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Kolumnen

Die Gegner der Pressefreiheit halten zusammen – ihre Befürworter nicht

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Es geschieht am hellichten Tag: Die freie Presse wird in der Türkei nach und nach abgeschafft und niemand kann das verhindern. Warum wohl? Die taz mit ihrer Sonderbeilage liefert einen Teil der Antwort – unfreiwillig.

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Im Kalender haben viele Menschen und Berufsgruppen ihren eigenen Tag, an dem speziell an sie erinnert werden soll. Frauen haben ihren Tag, Männer, Liebende, aber auch Journalisten. Es ist der dritte Mai. Er wird seit 1994 als der Internationale Tag der Pressefreiheit gefeiert. An diesem Tag soll auf Verletzungen der Pressefreiheit hingewiesen und die grundlegende Bedeutung der Presse für das Funktionieren der Demokratie in Erinnerung gerufen werden.

Anlässlich dieses Tages erschien die deutsche taz dieses Jahr mit einer deutsch-türkischen Sonderausgabe. Auf 16 Seiten wird in Beiträgen türkischer und deutscher Journalisten die Situation der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei behandelt. Zu Recht.

Die Türkei ist für Deutschland kein beliebiges Land. Die über drei Millionen Türkei-stämmigen Menschen sind ein menschlicher Faktor, der beide Länder eng verbindet. Was in der Türkei  passiert hat direkte Auswirkungen auf Deutschland – das Stichwort Flüchtlingsproblematik dürfte an dieser Stelle zur Illustration genügen. Und: Die Pressefreiheit in der Türkei verschlechtert sich rapide. Unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wird die Pressefreiheit in raschem Tempo faktisch abgeschafft, der freie Journalismus durchlebt eine der schwersten Krisen seines Bestehens.

Vorgehen gegen kritische Medien

Um einige Beispiele zu nennen: Im Oktober vergangenen Jahres wurde die Mediengruppe Koza Ipek einem staatlichen Zwangsverwalter unterstellt, die Redaktionen der Zeitungen Bugün und Millet sowie der Fernsehsender Kanaltürk und Bugün TV gestürmt und diese Medien auf Linie gebracht. Mittlerweile existieren sie nicht mehr.

Im Monat darauf wurden die Sender der Samanyolu-Gruppe aus dem Programm des halbstaatlichen Satellitenanbieters Türksat geworfen, der Sender beklagte massive Einschüchterung seiner Anzeigenkunden. Die Samanyolu-Gruppe musste auf den Satelliten Hotbird ausweichen. Doch die Repressionsmaßnahmen der Regierung dauerten an, vor einigen Tagen warf der Sender das Handtuch und verkündete die Einstellung des Sendebetriebs.

Im Februar dieses Jahres wurde der Sender İMC, der im Mai  2011 den Sendebetrieb aufnahm, ebenfalls aus dem Türksat-Programm geworfen. Er berichtete vor allem über die Entwicklungen in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei. Das passte den Machthabern offenbar nicht. Kürzlich wurde auch der Redaktionsleiter des Senders, Hamza Aktan, wegen einiger Tweets aus dem Jahr 2015 festgenommen – ein Ereignis, das mittlerweile niemanden mehr überrascht.

Anfang März marschierten hochgerüstete Polizisten, die einen martialischen Anblick boten, vor dem Redaktionsgebäude der auflagenstärksten Zeitung des Landes auf. Auch Zaman wurde gestürmt, die Zeitung faktisch enteignet und verstaatlicht. Zusammen mit Zaman wurde auch die Nachrichtenagentur Cihan verstaatlicht und auf Linie gebracht.

Arbeitslosigkeit unter Journalisten hoch

Mittlerweile befinden sich in der Türkei insgesamt 33 Journalisten in Haft. Die Internetseite „Tutuklu Gazeteciler Dayanışma Platformu“ („Solidaritätsplattform für inhaftierte Journalisten“) hat ihre Namen aufgelistet. Laut Reporter ohne Grenzen (ROG) befindet sich die Türkei auf der Liste der Pressefreiheit auf Rang 151 von 180 Ländern. Auf die schwierige Lage der Medien und der Journalisten weist der türkischen Journalistenverband „Türkiye Gazeteciler Cemiyeti“ (TGC) hin. Laut TGC führen die Repressalien gegen die freie Presse zur Entlassung von 500 bis 1000 Journalisten pro Jahr. Besonders in den letzten sechs bis sieben Monaten ist diese Zahl auch aufgrund der Einsetzung von Zwangsverwaltern an der Spitze von Medienunternehmen in die Höhe geschnellt. Die Zahl der entlassenen Journalisten in dieser Zeitspanne erreichte die 2000er-Grenze.

TGC zufolge sind in der Türkei 7000 Journalisten arbeitslos. Damit beträgt die Arbeitslosenquote unter Journalisten das Dreifache der durchschnittlichen Quote im Land. Zur Erinnerung: Sie beträgt derzeit 11,1 Prozent. Türkische Journalisten genießen auch keinen gewerkschaftlichen Schutz. Während die Gewerkschafts-Anbindung bei Journalisten in Europa durchschnittlich bei 25 Prozent liegt, beträgt sie in der Türkei 3,5 Prozent.

Die Medienpolitik der AKP

Die AKP-Regierung sieht die Lage der Pressefreiheit natürlich anders. Für sie ist die Türkei eines der Länder, in denen die Pressefreiheit am weitesten gediehen ist. Die Inhaftierung von Journalisten und die Unterstellung von Medienhäusern unter Zwangsverwalter sehen sie nicht als Einschränkung der Pressefreiheit, sondern als Terrorbekämpfung. Wundern muss man sich darüber nicht. Bislang wurde in keinem Land der Welt die Pressefreiheit mit anderen Argumenten abgeschafft. Immer ging es um nationale Interessen, Sicherheit und um die Bekämpfung schädlicher, terroristischer Elemente. Immer ging es um den Schutz des Volkes und des Staates.

Es sind die Maßnahmen, mit denen man diktatorische Regimes etabliert. Zwangsunterstellung von missliebigen, oppositionellen Medien unter staatliche Verwalter, Ausschluss kritischer Journalisten von öffentlichen Veranstaltungen, die Kontrolle von Nachrichtenagenturen, Reglementierung des Berufszugangs über die willkürliche Ausstellung beziehungsweise Verweigerung staatlicher Presseausweise, Schaffung regierungstreuer Pressekonzerne – alles Maßnahmen, die unter der AKP-Regierung in der Türkei getroffen wurden oder werden und die aus der Geschichte diktatorischer Regime bekannt sind.

Warum die AKP nicht gestoppt werden kann

Warum kann die türkische Gesellschaft dieses Abdriften ihres Land unter der AKP-Regierung in diktatorische Verhältnisse nicht verhindern? Trotz der bequemen AKP-Mehrheit befindet sich knapp mehr als die Hälfte der Türken nicht auf AKP-Linie.

Die Antwort: Der Graben zwischen den Nicht-AKP-Gruppen ist zu groß. Die Unterdrückung einer missliebigen Gruppe hat nicht die automatische Solidarität anderer oppositioneller Gruppen zur Folge. Auch dafür bietet die taz ein anschauliches Beispiel: Obwohl sie auf 16 Seiten berichtet, wie die Pressefreiheit in der Türkei den Bach runtergeht, erwähnt sie mit keinem Wort, was mit Zaman, immerhin die bis dahin auflagenstärkste Zeitung des Landes, passiert ist. Anscheinend nimmt auch die taz die Entwicklungen in der Türkei äußerst selektiv wahr. Kein Wunder, dass Erdoğan angesichts solcher Mangel an Solidarität schalten und walten kann wie er will.