutzt Türkisch oder eine dritte Sprache. Hier sollten die Eltern sich mit den Kindern in der Sprache verständigen, die sie am besten können. Wenn’s geht auf Deutsch.  Aber es ist auch kein Problem, wenn die Eltern mit den Kindern Türkisch sprechen, vor allem wenn sie Türkisch besser können als Deutsch. Grundsätzlich gilt eigentlich, dass man die Sprache sprechen sollte, die man am besten kann. Wenn türkischstämmige Eltern nicht gut Deutsch sprechen können, dann sollten sie mit den Kindern Türkisch reden, damit die Kinder gutes Türkisch lernen und nicht falsches Deutsch. Eltern sollten kleinen Kindern ruhig türkische Geschichten auf Türkisch vorlesen und vorspielen und ruhig auch anfangen Türkisch zu schreiben. Es ist ein großes Problem von einigen Kindern aus Migrantenfamilien, dass sie die Schriftsprache nicht beherrschen.  Zum Deutschlernen ist eigentlich außerhalb der Familie genug Zeit und Möglichkeit. Aber man darf seine Kinder auch nicht aus Angst vor der deutschsprachigen Umgebung davon fernhalten. Mit Freunden, in der Schule, in der Kita, beim Sport etc., überall kann man ausreichend Deutsch lernen, wenn man den Kontakt sucht. Aber auch die Eltern sollten eben Deutsch lernen, damit sie zum Beispiel mit den Lehrern reden und sich gut über Schule und Berufsausbildung informieren und die vielen Chancen für ihre Kinder nutzen können.

Woran liegt das Problem, dass in Deutschland aufgewachsene Migrantenkinder in der Schule Schwierigkeiten haben?

Das stimmt gar nicht für alle Kinder. Viele Migrantenkinder gehören zu den besten Schülerinnen und Schülern in ihren Schulen. Aber es gibt auch viele, die Schwierigkeiten haben. Und das hat viel mit der Bildungskultur zu tun. In Deutschland wird auch von Kindern erwartet, dass sie viel selbstständig und differenziert lernen und den Lernstoff produktiv weiterbearbeiten, nicht nur auswendig lernen und wiederholen. Dazu gehört dann aber auch eine ausgeprägte Sprachkultur und ein gutes Sprachbewusstsein für Präzision, Differenzierungen und Variation. Die Grundlagen für eine solche Sprachkultur beginnen zu Hause, zum Beispiel durch viel Lesen oder durch die gemeinsame Beschäftigung mit und Diskussion von interessanten Fragen des Alltags, der Arbeit, der Politik, der Sprache oder der Kultur.

Sollen Migrantenkinder erst mal ihre Muttersprache und dann Deutsch lernen?

(12.20) Ich bin für ein absolutes Mehrsprachigkeitssystem. Manche Leute behaupten, dass Migrantenkinder überhaupt nur Deutsch lernen sollen. Laut ihnen sollten Migrantenkinder die Familiensprache gar nicht lernen, und wenn überhaupt eine Fremdsprache, dann sollten sie vor allem Englisch als internationale Verkehrssprache lernen. Das halte ich für einen völligen Unsinn. Es ist richtig, dass in Deutschland lebende Türken Deutsch können müssen und sie sollten vor allem ihren Kindern ganz früh die Möglichkeit geben Deutsch zu lernen. Das muss aber nicht zu Lasten des Türkischen gehen. Die Kinder können parallel zwei oder drei Sprachen lernen. Das ist kein Problem. Jeder Mensch, der eine Sprache gelernt hat, kann auch eine zweite Sprache sehr gut lernen.  Aber Eltern sollten auf die Korrektheit, Vielfalt und auf Schrift- und Bildungssprache achten, und zwar in allen Sprachen ihrer Kinder.

Bis zu welchem Alter kann man eine Sprache lernen? Manche Wissenschaftler behaupten, dass man eine Fremdsprache bis zum 12. Lebensjahr wie ein Muttersprachler lernen kann. Stimmt das?

Jeder Zeit; von Null bis 100. Das ist die Wahrheit. Die Hypothese zum 12. Lebensjahr hat sich nicht bewahrheitet. Man hat früher mal gedacht, dass es da eine kritische Periode gibt. Am ehesten gibt es Beschränkungen bei der Aussprache im fortgeschrittenen Alter. Man geht heute davon aus,  dass sich das wesentliche Aussprachesystem bei Babies in den ersten drei Lebensmonaten einigermaßen verfestigt. Nach der Geburt findet in den ersten drei Monaten also eine gewisse Fixierung statt. Diese Fixierung ist aber für viele Menschen gar nicht hörbar und sie bedeutet nicht, dass man nicht Sprachen lernen kann. Wir wissen, dass für viele Leute nach dem Alter von 12 Jahren Sprachen ohne Akzent lernen können.  In vielen Bereichen der Sprache ist Alter sogar ein Vorteil. Zum Beispiel lernen Menschen, die einen Beruf gelernt haben, sehr gut die Fachsprache in einer fremden Sprache, weil sie viel Wissen haben.

Warum ist das Image des Türkischen in Deutschland nicht so gut? (Z.B. wollen ganz wenige Deutsche Studenten  Türkisch lernen)

(18.00 Auch in der Schule ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Es ist dabei im Prinzip jetzt schon technisch möglich, an öffentlichen Schulen Türkisch zu unterrichten und zu lernen.  Man kann im Prinzip in Bayern auch in Türkisch Abitur machen.  Allerdings kommen keine Gruppen zusammen, die groß genug sind, um gemeinsam Türkisch zu lernen. Was die Türkische Sprache betrifft, so liegt das mangelnde Image sicher an einer Ignoranz der Leute, die die Sprache nicht kennen. Deswegen können sie sie nicht richtig einschätzen. Dann gibt es auch die Vorstellung, Türkisch sei für Deutsche schlecht zu verstehen und zu lernen. Aber jede fremde Sprache ist am Anfang schlecht zu verstehen und schwer zu lernen.  Wenn sich die Leute aber mit dem Türkischen beschäftigen würden, dann würden sie feststellen, dass es eine interessante und eigentlich eine sehr lernfreundliche Sprache ist, weil die Grammatik so systematisch ist, weil es viele bekannte Wörter gibt und weil viele Laute ganz ähnlich wie im Deutschen sind.  Um das Prestige der türkischen Sprache zu erhöhen, wäre es meiner Meinung nach auch sinnvoll, die Erträge der türkischen Kultur und die türkische Wissenschaftskultur stärker zu präsentieren. Die Sprache folgt immer der Kultur, Wissenschaft und Kunst. Deshalb finde ich auch das Projekt der Deutsch-Türkischen Universität so wichtig, weil sie eine Möglichkeit bietet, deutsche und türkische Wissenschaftler zusammenzubringen und sie gemeinsam forschen und unterrichten zu lassen, am besten auf höchstem Weltklasseniveau. So etwas könnte eine Turbofunktion für eine Imagesteigerung haben.

Was würden sie zum Thema Integration sagen?

Die Forschungen zu Migration und Integration zeigen, dass die Integration von Migranten in Deutschland viel besser ist, als die Presse es darstellt. Und sie scheint besser zu sein, als in anderen Ländern.  Es sind die Symbole, die von politischen Gruppen und den Medien propagiert werden, um meist in übertriebener Form  Vorurteile zu schüren. Alle echten Studien zur Integration zeigen nämlich, dass es keine Integrationsverweigerung gibt, wie manche polemisch behaupten. Man kann auch mit bloßem Auge beobachten, dass das Zusammenleben verschiedener kultureller Gruppen unter Nachbarn, Kollegen, im Sport, beim Einkaufen oder wo sonst gemeinsame Interessen herrschen,  meist gar kein Problem im Alltag ist. Was für die Menschen zählt, ist, ob jemand freundlich, hilfsbereit, ehrlich und vor allem anständig ist. Und da ist es ganz egal, ob jemand Türke, Deutscher, Amerikaner, Asiate oder Europäer ist.