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Kolumnen

Die Grenze

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Grenzen verlaufen nicht nur entlang der Erdoberfläche, sondern auch durch die Herzen. Noch bevor der Erde durchziehen sie die Herzen. Vermutlich deswegen kann man ein Land besser verstehen, indem man auf die Geschehnisse an dessen Grenzen schaut.

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Grenzen verlaufen nicht nur entlang der Erdoberfläche, sondern auch durch die Herzen. Noch bevor der Erde durchziehen sie die Herzen. Vermutlich deswegen kann man ein Land besser verstehen, indem man auf die Geschehnisse an dessen Grenzen schaut. Die Schmerzen, die über unsere Grenzen uns heimsuchen sind unermässlich.

Gestern sind an der Grenze 35 Menschen gestorben. 35 Zivilisten. Sie wurden aufgrund der Informationen von Heron-Aufklärungsfluggeräten als Zielscheibe ausgewählt. Man weiss nicht, was genau passierte. Die an verantwortlichen Stellen hüllen sich in Schweigen. Der Generalstab soll verlautbart haben, dass es sich bei dem betreffenden Gebiet nicht um ein ziviles Gebiet handele. Die Nachrichtenkanäle haben nicht die Namen der Toten gebracht, während sie aber den Verlautbarungen des Generalstabs breiten Raum gaben. Nicht nur nach Zahl, auch nach dem Namen unbekannte Tote, die in Wolldecken umhüllt auf Traktorenanhängern zum Begräbnis gefahren werden. Es handelt sich um Schmuggler, die lediglich von ihren Angehörigen betrauert werden. Auch die Fernsenkanäle bevorzugen gegenüber ihrem Schicksal das Schweigen.

Die Erklärung des Generalstabs ist unglaublich. Es heisst, es handele sich nicht um ein ziviles Gebiet. Mit dieser Logik wäre wohl die Vernichtung alles sich bewegenden Lebens im Gebiet erlaubt. Diese Erklärung rief bei mir die Länder in Erinnerung, dessen Sicherheitsparanoia wir kritisieren. Als ob der Stat die Option hätte, ausserhalb des Rechts operieren zu können. Als ob es normal wäre, im Kampf gegen Terror Zivilisten zu töten!

Was passiert ist, liegt nun vor uns. Die Menschen wurden in ihrem Leichentuch, das von der Geographie ihnen zugeschneidert wurde, zur Erde übergeben. Genauso wie die Vorherigen. Das passiert nicht zum ersten Male. Es gibt tausende von Geschichten von Schmugglern, die erzählt werden. Es gibt Gedichte, es gibt Trauerlieder. Es ist dort das Land, wo die zu Anfang des Jahrhunderts gezogenen Grenzen die Herzen schmerzen.In der Türkei wird viel über Schmuggel gesprochen, aber nicht darüber, warum und weshalb Menschen den Tod in Kauf nehmend über Grenzen ihrem Geschäft nachgehen. Es ist uns nicht bewusst, dass wir die Neugier auf die andere Seite der Grenze nicht mit materiellen Bedürfnissen erklären können.

Wären wir doch in der Lage, das Treffen von Familienmitgliedern an Grenzzäunen auch ein Mal aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Schaute man doch genauer nach, was in den Bündeln sich befinden, die über die Genzzäune zu denen auf der anderen Seite hinüberegeworgen werden. Vermutlich verwollständigt ein Liebesbrief, was glänzende Stoffe, Seidentücher angefangen haben. Die Bindungen zur Braut, die als die andere Hälfte angesehen werden, speisen sich aus tiefen historischen Bindungen. Dort wirkt die Nähe eines Herzes, das unter einer getrennten Welt verletzt ist und leidet. Die Geschichten über Schmuggler sollten auch ein bischen aus dieser Perspektive gelesen werden. Das, was auf die andere Seite der Grenze transportiert wird, ist nicht nur Zucker, Textilie, Tee oder Diesel, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Ganzheit, das uns genommen wurde. Die Quelle der Not ist die Künstlichkeit der uns trennenden Grenze.

Die Grenze ist aber wichtig, als sie ihre unechte Konstruktion zu Tage fördert. Auf die unangepassten Realitäten im Innern weisen Gewalt und  Schmuggel hin, die über die Grenzen eindringen. Sie hält ihnen einen Spiegel, der ihnen zeigt, was sie gemacht und wo ihre Kräfte an ihre Grenze erreicht haben. Schauen sie sich zum Beispiel die Grenze zu Iran, die mit dem Vertrag von Kasr-ı Sirin festgelegt wurde. Auch da ist das Ergebnis vergleichbar. Trotz der Jahrhunderte langen Grenzen haben sich beide Seiten nicht auseinandergelebt. Denn, das Phänomen Kultur hält sich noch an tieferen Schichten. Auch wenn sie durch die Grenze getrennt werden, sind die doch durch die Codes miteinander verbunden, die von der Tradition getragen werden.Wenn Sie sich ein Bild über ein Land machen wollen, sollten sie an die Genzen schauen. Grenzen sind die Nahtstellen eines Landes. Zugleich eine Schwachstelle, die Krankheiten zuallererst deutlich macht.
 
Wird denn ein Staat nicht die Lösung der Nahtstellen fördern, der im Namen der Terrorbekämpfung  seinen Bürgern den Tod bringt und dabei die Verantwortung für das Unrecht, dessen sie sich schuldig gemacht hat, nicht trägt?