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Politik

„Die Beweisführung ist überzeugend, der Prozess rechtens“

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine Beschwerde mehrerer erstinstanzlich verurteilter Angeklagter wegen überlanger Verfahrensdauer und Untersuchungshaft abgewiesen. (Grafik: Orhan Nalın)

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„Die Beweisführung ist überzeugend, der Prozess rechtens“
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Zusammenhang mit dem „Balyoz“ („Vorschlaghammer“)-Prozess eine sehr wichtige Entscheidung getroffen. Die pensionierten Offiziere Cem Aziz Çakmak und Ali Rıza Sözen reichten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen überlanger Verfahrensdauer und Untersuchungshaft ein, doch dieser fand die zur Verhängung der Untersuchungshaft herangezogenen Beweise und deren Würdigung rechtlich unbedenklich und lehnte die Eingabe ab. Der Gerichtshof befand die Gründe für die Festnahmen als glaubwürdig und die Verfahrens- und Haftdauer als angemessen.

Der EGMR geht mit der türkischen Justiz hinsichtlich des Vorschlaghammer-Prozesses insofern konform, dass ein geplanter Putsch gegen die Regierung klar zu erkennen wäre, die Beweisführung überzeugend und Haft- sowie Verfahrensdauer nicht zu lang wären.

Die Vorverfahren, gegen die vor dem EGMR vorgegangen worden war, betrafen den Ex-Offizier Cem Aziz Çakmak, der in erster Instanz zu 18, sowie den Oberstleutnant Ali Riza Sözen, der zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde. Beide Anträge wurden abgelehnt.

Der Grund für die Strafverfolgung von Çakmak ist in dem Spruch des EGMR für objektiv nachvollziehbar befunden worden. Die Verhaftungen seien weder willkürlich noch unlogisch gewesen, konstatiert die Kammer in ihrem Urteil und fährt fort, dass es sich offensichtlich um einen komplizierten Fall handelt, wo organisierte Kriminalität zu erkennen sei, bei dem viele Komplizen vermutet würden und die Haftzeit daher auch der Länge nach angemessen sei.

Die 2. Kammer des EGMR hatte unter Teilnahme der türkischen Richterin Işıl Karakaş das Urteil für Çakmak am 19.Februar und das für Sözen am 12. Februar gefällt.

Auch die Behauptungen, die Haft wäre auf der Basis der Verwertung digital gefälschter Beweismittel gefällt worden, befindet der EGMR als nicht stichhaltig.

Verdachtsbegründung auf Basis der Beweismittel nachvollziehbar

Das Urteil, das auf die innerstaatlichen Verfügungen im Rahmen des „Balyoz“-Prozesses Bezug nimmt, besagt folgendes: Die innerhalb der 1. Armee entwickelten Pläne, die Regierung zu stürzen und ihrer Stelle eine neue Regierung mit dem Namen „Regierung der nationalen Aussöhnung“ zu gründen, bezweckten die Ausrufung des Ausnahmezustands in der Türkei und eine Säuberung des Landes von so genannten „fundamentalistischen Aktivitäten“. Um diese Ziele zu erreichen, wurden weitere Pläne mit Namen wie „Oraj“, „Suga“, „Carsaf“ und ähnliche geschmiedet.

Im Urteil des EGMR wurde auch davon ausgegangen, dass Cem Aziz Çakmak in den Jahren 2002-2003 an den Vorschlaghammer-Plänen beteiligt war, die einen durch Generäle und Offiziere unterstützten, militärischen Putsch vorbereiten sollten. Des Weiteren wurde erwähnt, dass Çakmak vorgeworfen wurde, an dem „Suga“-Plan beteiligt gewesen zu sein und bereits die Koordination in der Region Ankara übernommen zu haben. Er soll unter anderem Admiräle und Offiziere darauf vorbereitet haben.

Der EGMR ist bezüglich der digitalen Beweismittel zu folgender Auffassung gelangt: „Zu allererst sei darauf hingewiesen, dass die Zulassung und Würdigung hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem Strafverfahren bezüglich ihrer Authentizität oder Glaubwürdigkeit angefochtenen Beweismittel Sache der nationalen Justizbehörden ist.

Die bezüglich der Strafverfolgung aus der Strafakte hervorgehenden dringenden Verdachtsmomente dahingehend, dass den Angeklagten zur Last gelegte Tatbestand verwirklicht wurde und die Beweislage, auf die sich diese gründen, sind nach Auffassung der EGMR objektiv betrachtet nachvollziehbar.

Die für die Verhaftung von Çakmak herangezogenen Beweismittel sind nicht vertragswidrig. Der Haftbefehl auf der Grundlage innerstaatlicher Gesetze ist begründet und weder willkürlich noch unlogisch.“

Mehrere Haftgründe neben dringendem Tatverdacht vorhanden

Die Beschwerde hinsichtlich der Länge der Haftstrafe lehnte der EGMR ebenso ab und befindet, dass auch die Länge der Inhaftierung in der Phase der Untersuchungshaft gemessen an der Besonderheit des Falles als vertretbar angesehen werden kann.

Der EGMR fügt hinzu, dass es sich mit Blick auf Cem Aziz Çakmak, der bereits vor der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils über ein Jahr und acht Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, um schwerwiegende Vorwürfe mit Blick auf die Tatvorwürfe im „Balyoz“-Prozess gehandelt hatte, und Haftgründe sich auch in dieser Phase alleine schon daraus ergeben hätten, dass Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr auf Grund des organisierten Verbrechens sowie mit Blick auf die Vermutung weiterer unbekannter Komplizen bestanden hätte und es ein kompliziertes Strafverfahren war.

„Das Gericht hat festgestellt, dass unter den gegebenen Umständen die Haftzeit des Antragstellers (Cem Aziz Çakmak) aus Gründen der „Dringlichkeit“ angemessen ist. Die Klage ist somit haltlos und muss letztendlich abgewiesen werden.“

Auch die Beschwerde Çakmaks aufgrund überlanger Verfahrensdauer wertete das Gericht aus. Das Verfahren vor dem 10. Strafgericht für besonders schwere Straftaten in Istanbul habe 196 Angeklagte umfasst und dieser Prozess habe drei Jahren gedauert, so der EGMR.

Dies sei aus Sicht des EGMR in Anbetracht der Komplexität der Sache nicht langwierig und deshalb wies der Gerichtshof auch diese Klage ab, weil der Beschwerdepunkt jeglicher Grundlagen entbehre. Çakmaks Klage, nicht von einem unabhängigen und objektiven Gericht verurteilt worden zu sein, wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass der Prozess noch nicht zu Ende wäre und er vorher keine Klage diesbezüglich einreichen könne.

Vorgehen der Justiz nicht konventionswidrig

Darüber hinaus war folgender Wortlaut ist zu lesen, der EGMR habe auch die Beschwerde des weiteren Angeklagten im Vorschlaghammer-Prozess, Sözen, abgewiesen. „Der Angeklagte steht im Verdacht, in den Jahren 2002/2003 einen Militärputsch gegen die Regierung geplant zu haben. Er ist dringend verdächtig, Mitglied der Balyoz-Organisation zu sein und sitzt seither in Untersuchungshaft.“

Es wurde erklärt, dass die Verhaftung und anschließende Untersuchungshaft den erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen genügt und die türkische Staatsanwaltschaft keinen gegen die Menschenrechte verstoßenden Rechtsakt ausgeführt habe.

Die Beschwerde Sözens, der während des Vorschlaghammer-Prozesses festgenommen worden war, beeinsprucht zudem auch seine Pensionierung. Diese sei mit der Begründung „Personalengpass“ veranlasst worden. Doch auch diese Eingabe wies der EGMR mit der Begründung ab, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe.