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Kolumnen

Die Hizmet-Bewegung am Jahresende 2013 – eine Bilanz

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Seit 2012 ist die Hizmet-Bewegung auch hierzulande ein Begriff. Spätestens die vergangene Woche in der Türkei hat sie wieder ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. (Foto: cihan)

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Der islamische Gelehrte Fethullah Gülen - cihan
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Die letzten Tage des Jahres in der türkischen Innenpolitik haben die Hizmet- bzw. Gülen-Bewegung in das Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung zurück katapultiert, auch hierzulande. Und: es ist eine Trendwende festzustellen. Die Berichterstattung normalisiert sich. Wie immer, brauchen einige Medienunternehmen dafür längere Zeit, vor allem ein Hamburger Nachrichtenmagazin, das mit seinen Verschwörungstheorien zur Arbeit des türkischen, in den USA lebenden Predigers vor eineinhalb Jahren einen Negativ-Trend festgelegt hatte. Ihm waren mehrere ARD-Sender gefolgt.

Aber schon im Sommer 2012 war zu beobachten, dass die führenden deutschsprachigen Zeitungen in Europa, die Frankfurter Allgemeine und die Neue Zürcher Zeitung, sich eine eigene Einschätzung des Predigers Fethullah Gülen (Foto) und seiner weltweiten Anhängerschaft erarbeiteten, dass sie nicht mit den Uralt-Vorwürfen gegen Gülen, mit haltlosen Verdächtigungen, der Fälschung von Zitaten und einer Handvoll von immer wieder auftretender sogenannter „Kronzeugen“ ihre Leserschaft zu belehren versuchten. Zu mancher Richtigstellung trug auch ein großes Interview bei, dass Fethullah Gülen im Herbst 2012 einem Türkei-Spezialisten der FAZ gewährte. 

Einige Monate später erschien das Taschenbuch eines deutschen Journalisten im katholischen Freiburger Herder-Verlag, der etwas eigentlich Naheliegendes getan hatte, nämlich die Schulen und Bildungseinrichtungen der Hizmet-Bewegung in Deutschland ohne jede Hektik zu besuchen und darüber zu berichten. Viele hatten bis dahin über die Verhältnisse hinter den Eingangstüren der Schulgebäude nur gemutmaßt, unter ihnen auch der Ausländerbeauftragte der südhessischen Stadt Groß-Gerau, ein Lieblingsinterviewpartner der ARD. Aber keiner der Auskunft Erteilenden hatte bis dahin so einfache Tatbestände ermittelt, wie, dass in den Schulen der Deutsch-Türken Türkisch eine Fremdsprache ist, in Stuttgart, wo die Integration am weitesten vorangekommen ist, sogar nur als Arbeitsgemeinschaft angeboten wird, dass es keine Gebetsräume in den Schulen gibt, keinen Religionsunterricht und dass nach den Lehrplänen des jeweiligen Bundeslandes unterrichtet wird. Sedat Çakır in Groß-Gerau ficht dies nicht an, gegenüber der ARD Gegenteiliges zu behaupten. Das Regierungspräsidium in Darmstadt prüft mittlerweile seinen Fall.

Kein monolithischer Block

Nachdenklich gemacht haben sollte die Chefredakteure von WDR, MDR und HR auch die Untersuchung des führenden deutschen think-tanks, der SWP in Berlin, über Gülen und seine Bewegung, die just zu dem Zeitpunkt erschien, als klar wurde, dass die AKP und die Hizmet-Bewegung kein monolithischer Block sind, dass die Modernisierungs- und Bildungsinitiative von Fethullah Gülen frei von kurzfristigen, lediglich taktischen Erwägungen stattfinden, dass die Bestrebungen seiner Anhängerschaft ernst zu nehmen sind, weil aufrichtig und von einer starken Glaubenskraft und Idealismus getragen.

Dies zu sehen, die Summe von vielen einzelnen Entscheidungen als Motor zu begreifen, fällt in einem Land wie Deutschland schwer, in dem – abgesehen von der Weihnachtszeit – viele Menschen fern von Einstellungen zu Religions- und Glaubensfragen leben. Und bei Journalisten, einem Beruf der Singles, dürfte die Distanz noch größer sein. Umso wichtiger ist es, vorurteilsfrei Entwicklungen zu beobachten, mit Menschen zu sprechen, nahe an ihnen zu sein. Eine besondere Verantwortung kommt dabei auf junge deutsch-türkische Journalisten der dritten Generation zu, aber auch auf ihre Väter, die mit dem Trauma von Militärputschen und der Gefahr von Neuauflagen in der alten Heimat leben. In Deutschland herrschen andere, neuartige Verhältnisse. Die türkische Innenpolitik darf nicht die Feder hierzulande führen. Die Polarisierung zwischen Säkularen, Aleviten, Kurden auf der einen Seite und gläubigen, vielfach konservativen Muslimen auf der anderen Seite macht in der liberal verfassten deutschen Gesellschaft keinen Sinn. Im Grunde genommen ist dies die Nachricht hinter der Nachricht über die neue, gewiss noch unübersichtliche Lage in der Türkei und die Rolle, die die Hizmet-Bewegung hier spielt. Erstmals wird sie in großer Breite in den deutschen Printmedien positiv gesehen, frei von den üblichen Verdächtigungen und Unterwanderungstheorien, zuletzt in der Süddeutschen Zeitung. Das lässt hoffen – Frohe Weihnacht.