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Bildung & Forschung

Deutsch-Türkisches Wissenschaftsjahr: „Talente von Menschen mit zwei Kulturen nutzen“

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Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Türkei als Partnerland für das Wissenschaftsjahr 2014 ausgewählt. Ministerin Johanna Wanka spricht über die Bedeutung dieser Maßnahme für die deutsch-türkischen Beziehungen. (Foto: Kemal Kurt)

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Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka
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2014 wird für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei eine wichtige Rolle spielen. Beide Länder haben dieses Jahr als Wissenschaftsjahr ausgerufen. Das Deutsch-Türkische Wissenschaftsjahr illustriert auch das 30-jährige Jubiläum offizieller und durch Vertrag institutionalisierter deutsch-türkischen Wissenschaftsbeziehungen.

Es leben derzeit mehr als 3 Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland. Es sind zudem aktuell mehr als 5000 Firmen deutscher Herkunft in der Türkei aktiv. „Das Deutsch-Türkische Wissenschaftsjahr soll dazu beitragen, dass diese stabilen und langjährigen Beziehungen gefestigt und ausgebaut werden“, sagt die Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka.

Dieses Jahr soll unter anderem auch dazu beitragen, dass die deutsche und die türkische Bevölkerung einander noch näher kommen.

Ministerin Wanka stand uns zu diesem Zwecke für ein Interview zur Verfügung.

Warum haben Sie die Türkei als Partner für das Wissenschaftsjahr 2014 ausgesucht?

Die Türkei ist ein Land in dynamischer Entwicklung mit einer reichen Hochschullandschaft und einer starken Wirtschaft. Wegen der Brückenfunktion des Landes als Bindeglied zwischen Europa und Asien und wegen der vielen aus der Türkei stammenden Menschen in Deutschland ist die Zusammenarbeit ein Gewinn für beide Länder. Hierzulande leben fast 3 Millionen Menschen türkischer Herkunft hier, von denen etwas mehr als die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Diese Menschen sind ein wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft. Das Deutsch-Türkische Wissenschaftsjahr soll auch ein Signal der Wertschätzung sein und zeigen, dass die türkischstämmigen Menschen in Deutschland stolz auf ihr Herkunftsland sein können.

Können Sie die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland bis heute bewerten? In welchen Bereichen ist diese Zusammenarbeit stark und in welchen Bereichen sollte sie ausgeweitet werden?

Die deutsch-türkischen Wissenschaftsbeziehungen haben eine lange Tradition. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die großzügige Gastfreundschaft der Türkei für viele aus Deutschland vertriebene Wissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus. Einen geeigneten Rahmen und Anlass für unser gemeinsames Wissenschaftsjahr bietet das dreißigjährige Jubiläum unserer offiziellen bilateralen Wissenschaftskooperation. In diesen drei Jahrzehnten wurde ein exzellentes Fundament für unsere Zusammenarbeit geschaffen.

Es gibt zwischen deutschen und türkischen Hochschulen derzeit 848 Kooperationen, mit steigender Tendenz. Besonders eng arbeiten deutsche und türkische Forscher vor allem in der Gesundheitsforschung, der Biotechnologie und der Ernährungs- und Agrarforschung zusammen. Wir wollen in diesem Jahr erreichen, dass diese Kooperationen ausgebaut werden und neue dazu kommen.

Was werden ausschlaggebende Themen des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahres 2014 sein?

Schwerpunktthemen sind Schlüsseltechnologien wie zum Beispiel die Informations- und Kommunikationstechnologien, die Nano- und Biotechnologie, Erneuerbare Energien und die Agrartechnologie. Zu diesen Themen gibt es Ideenwettbewerbe. Das BMBF und sein türkisches Partnerministerium haben dazu aufgerufen, sich mit Vorschlägen zu melden. Von diesen Ideen sollen neue Impulse für die ganze Gesellschaft ausgehen.

Welche neuen Formen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit werden beschlossen? Welche konkreten Projekte werden ins Leben gerufen?

Grundsätzlich wollen wir genau das im Wissenschaftsjahr herausfinden. Wissenschaft ist erfinderisch und frei. Ich bin neugierig, was am Ende das Ergebnis sein wird. Es geht um die Innovationsfähigkeit unserer Länder, die unseren Wohlstand auf Dauer sichert und uns an der weltweiten Entstehung von Wissen teilhaben lässt. Konkret werden wir zum Beispiel den neuen Sitz des Forschungszentrums „German-Turkish Advanced Research Centre for Information and Communication Technologies“ in Istanbul einweihen. Bis dato hat dieses Forschungszentrum nur in Berlin einen Sitz. Von großem Interesse ist auch die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul. Sie wird natürlich in diesem Jahr eine herausragende Rolle spielen.

Die Türkei hat im Bereich des Technologie- und Knowhow-Transfers große Erwartungen an Deutschland. In welcher Weise ist es Ihrerseits vorgesehen, dieses Knowhow auch der türkischen Seite zur Verfügung zu stellen? Wie bewerten sie diesen Austausch?

Wir haben große Erwartungen, was den Wissenstransfer angeht. Es ist wichtig, dass der Weg von der Forschung zur Anwendung möglichst kurz ist. Das gilt für Deutschland wie für die Türkei. Wissenstransfer ist aber keine Einbahnstraße, sondern ein wechselseitiger Prozess, den wir auf Augenhöhe gestalten werden.

Welchen Beitrag kann ihrer Meinung nach die Türkisch-Deutsche Universität zu den deutsch-türkischen Beziehungen leisten – unter anderem im Hinblick auf das Wissenschaftsjahr?

Ein gemeinsames Leuchtturm-Projekt wie die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) ist ein neuer qualitativer Schritt in unserer Kooperation. Sie ist etwas ganz Besonderes, sie verleiht der Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern eine neue Dimension. Mehr als 5000 deutsche Firmen sind in der Türkei aktiv. Diese wie auch türkische Unternehmen werden sehr großes Interesse an den Absolventen der TDU haben. In das Wissenschaftsjahr wird sich die TDU mit Veranstaltungen und Projekten einbringen. Vor allem aber wird sie eine Begegnungsstätte beider Kulturen und Gesellschaften sein.

Wird es von deutscher Seite eine Visum-Erleichterung für türkische Akademiker und Studenten explizit für das Wissenschaftsjahr geben?

Es gelten die aktuellen Visabedingungen. Für Kurzaufenthalte können Wissenschaftler zum Beispiel ein Schengen-Visum erhalten, das nicht nur in unseren Auslandsvertretungen in Ankara, Istanbul und Izmir, sondern auch bei den insgesamt 7 verschiedenen Annahmezentren im ganzen Land beantragt werden kann – und in der Regel innerhalb weniger Tage erteilt wird.

Was für eine Botschaft wird vom Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahr an die türkischstämmigen Mitbürger ausgehen?

Dieses Deutsch-Türkische Wissenschaftsjahr ist sicher nicht nur für die Wissenschafts-Community von Interesse, sondern auch für die fast drei Millionen Menschen türkischer Herkunft, die in Deutschland leben. Die meisten von ihnen fühlen sich hier sehr wohl und bereichern unser Land, einige haben große Verdienste in der Wissenschaft und in der Wirtschaft erworben. Wir wissen die Talente von Menschen zu schätzen, die in zwei Kulturen zu Hause sind und die mehrere Sprachen sprechen. Ich bin überzeugt, dass die Potenziale gerade der jungen Leute mit Einwanderungshintergrund eine wichtige Chance für Deutschland bieten.

Bei der Anerkennung türkischer Abschlüsse ist in den letzten Jahren sehr viel erreicht worden. Können wir im Wissenschaftsjahr eine Erweiterung oder eine vollständige Anerkennung aller Abschlüsse erwarten?

Durch das Anerkennungsgesetz wurde ein gesetzlicher Rechtsanspruch darauf geschaffen, dass nicht in Deutschland erworbene Abschlüsse auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Berufsabschluss hin überprüft werden. Erste Erfahrungen zeigen: Es bestehen große Chancen, dass die Anerkennungsverfahren bei türkischen Berufsabschlüssen positiv ausgehen – insbesondere bei denen, die nach dem Jahr 2005 gemacht wurden. In fast 80 Prozent der Fälle wurde die volle Gleichwertigkeit bescheinigt. Dies ist sicherlich auch eine Wirkung der großen Fortschritte, die im Berufsbildungssystem der Türkei in den letzten Jahren erreicht wurden.

Wir sehen, dass türkischstämmige Schüler bei den jüngsten Pisa-Lernstandserhebungen besser abgeschnitten haben. Die türkischstämmige Bevölkerung interessiert sich sehr stark für Bildung. Deshalb werden auch durch private Initiativen innerhalb dieser Community Bildungseinrichtungen und Schulen gegründet. Wie bewerten Sie diese?

Wenn wir uns die Ergebnisse der Pisa-Studien der letzten Jahre anschauen, sehen wir bei türkischstämmigen Migranten deutliche Fortschritte, etwa bei der Entwicklung der Kompetenzen in Mathematik. Das ist sehr erfreulich und liegt sicherlich auch daran, dass die Pisa-Studien das Thema Bildung ins öffentliche Bewusstsein gerückt haben – auch bei der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland. Ich begrüße jede Initiative, die zu einer besseren Bildung von Jugendlichen beiträgt.

Deutschland schließt derzeit mit verschiedenen europäischen und ausländischen Ländern Ausbildungsverträge. In Deutschland haben mehrere Tausende türkischstämmiger Jugendlicher keinen Ausbildungsabschluss. Wird es vonseiten Ihres Ministeriums neue Projekte geben, um diesen Jugendlichen auch eine Perspektive für einen Ausbildungsplatz zu geben?

Das BMBF widmet sich mit besonderer Aufmerksamkeit der Zukunftschancen von Jugendlichen. Niemand soll verloren gehen und jeder seine Chancen nutzen können. Wir haben keine speziellen Programme für Jugendliche mit Migrationshintergrund, da wir keine neuen Stigmatisierungen erzeugen möchten. Vielmehr ist es so, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund an unseren allgemeinen Programmen stark beteiligt sind. Das ist gut so, denn es zeigt, dass unsere Maßnahmen auch von diesen Jugendlichen angenommen werden.