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Politik

Deutschland, die PKK und die „Parallelstruktur“ – gegen die Türkei vereint?

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Regierungsnahe türkische Zeitungen schießen sich auf Deutschland ein. Unterstellt wird ein ominöses Dreierbündnis aus Berlin, Pennsylvania und Kandil. Auf die deutsch-türkischen Beziehungen kommen schwierige Zeiten zu.

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Recep Tayyip Erdoğan und Angela Merkel
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Mehrere große türkische Zeitungen, die zu den sogenannten „Pool-Medien“, also der regierungsnahen Presse, gehören, haben am Montag mit schweren Beschuldigungen gegen Deutschland aufgemacht. So prangte auf der Titelseite der Zeitung Star das Bild einer deutschen Patriot-Einheit unter der Überschrift „Terrorunterstützung nach deutscher Art“ („Teröre Alman usulü destek“), während Akşam mit der Schlagzeile „Deutsche Spuren auf PKK-Raketen“ aufwartete, ‚deutsch‘ dabei in schwarz-rot-gold geschrieben.

Die Anschuldigungen haben es derweil in sich, es wird behauptet, dass Deutschland die PKK unterstütze. Man habe in Adana auf einer Müllhalde benutzte Raketenhülsen von PKK-Angriffen gefunden, deren Beschriftung belege, dass sie aus Deutschland kommen. Auch die Tageszeitung Türkiye widmet dem Thema einen eigenen Artikel und schreibt „Deutschland ist einer der größten Geldgeber des PKK-Terrors und hat angefangen, seinen dreckigen Plan umzusetzen“.

Der Abzug der in Kahramanmaraş stationierten deutschen Raketenabwehrbatterie sorgte hinter den Kulissen für Spannungen. Es wurde kolportiert, dass der Abzug der deutschen und US-amerikanischen Soldaten zwar bereits im Vorfeld beschlossene Sache war, die Umsetzung des Abzugs aber als Zurechtweisung der türkischen Regierung interpretiert werden könne. Die NATO-Partner wollten sich nicht dafür einspannen lassen, unter dem Deckmantel des NATO-gestützten Kampfes gegen den IS in Wirklichkeit trotz des Friedensprozesses einen neuen Krieg gegen die PKK vom Zaun zu brechen, um innenpolitische Rechnungen zu begleichen. „Niemand hatte aber die Türkei gebeten, den Einstieg in den Kampf gegen die Terrormiliz IS zu nutzen, um gleichzeitig Angriffe auf die Kurden verüben zu können. […]Wer Partnerschaft missbraucht, muss mit Konsequenzen rechnen“, schrieb beispielsweise die Lüneburger Landeszeitung.

Erdoğan droht Berlin

Bei einer Veranstaltung in Rize wiederum drohte Staatspräsident Erdoğan Deutschland. Er sagte, dass die Türkei einen internationalen Haftbefehl gegen die drei ehemaligen Staatsanwälte Zekeriza Öz, Celal Kara und Mehmet Yüzgeç erlassen und eine Auslieferung verlangen werde. „Falls Deutschland sie uns nicht ausliefert, werden wir keinen einzigen Straffälligen mit der Unterschrift von Erdoğan an Deutschland ausliefern. Die Türkei ist keine Bananenrepublik“, so der Präsident. Die drei Staatsanwälte hätten sich mit ihrem „Putschversuch“ gegen die Regierung und „für den Terror entschieden“, so Erdoğan weiter.

Die drei Anwälte, die eine zentrale Rolle in den Korruptionsermittlungen vom 17. und 25. Dezember 2013 gespielt haben, sollen der Hizmet-Bewegung des muslimischen Predigers Fethullah Gülen nahestehen und Ende letzter Woche über Georgien und Armenien nach Deutschland geflüchtet sein. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, erklärte am Montag, dass der deutschen Regierung keinerlei Informationen über den Verbleib der Staatsanwälte vorlägen.

Deutschland als sicherer Hafen für „terroristische Staatsanwälte“?

Was haben die Flucht der Staatsanwälte, die PKK und der Abzug der deutschen Patriot-Raketen aus der Türkei miteinander zu tun? Geht es nach Präsident Recep Tayyip Erdoğan und den ihm ergebenen Medien, handelt es sich mal wieder um eine internationale Verschwörung gegen die Türkei, in deren Mittelpunkt dieses Mal nicht der Mossad oder die CIA stecken, sondern Deutschland.

Die Deutschen, die „terroristische Staatsanwälte“ aufnähmen, kündigten also gleichzeitig die Solidarität bei der Verteidigung des Landesterritoriums auf. Die „Parallelstruktur“, die die Regierung stürzen wolle, arbeite mit ihnen zusammen. Schließlich stünden ihr nicht nur die drei Staatsanwälte nahe, sondern sie kooperiere auch mit der PKK. Dass die Bewegung des Predigers Gülen seit jeher als einer der entschiedensten Gegner der PKK gilt, erschwert diese Argumentation erheblich, jedoch gibt es auch dafür einen Kunstgriff.

Entmilitarisierung als Verbrechen gegen den Staat

Denn tatsächlich haben Hizmet-nahe Medien wie die türkische Tageszeitung Zaman – immerhin die meistgelesene Zeitung des Landes – sich bereits seit Längerem dafür eingesetzt, eine Entmilitarisierung und politische Lösung der Kurdenfrage unter Beteiligung aller relevanten gesellschaftlichen Akteure zu erreichen und in diesem Rahmen dafür plädiert, eine Trennung zwischen HDP und PKK anzuerkennen. Die PKK sollte weiter als das behandelt werden, was sie ist – eine Terrororganisation. Die linke, pro-kurdische HDP jedoch, die sich seit langem Mühe gibt, sich von der Gewalt und dem Terror der PKK zu distanzieren, sollte jedoch unabhängig von der eigenen politischen Zu- oder Abneigung als legitimer politischer Akteur gesehen werden, anstatt sie per se als Handlanger Kandils zu brandmarken.

Die HDP, deren Einzug ins Parlament die AKP im Juni die Regierungsmehrheit kostete, versucht Erdoğan im Vorfeld der absehbaren Neuwahlen in die Illegalität abzudrängen. Die Gleichsetzung von PKK und HDP sowie die Verbindung der beiden mit der als „Parallelstruktur“ diffamierten Hizmet-Bewegung ist dabei ein Manöver, um vor den Neuwahlen ein Gefährdungsszenario aufzubauen. Der Versuch einer politischen Normalisierung kann so zu einer Verschwörung stilisiert werden.

Dumanlı: Auch die HDP ist eine wählbare Partei

So schrieb der Chefredakteur der Zeitung Ekrem Dumanlı im Vorfeld der Parlamentswahlen, dass für die Leser der Zeitung prinzipiell jede politische Partei wählbar ist – auch die HDP, was gerade für religiös-konservative Kreise einem Tabubruch gleichkam. Der bekannte türkische Politikwissenschaftler Şahin Alpay ging ebenfalls in der Zaman sogar noch einen Schritt weiter. Er rief knapp zwei Monate vor den Parlamentswahlen vom 7. Juni in einer Kolumne unter dem Titel „Tek çare HDP“(„Einziger Ausweg HDP“) explizit dazu auf, die Partei als demokratische Alternative zu wählen, um eine Alleinherrschaft Erdoğans zu verhindern.

Der vielleicht größte Tabubruch aus AKP-Sicht war jedoch, dass Zaman vor den Parlamentswahlen ein Interview mit dem HDP-Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş führte und ihm so ein Forum gab, um seine Sicht der politischen Lage in der Türkei darzustellen. Für Medien vom Schlag der Star, Yeni Akit oder Akşam ist das Beweisführung genug, um die Achse „Parallelstruktur“-PKK-Deutschland der Verschwörung gegen die Türkei zu überführen.

Im Werk „Der Eiserne Kanzler und die Generäle“ wird der auch in der Türkei berühmte Otto von Bismarck mit folgendem Satz zitiert: „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ Vor den absehbaren Neuwahlen hat die AKP-Regierung bereits einen neuen „Krieg gegen den Terror“ begonnen. Die Jagd auf die Hizmet-Bewegung hält indes an.