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Kolumnen

Die Briten bleiben in der EU – sie können gar nicht anders

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Für den Bankenplatz Nr. 1 auf der Welt brauchen die Briten Europas Hinterland. Und trotz der Goldenen Hochzeit von Deutschen und Franzosen sind sie der wichtigere Handelspartner für die Bundesrepublik als die müde gewordenen Gallier. (Foto: rtr)

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Die Briten bleiben in der EU - sie können gar nicht anders
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Es kommt Bewegung in die europäische Politik und das ist gut so. Mit seiner Ankündigung, für den Fall einer Wiederwahl 2015, bis 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abzuhalten, hat der britische Premier Cameron (r.) die Gemeinschaft in einen flatternden Hühnerhof versammelt. Aber die Staubwolke wird sich rasch legen, am Ende werden die Briten in der EU bleiben und Cameron in diesem Fall weiter Premierminister sein.

Die britische Ankündigung ist ein Reflex auf die Müdigkeit und Ideenlosigkeit, die die EU mittlerweile vermittelt. Von Großbritannien aus sieht man darüber hinaus viel klarer und viel besser die rasanten Veränderungen, die sich in der Welt ergeben. Denn mögen die Briten auch ihr Weltreich verloren haben, so verfügen sie noch immer über die Antennen und Messstationen draußen in der Welt, um die Schärfe des internationalen Wettbewerbs zu diagnostizieren: auf einer Handvoll Karibik-Inseln, auf Zypern, in den Emiraten am Golf, in Indien und in Hong Kong. Sie sind mit anderen Worten an den aufsteigenden Mächten, an Brasilien, an Indien, an China dichter dran als ihre europäischen Partner und sie haben die besten Kontakte nach Nordamerika.

Cameron hat in seiner mit Spannung erwarteten Europa-Rede, die in die Feierlichkeiten des deutsch-französischen Jubiläums fiel, ausgerechnet Kanzlerin Angela Merkel die folgenden Zahlen in den Mund gelegt, also sie zitiert: danach stellt Europa 7 Prozent der Weltbevölkerung, erwirtschaftet 25 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts, aber gibt im Sozialbereich die Hälfte des weltweit zur Verfügung stehenden Geldes aus. Auf die Dauer kann das nicht gut gehen. Die Briten haben daher bei Ausbruch der weltweiten Finanzkrise ihre Staatsausgaben viel radikaler gekürzt als es andere Länder getan haben.

Die Briten sind Pragmatiker

Bedrohlich für die Deutschen ist, dass eine Reihe von EU-Mitgliedern ähnlich wie die Briten denken, dass es eine allgemeine Tendenz gibt, Souveränitätsrechte von Brüssel zurückzufordern, nach einer aktuellen Umfrage vor allem in Frankreich. Die Gründe sind unterschiedlich: während die Briten traditionell keine Angst vor Wettbewerb haben – auch wenn sie hier trickreich wie ihre EU-Partner sind – fürchten ihn die Franzosen. In letzter Konsequenz ist aber Deutschland vom Doppel-Rückzug betroffen, das eine weitere Vertiefung der Gemeinschaft wünscht, ohne genau zu wissen, wohin das führen soll. In Wahrheit ist dies der Wunsch der politischen Klasse, mehrheitlich denken die Deutschen ähnlich wie Briten und Franzosen.

Die Briten werden in Europa bleiben, weil sie bei einem Nein zur EU Wohlstandsverluste hinnehmen müssten. Sie sind Pragmatiker. Es ist ja nicht auszuschließen, dass ein unerwarteter Ruck durch die Gemeinschaft geht. Da möchte man dabei sein. Für den Bankenplatz Nr. 1 auf der Welt brauchen die Briten das europäische Hinterland. Und trotz der Goldenen Hochzeit von Deutschen und Franzosen sind sie gegenwärtig der wichtigere Handelspartner für die Bundesrepublik als die müde gewordenen Gallier.

Dennoch ist die Bedeutung der Geographie nicht zu unterschätzen. Seit der deutschen Wiedervereinigung sind Großbritannien und Frankreich an den westlichen Rand des Kontinents gerückt, Deutschland ins europäische Zentrum. Das lässt die beiden Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zusammenrücken. Der Tunnel unter dem Ärmelkanal hat eine Direktverbindung zwischen London und Paris geschaffen, 400 000 Franzosen leben in der englische Hauptstadt, hunderttausende von Engländern haben Ferienhäuser in Südfrankreich und am Ärmelkanal, der Kontakt der Eliten ist eng.

Briten und Franzosen federführend in der Sicherheitspolitik – Deutschland „versorgt” kränkelnde EU-Mitglieder

Die zurückgenommene deutsche Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik hat in den letzten Jahren ferner dazu geführt, dass Briten und Franzosen unter dem wohlwollenden Blick der USA militärisch immer enger zusammenarbeiten. Libyen und zuletzt Mali sind die aktuellen Beispiele. Es zeichnet sich somit eine europäische Arbeitsteilung ab: die beiden Atommächte sind federführend in der Sicherheitspolitik, für die neuen vermeintlich kleinen Krisenherde in Nordafrika – das Problem Syrien ist zu groß – während die Deutschen immer mehr für die kränkelnden EU-Mitgliedsländer zuständig werden, für Ausgleichzahlungen und Kredite – eine gefährliche Tendenz, weil sie das Solidaritätsprinzip der Gemeinschaft untergräbt. Leider sieht es in Berlin gegenwärtig nicht danach aus, dass die Regierung Merkel-Westerwelle aus dieser Fehlentwicklung Konsequenzen zieht.

Wenn Camerons Diagnose über der Zustand der Gemeinschaft und die Entwicklungen in der Welt richtig ist –anscheinend bestreitet dies niemand wirklich – kann die Schlussfolgerung für die Gemeinschaft nur lauten, abzuspecken und wettbewerbsfähig zu bleiben, um den Herausforderungen in der Welt begegnen zu können. Es könnte sein, dass Cameron in einem Londoner Pressehaus die wichtigere Rede gehalten hat als die französischen und deutschen Politiker, die sich aus sentimentalen Gründen anlässlich des Abschlusses des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages vor 50 Jahren vor ein paar Tagen im Berliner Reichstag trafen.

Autoreninfo: Jochen Thies, Jahrgang 1944. Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Romanistik. Redenschreiber von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, Auslandschef Die Welt, Direktor Englisches Programm Deutsche Welle Radio, Chefredakteur Europa-Archiv/ Internationale Politik. Lebt als Publizist in Berlin.