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Geschichte

Komplizierte Freundschaft im Schatten der „Waffenbrüderschaft“

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Deutschland und die Türkei blicken auf eine über 150 Jahre alte Beziehung zurück. In diesen Jahren haben beide Länder gemeinsam mehr Tiefen als Höhen erlebt. Zu einer herzerwärmenden Freundschaft ist es in dieser Zeit nicht gekommen. (Foto: rtr)

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Es weht ein „kalter Wind“ zwischen den alten „Partnern“ Deutschland und Türkei. Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND höre die Türkei ab. Das Medienecho ist groß und der Haussegen zwischen Merkel und Erdoğan hängt wieder einmal schief, könnte man meinen. Doch eine ähnliche Situation gab es bereits 1990, als bekannt wurde, dass der türkische Geheimdienst MİT über die damals 13 türkischen Konsulate versucht hatte, in Deutschland lebende Türken als Spitzel anzuwerben. Bis zu 30 Geheimagenten hätten als Konsulatsbeamte getarnt für den MİT gearbeitet. 15 davon unter dem Schutz konsularischer Immunität. 200 V-Leute sollten demnach oppositionelle und extremistische Personen ausspioniert haben. Nach Bekanntwerden des Falls hatte die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen, doch man einigte sich und der Fall wurde geschlossen.

Die aktuelle BND-Spionage ist zwar ein offener Eklat, doch in Zeiten von WikiLeaks, dem Fall Snowden und sogar Abhör-Affären zwischen Deutschland und USA eigentlich wenig verwunderlich. Auf deutscher Seite wird die aktive Observierung des NATO-Partners mit der akut problematischen Krisensituation im Nahen Osten und der Schlüsselrolle der Türkei als „Regionalmacht“ gerechtfertigt. In der Türkei hingegen gibt es sehr stark voneinander abweichende Äußerungen, was den Fall betrifft. Zwar bezeichnete Ex-Außenminister Ahmet Davutoğlu den Fall als nicht hinnehmbar und führte ein Telefonat seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Doch Innenminister Efkan Ala bezeichnete eine Überwachung seitens Deutschlands als „normal“. Die Innenminister und Geheimdienstchefs beider Länder tauschten sich aus, eine Entschuldigung seitens Deutschland wird es höchstwahrscheinlich nicht geben; damit scheint die Sache erledigt zu sein. Der alte Premier und neue Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan relativierte den Vorfall und sagte, dass „Länder mit stärkeren Geheimdiensten, Länder mit schwächeren abhören“ und man das so hinnehmen müsse. Man wolle bei den kommenden internationalen Kongressen dieses Thema ansprechen.

Mythos „Waffenbrüderschaft“

Die unterschiedliche Wahrnehmung der bilateralen Beziehung und Reaktion auf die Affäre ist zum einen historisch bedingt. Lange hing über den Beziehungen der Nimbus des Mythos der „Waffenbrüderschaft“ aus dem Ersten Weltkrieg. Man sprach immer von einer Art „Erbfreundschaft“ und wollte bestehende wirtschaftliche Verflechtungen oder Interessen anderer Art nicht gefährden.

Zum anderen ist die Reaktion auch ein Spiegelbild aktueller außenpolitischer Einschätzungen des jeweils anderen Staates. Während die Bundesrepublik sich wie eine Großmacht realpolitisch auf den sich stetig wandelnden Konfliktherd Naher Osten einstellt und dabei nicht wie vor hundert Jahren nur die Türken sondern zunehmend die Kurden als Partner in der Region versteht, ist von türkischer Seite eine Lethargie zu spüren, die auf die aktuellen wirren innenpolitischen Geschehnisse in der Türkei zurückgeführt werden kann. Die Türkei scheint durch den Wahlmarathon, angefangen von den Kommunalwahlen im März, den Präsidentschaftswahlen im August und den im kommenden Sommer anstehenden Parlamentswahlen außenpolitisch geschwächt dazustehen.

Die Beziehung dieser eigentlich sehr unterschiedlichen Länder, deren Wege das Schicksal immer wieder kreuzen ließ, ist stets von Höhen und Tiefen geprägt. Bei der Lektüre der Historie stellt sich immer die Frage nach der Art des Verhältnisses. War und ist es eine alte „Waffenbrüderschaft“, eine „privilegierte Partnerschaft“ oder einfach nur eine Freundschaft wider Willen?

Mehmet Oyran, 26, hat Deutsch und Geschichte in Aachen studiert.