Connect with us

Gesellschaft

Deutscher zu werden gilt nicht mehr als Verrat

Spread the love

Die Türken, die in Deutschland leben, müssen sich zwischen zwei Pässen entscheiden. Dabei lehrt die Erfahrung, dass die Einbürgerung mit Blick auf die Einbindung ins politische und soziale Leben des Landes langfristig vorteilhafter wäre. (Foto: rtr)

Published

on

Spread the love

In 2012 wurden über 112 300 Bürger in Deutschland eingebürgert. Laut dem deutschen Statistischen Bundesamt stieg die Zahl der Einbürgerungen im Vergleich zu 2011 um 5400 oder 5,1%, Gegenüber 2010 war es ein Anstieg um 10 800 oder 10,6% im Jahr 2010. Somit hielt die positive Entwicklung im neuen Jahr an. Seit dem Inkrafttreten des neuen Einbürgerungsgesetzes im Jahre 2000 ging die Anzahl der Einbürgerung zurück, von 186 700 im Jahr 2000 bis auf 94 500 im Jahr 2008. Seitdem stiegen die Zahlen stetig weiter.

Wie auch in den vergangenen Jahren wird die Liste der meisten eingebürgerten Nationalitäten von türkischen Bürgern angeführt (33 200 Fälle), gefolgt von Menschen aus dem ehemaligen Serbien und Montenegro und dessen Nachfolgerstaaten (6100 Fälle) und Polen (4500 Fälle). Damit erhöhte sich die Anzahl der eingebürgerten Türken um 18,3 Prozent.

Um einen Antrag für auf die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft zu stellen, müssen Menschen normalerweise seit mindestens 8 Jahre lang in Deutschland gelebt haben und in der Lage sein, ihre Familien und sich selbst finanziell zu versorgen. Die deutschen Sprachfähigkeiten werden sowohl im Sprechen als auch im Lesen getestet und um ein Neubürger werden zu können, muss man diesen Test natürlich bestehen.

EU-Bürger lassen sich selten einbürgern

Das realisierte Einbürgerungspotenzial, also die Rate der Einbürgerungen im Vergleich zur Anzahl der Ausländer, die mindestens seit 10 Jahren in Deutschland leben und alle Anforderungen erfüllen, betrug im Jahre 2012 durchschnittlich 2,4%. Bürger der EU-Mitgliedsstaaten liegen dabei normalerweise unter dem Durchschnitt mit 1,2% – wahrscheinlich, weil es weniger Zusatznutzen für sie bedeutet, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, als im Fall der Menschen von außerhalb der EU.

Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer behauptete, dass es eine zunehmende Aufwärtsbewegung in der Anzahl jener Türken gab, die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Sie nahm in diesem Zusammenhang auch die Autoritäten in die Pflicht und vereinfachte die Einbürgerungsprozesse. Die Abläufe seien zuvor „demotivierend“ gewesen und nahmen zu viel Zeit der Betroffenen in Anspruch, so Böhmer.

Ekrem Şenol, dem Gründer und Chefredakteur des MiGAZIN zufolge – eines Online-Magazins, das sich auf Migration und Integration in Deutschland fokussiert – sei dies das Ergebnis eines natürlichen Prozesses. „Der Anstieg der Anzahl der Türken, die sich dafür entscheiden, deutsche Staatsbürger zu werden, hat praktische Gründe. Zum Beispiel gibt es berufsbedingte Gründe. Ausländer können keine Staatsbeamten in Deutschland werden. Wenn also ein Türke ein Lehrer werden möchte, so muss er die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen.”

Mahmut Çebi, ein Kolumnist für Zaman, widerspricht dieser Einschätzung. Er denkt, dass das Optionsmodell für diesen Anstieg verantwortlich ist, wonach alle jungen Menschen ausländischen Ursprungs, die eine deutsche Staatsbürgerschaft nach der Geburt erhalten hatten, im Alter von 23 Jahren erklären müssen, ob er oder sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft behalten oder eine andere behalten wollen. Da die 23-jährigen dieses Jahres die erste Gruppe darstellen, die diese Entscheidung treffen muss, habe sich auch die Anzahl der Einbürgerungen in diesem Jahr erhöht.

Deutsche Staatsbürgerschaft praktischer für Deutsch-Türken

Außerdem wurde die Befreiung vom türkischen Militärdienst teurer (12.000€), erklärte er Sunday`s Zaman. „Es gibt immer noch fast 2 Millionen Türken, die in Deutschland ohne türkischen Pass leben; wir sollten diese Anzahl nicht ignorieren, indem wir die 33 000 Einbürgerungen aufbauschen.”

Sezen Tatlıcı, Gründerin und Vorsitzende der multikulturellen Jugendorganisation „Typisch Deutsch“, die versucht, die multikulturellen, multiethnischen und multireligiösen Eigenschaften der deutschen Gesellschaft zu betonen, denkt, dass sich die Lage in den letzten Jahren geändert hat. „Deutschsein ist nicht länger an starke Grenzlinien gebunden; in der Definition ist viel mehr inbegriffen. Bis vor einigen Jahren wurde es unter den Türken als Verrat angesehen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen”, erzählt sie Sunday`s Zaman.

Mahmut Eğilmez, ein 22-jähriger Student, wurde vor erst vor einigen Tagen zu einem deutschen Bürger. Er möchte Lehrer werden. „Nichts in meinem persönlichen Leben hat sich geändert”, sagt er. „Ich bin immer noch ein Türke und ich liebe meine türkische Kultur immer noch. Außerdem ist meine Muttersprache Türkisch. Meine deutsche Staatsbürgerschaft brauche ich nur, um mehr Rechte in Deutschland zu haben. Es ist wichtig, sich gesellschaftspolitisch in Deutschland zu engagieren und uns daran zu beteiligen, unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten”, erklärt er Sunday’s Zaman.