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Politik

DHKP/C: Ohne Arbeiter und Volk im „Volkskrieg für die Arbeiterklasse“

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Ausgerechnet mittels eines Selbstmordanschlages auf die US-Botschaft in Ankara hat die DHKP/C nach langer Zeit wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben. Grund genug, einen Blick auf ihre Rolle im türkischen Linksextremismus zu werfen. (Foto: cihan)

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Die Grafik http://www.broadleft.org/tr_left_part_hist_diag.pdf zeigt, wie seit 1918 die „Türkische Kommunistische Partei“ (TKP), die angetreten war, um die „Einheit der Arbeiterklasse“ unter ihren roten Fahnen zu verwirklichen, am Ende in ein schier nicht mehr überschaubares Geflecht an Klein- und Kleinstgruppen zerfallen ist, von denen jede – meist mithilfe öffentlichkeitswirksamer Gewalttaten – versucht hat, sich ihren Platz als Fußnote der Geschichte zu erkämpfen.

Manche linksextremistische Gruppe jedoch hat es sogar zu grenzüberschreitendem Ruhm gebracht. Wie die PKK haben auch zahlreiche Organisationen türkischer Kommunisten ihren gewalttätigen Kampf ins Ausland getragen. Genau wie die PKK ist somit auch die DHKP/C (türkisch: Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi; die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) mittlerweile auf der Liste der Terrororganisationen Europas gelandet.

Die DHKP/C verhält sich entsprechend der PASS (türkisch: Politikleşmiş Askeri Savaş Stratejisi; die Politisierte-Militärische-Kriegs-Strategie). Diese geht davon aus, dass die Revolution in Form der Eroberung der Macht als Ergebnis eines langfristig angelegten Volkskrieges stattfinden werde.

Älter als die PKK, aber immer in deren Schatten

Die DHKP/C versteht dabei bewaffnete Aktionen als Teil einer umfassenden Propagandastrategie, um die „werktätigen Massen“ für die marxistisch-leninistische „Volksrevolution“ zu gewinnen. Der Erfolg ist bislang bescheiden, der Rückhalt der Intellektuellen und Studenten, die meist als Kader in Erscheinung treten, unter den Arbeitern ist kaum wahrnehmbar.

Vor allem blieb die DHKP/C stets im Schatten der PKK, und das, obwohl es die Vorgängerpartei „Cephe“ (türkisch: Front) und ihre Vorfeldorganisationen, Abspaltungen und Wiedergründungen schon seit 40 Jahren und damit wesentlich länger als die kurdische Terrororganisation gibt. Nie ist sie auch nur annähernd so wirksam geworden wie die PKK und die einzigen Gelegenheiten, bei denen sich ihre Funktionäre mit Vertretern des Staates an einen Tisch setzen konnten, waren die Verhöre auf der Polizeistation.

Im Gegensatz zur PKK, die mit ihrer Doppelstrategie der bewaffneten Propaganda auf der einen und der Einschüchterung auf der anderen Seite in Teilen der kurdischen Bevölkerung Erfolge hatte, leidet die DHKP/C unter chronischer Erfolglosigkeit, wenn es darum geht, aus der türkischen Linken Personal, Waffen oder Aktionspotenzial zu erwerben.

Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen sie der PKK voraus war und diese ihrerseits von ihr lernen konnte. Dazu zählen beispielsweise die Taktik der Stadtguerilla und das Gründen von Organisationen im urbanen Umfeld. Auch verstanden es die DHKP/C-Kommunisten lange Zeit besser als die PKK, über legale Vereinigungen illegale Aktivitäten zu verfolgen.

Die DHKP/C betreibt bereits viel länger und erfolgreicher als die PKK die Taktik, Anwälte zu organisieren und über sie zu kommunizieren. Die PKK begann erst vor einigen Jahren, diese strategische Vorgehensweise zu übernehmen.

Die Freiheiten, die das Gesetz den Anwälten einräumt, etwa die Akteneinsicht, das Gespräch mit Häftlingen, die schärferen Voraussetzungen für Leibesvisitationen und das Untersuchen von Anwaltsbüros bei gleichzeitigem Kommunikationsdrang der Terrororganisationen machten die Anwälte zu beliebten Hilfspersonen in Sachen Tarnung und Kurierdienst.

Anwälte als Kuriere

Die DHKP/C gehörte zu den ersten Organisationen, die diese Vorgehensweise institutionalisierte. Die Anwaltskanzlei HHB fungiert seit Jahren als eine Art Logistik- , Nachrichten- und Agitationszentrum auf unterer Ebene für die Gruppe. Auch die heutige „Abla“ (türkisch: ältere Schwester) der DHKP/C, die Anwältin in der Gruppenführung, Zerrin Sarı, war jahrelang als Anwältin in der HBB tätig.

Organisatorisch ist die DHKP/C aus der THKP/C (türkisch: Türkiye Halk Kurtuluş Partisi/Cephesi; Die türkische Volksbefreiungspartei/Front), welche nach der Tagung der Dev-Genç (türkisch: Devrimci Gençlik; Revolutionäre Jugend) am 17. Oktober in 1970 unter der Führung von Mahir Çayan gegründet wurde. Auch diese war, ebenso die Dev-Sol (türkisch: Devrimci Sol; die Revolutionäre Linke), welche sich mit der Behauptung, ihre Nachfolgeorganisation zu sein, sich von der Dev-Yol (türkisch: Devrimci Yol; Revolutionärer Weg) getrennt hatte und mithilfe von Dursun Karataş in 1978 gegründet wurde, eine Terrororganisation. An der Spitze von Dev Yol stand Oğuzhan Müftüoğlu.

Als Grund, warum die Dev-Sol sich von der Dev-Yol getrennt hatte, gilt das Bestreben der Dev-Yol, den bewaffneten Kampf abzuschaffen. Dass die Dev-Sol im Kampf mit den Sicherheitskräften 1991 und 1992 eine offene Niederlage und erhebliche Verluste erlitten hatte, führte zu Auseinandersetzungen in den oberen Rängen der Organisation und schließlich zu einem internen Putsch.

Interner Putsch und anschließende Spaltung

So stürzte 1992 der Zuständige für den Nahen Osten, Bedri Yağan, zusammen mit einigen Freunden aus den Vorstandsetagen den 1989 aus einem Gefängnis ausgebrochenen bisherigen Führer der Organisation, Dursun Karataş, wobei dieser in seinem eigenen Unterschlupf überfallen und festgehalten wurde, ehe er entkommen und sich nach Deutschland absetzen konnte. Yağan riss somit die Kontrolle an sich. Im Januar 1993 erfuhren auch die übrigen Ränge der Organisation vom Putsch. Somit hatte sich die Organisation in die Gruppe von Dursun Karatas, der 1978 die Dev-Sol gegründet hatte, und die Gruppe der Revolutionäre gespalten.

Der Spaltung folgten wechselseitige Gewalttaten mit dem Ziel, die Dominanz in der Gruppe zu wahren bzw. wiederzuerlangen.

Mit der Entscheidung der Karataş-Gruppe der Dev-Sol, 1994 auf ihrem Kongress in Syrien ihren Namen in DHKP/C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi, türkisch: Die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) geändert. Der Name „Revolutionäre Linke“ verblieb den früheren Rivalen. Bedeutung erlangte diese Gruppe trotz einiger blutiger Anschläge, mittels derer sie noch auf sich aufmerksam machen konnte, jedoch nicht mehr.

Der türkische Linksextremismus hatte lange Zeit die Angewohnheit, gleichzeitig eine Partei für die legale politische Arbeit zu unterhalten und eine „Frontgruppe“ zu bilden, die für bewaffnete Aktionen zuständig war.

So war es schon bei der THKP/C von Mahir Çayan und ihrem Nachfolgemodell, der DHKP/C von Dursun Karataş. Im Falle der letzteren Extremistengruppierung repräsentierte die DHKP die Partei und DHK/C den militärischen Flügel. Im Sinne der ideologischen Vorgaben wären beide organisatorisch getrennt.

Auch wenn die Parteimitglieder selbst keine Waffen in die Hand nehmen, ist es die Aufgabe der Front, die Entscheidungen der Partei auf bewaffnetem Wege umzusetzen. Nach dem Strafgesetz sind unabhängig davon alle Elemente, die eine Aufgabe innerhalb dieses Geflechts haben – auch wenn sie nicht an der Front tätig werden – Mitglieder einer Terrororganisation. Wenn die PKK erwähnt wird, werden damit nicht die HPG-Elemente, also der militärische Flügel, sondern auch die unbewaffneten Teile gemeint. Alle sind illegal. Alle sind Terroristen, Mitglieder einer bewaffneten Terrororganisation.

Hier geht’s zu Teil 2.

Autoreninfo: Gültekin Avcı schreibt für die türkische Tageszeitung Bugün.