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Kolumnen

Deutschland und die USA: Eine enttäuschte Liebe

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Die Erregung über amerikanische Abhörmethoden hält in Deutschland an. Die mit Spannung erwartete Rede von Präsident Obama brachte keine Wende. Lediglich die Kanzlerin kann sich einigermaßen sicher sein, nicht länger belauscht zu werden.

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Die Erregung über amerikanische Abhörmethoden hält in Deutschland an. Die mit Spannung erwartete Rede von Präsident Obama brachte keine Wende. Lediglich die Kanzlerin kann sich einigermaßen sicher sein, nicht länger belauscht zu werden. Der Spiegel und die Süddeutsche befeuern die Debatte mit immer neuen Details. Offen bleibt jedoch, mit welcher Rasterung das Material ausgewertet wurde und wird, das die Amerikaner sammeln.

Aus deutscher Sicht macht das keinerlei Sinn, untergräbt den Rechtsstaat und zeitigt kaum brauchbare Resultate. In der Tat, wenn man an den Vorfall in Boston im letzten Frühjahr denkt, kann man ins Grübeln kommen. Der Anschlag von zwei kasachischen Brüdern auf den Marathonlauf hatte zur Folge, dass ein wichtiger Wirtschafts- und Hochschulraum der USA vorübergehend abgeriegelt wurde, dass Hunderttausende von Menschen in ihren Häusern und Wohnungen ausharren mussten, bis das Signal zur Entwarnung kam. Am Ende sorgte nicht der gigantische Polizeieinsatz für die Festnahme des überlebenden Beteiligten, sondern Kommissar „Zufall.“ Ein Mann entdeckte den meistgesuchten Mann der USA versteckt unter einem Segelboot auf einem Grundstück inmitten eines Wohngebiets. Ähnliche Zufallstreffer, nicht eine systematische Auswertung von abgehörten Telefongesprächen oder mitgelesenen e-mails, führten dazu, dass die USA bislang schweren Anschlägen auf ihrem Territorium in der Folge von 9/11 entgingen.

Deutschland USA

Auch mit Obama änderte sich wenig

Dennoch macht es sich Deutschland mit seiner Kritik zu leicht, und das hat etwas mit enttäuschter Liebe zu tun. Denn jahrzehntelang waren die Deutschen ein Musterschüler Amerikas. Aber nicht nur das: für die Bundesrepublik war es umgekehrt wichtig, als bedeutender Verbündeter Amerikas angesehen zu werden. Diese Liebe hat seit den 1990er Jahren nachgelassen, zunächst kaum merklich, dann in immer größeren Kadenzen. Die Wahl eines Dunkelhäutigen zum Präsidenten der USA brachte dann noch einmal einen Stimmungsumschwung, umso größer ist nun die Enttäuschung. Obama handelt nicht anders als seine Vorgänger, er unterliegt Sachzwängen, er ist der Chef der Supermacht.

Denn das ist Amerika, ungeachtet aller Analysen und Prognosen, dass sich das zwischen zwei Weltmeeren gelegene Land nach einem Jahrhundert der Suprematie im Abstieg befinde. Mal abgesehen davon, ob die Einschätzung stimmt: wer steht zur Ablösung bereit? Wollen wir ernsthaft unter das Dach von Chinesen oder Russen schlüpfen? Eine Supermacht verhält sich in der Weltpolitik so wie es nun einmal das Kalkül eines Landes ist, dass nicht nur Verantwortung für sich selbst trägt, sondern für die gesamte Welt. Es tut das, was es für sinnvoll hält und was die Nation offenkundig von der Führung verlangt: nicht für ungefähre Sicherheit zu sorgen, gewisse Restrisiken in Kauf zu nehmen, sondern für absolute. Das ist die Situation Amerikas, ob wir es mögen oder nicht.

Hinzu kommt die amerikanische Technikbegeisterung, die in Europa die Briten bis zu einem gewissen Punkt teilen. Kein Wunder, dass sich beide Regierungen in der Abhörangelegenheit ziemlich einig sind. Und wenn die Bundesregierung ein wenig mehr Courage zeigen würde, müsste sie eingestehen, dass auch andere europäische Länder über das Abhörthema anders denken als Berlin. Eine durchgreifende Änderung kann nur dann stattfinden, wenn Deutschland und die EU bereit sind, sehr viel mehr Geld in die Hand zu nehmen, um sich selbst vor ungebetenen Gästen und Mithörern abzuschirmen. Dazu war die Bundesrepublik bislang nicht bereit. Sie überschätzte hingegen ihre Bedeutung als Partner der USA in Sicherheitsfragen, war zweifellos hier und da mit ihrer Geheimdienstarbeit behilflich, aber profitierte in der Hauptsache von den Tipps, die Washington bei der Terrorismusabwehr gab.

Ein schwerer Anschlag auf dem Boden der Bundesrepublik, vor dem wir gewahrt bleiben mögen, würde zu einem Stimmungsumschwung im Lande führen. Dann stünde sehr rasch die Frage im Raum, was die Regierung zum Schutz von Leib und Leben der Bundesbürger getan hat. Es ist höchste Zeit, die Diskussion mit mehr Realismus zu führen und sich nicht Tagträumereien über eine Welt von Freunden und Partnern hinzugeben. So ist die Welt leider nicht und so wird sie nicht.