Kolumnen
Respekt, Herr Gauck!
Bundespräsident Joachim Gauck wird in Teilen der türkischen Community für seine Äußerungen in der Türkei kritisiert. Ich möchte für mich sprechen und sagen, dass der Bundespräsident für seine deutlichen und klaren Worte meinen Respekt genießt. (Foto: rtr)
Bundespräsident Joachim Gauck wird in Teilen der türkischen Community für seine Äußerungen in der Türkei kritisiert. Ich möchte für mich sprechen und sagen, dass der Bundespräsident für seine deutlichen und klaren Worte meinen Respekt genießt.
Dabei waren seine Aussagen nicht spektakulär. Im Gegenteil – sie sind schlicht und einfach selbstverständlich. Doch in einem Land wie der Türkei, die sich zurzeit in einem politischen und demokratischen Ausnahmezustand befindet, sind diese Selbstverständlichkeiten sehr unangenehm. Würde sich die Türkei hingegen in einer demokratischen Normalität befinden, so hätten sich die Worte Gaucks wie ein Lob angehört.
Klar. Deutschland ist nicht perfekt! Darauf hat der türkische Staatspräsident Gül mit Verweis auf die NSU-Morde zurecht aufmerksam gemacht. Die deutsche Demokratie ist aus Sicht nicht nur der türkische Community weit von der Perfektion entfernt: Doppelpass, Kommunalwahlrecht, Zurückhaltung in der Anti-Diskriminierung, Visa-Regelung, Flüchtlingspolitik, restriktive Einwanderungspolitik und nicht zuletzt die gewalttätigen Übergriffe Rechtsextremer und die NSU-Morde sind Ausdruck dafür, dass die deutsche Demokratie mit Blick auf eine multikulturelle Gesellschaft viele Baustellen bietet. Dies gilt ebenso für die deutschen Medien, die, statt für Verständnis zu werben, lieber skandalisieren und damit den gemeinsam Dialog aller Gruppen vergiften.
Gauck hat in seiner Rede aber etwas angeführt, das in diesem Zusammenhang auch an die türkische Community in Deutschland gerichtet sein könnte. Vor Studenten der ÖDTU/METU in Ankara sagte er: „Das Leben in einer Demokratie ist nicht nur die Erfüllung eines Traums, es ist auch harte Arbeit. Die Demokratie braucht den mündigen Bürger. Den Bürger, der seinen Staat trägt und um immer neue Klippen führt. Den Bürger, der die Geduld nicht verliert im langen Kampf um Verbesserungen. Nicht zuletzt den Bürger, der fähig ist zum Kompromiss.“
Gauck hatte als Sarrazinversteher dem Dialog selbst geschadet
Wenn die türkische Community die deutsche Demokratie mitgestalten möchte, dann muss sie ihre Mündigkeit demonstrieren und sich aktiv für die Durchsetzung ihrer Interessen einbringen. Sie muss auf Missstände aufmerksam machen, ihre Interessen organisieren und ihre Interessenvertreter disziplinieren. Sie muss Lösungen anbieten, aber auch hart dafür kämpfen und schließlich stark genug für Kompromisse sein.
Im Lichte dieser Erkenntnis gebe ich einem weiteren Wort Gaucks meine Zustimmung, wenn er über den Dialog sagt: „Nur auf seiner Basis kann die Verständigung auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft gelingen.“ Trotzdem muss – auch im Sinne des mündigen Bürgers – angeführt werden, dass Bundespräsident Gauck selbst dazu beigetragen hat, dass dieser von ihm geforderten Dialog, der auch auf die Beziehung zwischen der türkischen Community und der Mehrheitsgesellschaft ausgeweitet werden kann, zugeschüttet wurde, indem er für Sarrazins Thesen Verständnis zeigte und den Familien der NSU-Morde mit kurz angebundenen Gesten begegnete. Als Mann der Religion zeigt er zudem wenig Empathie für das religiöse Empfinden der Minderheiten. So ist er der Auffassung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Auch hat er demonstrativ das Centrum für Religiöse Studien an der Universität Münster besucht, dessen Leiter nicht nur in Deutschland für seine umstrittene Auslegung des Islams kritisiert wird.
Aber Gauck scheint in seiner Rede in Ankara selbst zuzugeben, dass auch er viel über die multiethnische und -religiöse Realität Deutschlands lernen muss. „Niemandem darf sein Lebensstil aufgezwungen, niemand an der öffentlichen Ausübung seiner Religion gehindert werden. Auch Deutschland musste und muss diesen Respekt lernen, nicht zuletzt gegenüber den vielen Zuwanderern aus der Türkei, deren kulturelle und religiöse Traditionen uns fremd und unverständlich waren und manchmal noch sind.“
Türkei war Deutschland an Dynamik voraus – und ist es jetzt nicht mehr
Die deutsche Demokratie, so unvollendet sie auch aus Sicht der Minderheiten aus dem Einwanderermilieu sein mag, bietet dazu Raum, in der Öffentlichkeit, für einen Dialog und damit in einen Lernprozess eintreten zu können. Aber genau das ist im Moment der Vorteil Deutschlands gegenüber der Türkei. Dieser Zustand sah vor wenigen Jahren ganz anders aus: Es war die Türkei, die mit ihrer politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt sozialen Dynamik Deutschland auf der Weltbühne fast eingeholt hätte. Aber stattdessen treibt die Regierung das Land nun in eine Richtung, die mehr an ein autoritäres Dritte-Welt-Land statt an eine moderne Zivilisation erinnert.
Ja. Der Bundespräsident muss von uns viel lernen, so wie wir wohl von ihm lernen müssen. Und es würde der türkischen Politik nicht schaden, wenn sie sich ernsthaft mit Gaucks Botschaft auseinandersetzt.