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Politik

Die Angst vor einem Krieg wächst

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Die Türkei wird immer tiefer in das syrische Chaos hineingezogen. Den dritten Tag in Folge beschießt die türkische Armee nun Stellungen der kurdischen YPG. Die Angst, auch am Boden in den Krieg verwickelt zu werden, steigt – auch, weil Ankara keine Strategie hat.

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türkische Haubitzen
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Die türkische Armee geht weiter gegen Einheiten der kurdischen PYD in Nordsyrien vor. Nachdem Angaben des türkischen Außenministeriums zufolge am Montagmorgen ein Grenzposten in der Provinz Hatay von kurdischen Milizen angegriffen wurde, hält der Artilleriebeschuss den dritten Tag in Folge an. Trotz des wachsenden Drucks von Seiten der USA werde man die Angriffe auf Stellungen der Volksverteidigungseinheiten YPG, des militärischen Arms der PYD, fortsetzen, beteuerte der türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu am Sonntag in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Man werde es der PYD „nicht erlauben, aggressive Handlungen durchzuführen“, die Streitkräfte hätten die „notwendige Reaktion gezeigt und werden dies weiterhin tun“, hieß es in einer Erklärung des Premierministers.

Laut den Türkischen Streitkräften haben YPG-Einheiten am 13. Februar die türkische Militärbasis Akcabağlar beschossen, weshalb das Militär seitdem „zur Vergeltung im Rahmen der erklärten Rules of Engagement“ mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss antwortet. Es seien einzig diese türkischen Angriffe am Wochenende gewesen, die die YPG davon abgehalten hätten, die Städte Asas und Tel Rifat einzunehmen, sagte Davutoğlu am Montag während eines Fluges in die Ukraine zu mitreisenden Journalisten. Man werde es der YPG nicht erlauben, Asas zu erobern. „Wenn sie erneut vorrücken, werden sie die harscheste Reaktion erleben“, so der AKP-Politiker. Ähnliches gilt für den Flughafen Menagh, merkte er an. Ihn werde die türkische Armee eher „unbrauchbar“ machen, als dass man ihn in die Hände der kurdischen Milizen fallen lasse. Er warnte die YPG davor, östlich der Region Afrin und westlich des Flusses Euphrat vorzurücken.

Ankara zunehmend isoliert

Das Verhältnis zur PYD und ihrem militärischen Arm YPG ist ein Streitpunkt zwischen der Türkei und den USA. Die türkische Regierung bezeichnet die PYD als Terrororganisation und sieht sie auf einer Stufe mit der Terrormiliz IS. Mit dieser Auffassung steht sie jedoch relativ allein da, für die USA ist die YPG ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS und auch die europäischen Staaten stufen sie nicht als Terrororganisation ein. Entsprechend forderten die USA und Frankreich die Türkei auf, die Angriffe gegen die YPG zu beenden, ermahnten jedoch zugleich die kurdischen Milizen, die Kämpfe zwischen Assad-Regime und Rebellen nicht zum eigenen Vorteil auszunutzen.

Mittlerweile kontrollieren die kurdischen Volksverteidigungseinheiten den Großteil der türkisch-syrischen Grenze. Ankara beäugt ihren Vormarsch mit großer Sorge, da es befürchtet, dass die Entstehung eines unabhängigen kurdischen Staatsgebildes in Nordsyrien auch der PKK innerhalb der Türkei sowohl in ideeller als auch materieller Hinsicht einen neuen Aufschwung bescheren könnte. Dabei droht das Land noch weiter in das ohnehin schon kaum noch überschaubare Gemenge von Akteuren und Interessen im Syrienkonflikt hineingezogen zu werden – und das ohne einen mittel- oder gar langfristigen strategischen Plan zu haben. Während die von Ankara unterstützten Akteure zusehends schwächer werden, beschleunigt die strikte Haltung gegenüber der PYD die außenpolitische Isolation des Landes noch weiter. Auch die Begründung, man sei von der YPG zuerst beschossen worden, wird von vielen Beobachtern als Vorwand abgetan, denn eine ähnlich konsequente Reaktion blieb gegen den IS bisher aus, obwohl er innenpolitisch eine größere Bedrohung darstellt, wie allein schon die Anschläge von Reyhanlı, Suruç, Ankara und Istanbul zeigen.

YPG weißt Anschuldigungen zurück

Die YPG wiederum beschuldigt die türkische Regierung, den kurdischen Angriff erfunden zu haben und auch Ziele außerhalb des Korridors zwischen Aleppo und der türkischen Grenze anzugreifen. Fırat Chelil, Sprecher des PYD-Kantons Afrin, sagte dem russischen Nachrichtenportal Sputnik, die Türkei habe auch die Dörfer Meryemin, Tefercile und Kibar in der Region Afrin bombardiert, wodurch zwei Zivilisten gestorben und 7 weitere verletzt worden seien. Die Türkei bombardiere die YPG, um die Zurückdrängung verbündeter radikal-islamistischer Terrorgruppen wie IS, Al-Nusra und Ahrar asch-Scham zu verhindern, die ebenfalls gegen die YPG kämpfen. „Die Türkei führt diese Bombardements durch, um Al-Nusra und Ahrar asch-Scham zu unterstützen, die empfindliche Niederlagen gegen die Demokratischen Kräfte Syriens (das von den USA initiierte Militärbündnis, Anm. d. Red.) erlitten haben. Sie bombardieren uns, weil sie nicht wollen, dass Al-Nusra sich aus der Region zurückzieht“, so Chelil.

Der sich wandelnden Dynamik des Bürgerkrieges seit dem Eingreifen russischer Truppen auf Seiten des Assad-Regimes und den daraus resultierenden Rückschlägen für die Rebellen begegnet die türkische Regierung ohne erkennbaren Plan oder nachvollziehbare Strategie. Die Befürchtungen steigen deshalb, dass bald auch ein Einsatz türkischer Bodentruppen folgen könnte, dessen Folgen noch nicht kalkulierbar sind. Dass regierungstreue Medien wie die Zeitung Takvim die Kriegstrommel rühren, wirkt da zusätzlich beunruhigend. Takvim hatte in der heutigen Ausgabe behauptet, 90 „Bordo Bereli“, türkische Spezialeinheiten, hätten in den gestrigen Abendstunden eine Operation in Syrien durchgeführt und dabei 315 YPG-Kämpfer getötet, bevor sie ohne eigene Verluste in die Türkei zurückgekehrt seien. Der türkische Verteidigungsminister İsmet Yılmaz stellte jedoch umgehend richtig: Die Geschichte ist frei erfunden.