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Gesellschaft

Die Abant-Plattform diskutierte über die Rolle der türkischen Medien

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Am dritten Tag des 27. Treffen der Abant-Plattform diskutierten türkische Intellektuelle und die in der Türkei lebenden ausländischen Akademiker und Journalisten über die Rolle der türkischen Medien.

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Die Abant-Plattform diskutierte über die Rolle der türkischen Medien
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Dr. Jenny B. White von der Boston University führte durch den letzten Tag und leitete die Diskussionen über die Rolle der türkischen Medien im Prozess der Demokratisierung der Türkei sowie die Beziehung zwischen der Regierung und den türkischen Medien.
Cemal Uşak, Vize-Präsident der zivilgesellschaftlichen Organisation “The Journalists and Writers Foundation”, berichtete über die Standards fachjournalistischer Ausbildung in der Türkei, betonte jedoch, dass die Besitzer der Medienkonzerne nicht aus der Medienbranche kommen. Diese Konzernführer würden die Medien lenken, bemerkte Uşak und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Pressekodex, der die ethischen Grundsätze und Richtlinien für die publizistische Arbeit beinhaltet. Der Türkische Presserat (TGC) formuliere in unregelmäßigen Abständen publizistische Grundsätze, die jedoch von vielen Journalisten nicht eingehalten würden. Uşak behauptete desweiteren, dass die Presse-Chefs die türkischen Medien nach ihrem Willen leiten würden: “Früher wurde die Titelseite einer Zeitung nach Vorliebe des Chefss gestaltet. Professionelle journalistische Arbeit werden für Berichte auf der Titelseite nicht gerne gesehen. So können journalistisch-ethische Grundregeln nicht eingehalten werden. Im Moment habe ich das Gefühl, dass alle Seiten der Zeitung von den Medien-Bossen bestimmt und auch die Inhalte auf deren Wünsche abgestimmt publiziert werden.”

“Nur mit der Selbstzensur konnten wir uns auf den Beinen halten”
Herausgeber und Chefredakteur der in Istanbul erscheinenden griechischsprachigen Zeitung Apoyevmatini (deutsch: “Nachmittagszeitung”), Mihail Vasiliadis, berichtete, dass fremdenfeindliche Äußerungen über Minderheiten der Beweggrund für seinen Berufswunsch waren. Er berichtete jedoch, dass die Zeitung der kleinen griechischen Gemeinde in Istanbul, aufgrund der miserablen finanziellen Situation im letzten Jahr fast schließen mussten: “Nach meinen Äußerungen hatte das Amt für Presseanzeigen beschlossen, auch in den Zeitungen von Minderheiten offizielle Anzeigen zu schalten. Jedoch wurde dieses Versprechen bis heute nicht umgesetzt. Stattdessen wurden finanzielle Hilfeleistungen bevorzugt.” Um ihre Zeitung über Wasser zu halten, praktizieren sie eine Form der Selbstzensur. Vasiliadis betonte, dass die Zeitungen von Minderheiten ein wichtiges Thema seien. Weiter sagte er: “Die griechischsprachige Tageszeitung, die seit 1925 erscheint, erreichte eine Auflagenstärke von einst bis zu 30.000 Exemplaren in den 1920er Jahren. 1927 sank die Auflage jedoch drastisch. Durch eine selbst auferlegte Zensur konnten wir die Zeitung bis heute auf den Beinen halten.”
Lili Gasparian von der ersten türkisch-armenisch erscheinenden Wochenzeitung der Türkei “Agos” beklagte die Hass-Bekundungen gegen Minderheiten in der türkischen Presselandschaft. Gasparian betonte, dass die Minderheiten ihre Ängste im Prozess der Demokratisierung der Türkei überwinden müssten: “Diese Menschen sind auch ein Teil der Türkei und wollen das sich die Türkei entwickelt und vorwärts kommt.”
Bora Bayraktar vom türkischen Nachrichtensender Euronews wies darauf hin, dass Nachrichten den Ereignissen einen Sinn geben müssen. Doch die anderen TV-Formate und deren Betrieb würden anders verlaufen. Bayraktar fügte hinzu: “In der Fernsehbranche zählen die Einschaltquote und der Erfolg misst sich daran, wer zuerst ausstrahlt. Aus diesem Grund zählt auch leider nicht der Wahrheitsgehalt einer Nachricht, sondern wer sie zuerst verbreitet hat.”
Der kurdische Autor Ümit Fırat teilte seine Beobachtungen zum Stand der Publizistik in Ankara mit. “In Ankara versuchen einige Generale und Repräsentanten von verdeckten Organisationen durch den Einfluss der Journalisten die Gesellschaft zu lenken,” behauptete Fırat. Er klagte über das manipulative Verhalten der Journalisten bei der journalistischen Aufarbeitung von Themen wie zum Beispiel Prozessen, bei der nicht ihre Meinungsfreiheit zählt, sondern die Werte des Regimes.
Während Ihsan Yılmaz, Assistenzprofessor für Politische Wissenschaft an der Fatih Universität in Istanbul und zugleich Direktor des Postgraduierten-Programms für politische Wissenschaft und Internationale Beziehungen, die Meinung vertritt, dass nur wenige Journalisten aufgrund der Liebe zu ihrem Beruf, diesen ausüben würden, berichtete Ferhat Kentel, Professor für Soziologie in Istanbul, über die sich langsam anbahnende Isolation von Gruppierungen in der Türkei. “Diese Menschen wollen nur Nachrichten lesen, die ihren eigenen Werten entsprechen.”
Die seit sieben Jahren in Istanbul lebende amerikanische Schriftstellerin und Journalistin Claire Berlinski sprach über das wachsende Misstrauen der Bevölkerung an die türkische Presselandschaft. Die Bevölkerung zweifele zunehmened an der Glaubwürdigkeit der Nachrichten.
Chefredakteur Bülent Keneş von der englischsprachigen Tageszeitung Today’s Zaman warnte vor zu schneller Verallgemeinerung von Themen. Seit 10-15 Jahren entstehe eine andere Atmosphäre in der türkischen Medienlandschaft. Der Chefredakteur fügte hinzu: “In der Türkei hatten 10% der Elite ein Mitsprachrecht von 90%. Aber das ändert sich. Endlich können wir auch andere Stimmen verzeichnen.”
Ahmet Şık wurde zum Medienhelden stilisiert
Gülden Aydın, Journalistin der türkischen Tageszeitung “Hürriyet” kreidete die Unwissenheit der Ausländer über die türkischen Medien an. Die Kolumnisten der Presse würden die Mission eines Streitschlichters auf sich nehmen, um die Beziehung zwischen Staat und Medienkonzernen stabil zu halten: “Die Medien-Bosse machen auch Geschäfte in anderen Branchen, um so politischen Einfluss zu gewinnen. Die Kolumnisten schreiben dann das, was ihr Boss von ihnen will. Je mehr die Meinungs- und Pressefreiheit in den türkischen Medien gehemmt wird, umso weniger werden Fortschritte auf dem Weg der Demokratisierung zu verzeichnen sein. Der Fall Ahmet Şık ist meines Erachtens kein gelungenes Beispiel um die Demokratisierung in der Türkei aufzuzeigen. Ob der türkische Autor und investigativer Journalist Şık wegen seinen Veröffentlichungen inhaftiert worden ist oder nicht, wird sich mit dem Gerichtsurteil herausstellen. Außerdem bin ich seit über 20 Jahren Journalistin und den Namen Ahmet Şık habe ich zum ersten Mal mit seiner Verhaftung gehört. Es lässt sich darüber streiten, wieviel Anteil seine journalistischen Schriften an seiner Verhaftung hatten oder nicht. Er wurde zu einem Medienhelden stilisiert.”
übersetzt von Funda Karaca