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Kolumnen

Die Hohe Schule des Wählerbetrugs

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Die Glaubwürdigkeit der politischen Parteien in der Bevölkerung ist in Deutschland auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Was sich die CDU mit ihrem neuen Wahlprogramm erlaubt, ist allerdings die ganz Hohe Schule des Wählerbetrugs. (Foto: ap)

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Die Hohe Schule des Wählerbetrugs
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Die deutsche Politik hat ein handfestes Glaubwürdigkeitsproblem. Im Januar fragte der ARD-Deutschlandtrend den Eindruck der Bürger von der Ehrlichkeit der Parteien vor der Wahl ab. Das Ergebnis war niederschmetternd. Und die CDU schnitt dabei mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ab. Vor ihr lag sogar noch die FDP, von der 81 Prozent der Befragten meinten, sie sage vor der Wahl nicht ehrlich, was sie wolle. Dasselbe sagten 74 Prozent über die CDU. Am verhältnismäßig besten schnitten die Grünen ab, die von „nur“ 62 Prozent der Befragten der Wahllüge verdächtigt wurden.

Dieser Tage legte die Union nun ihr lange erwartetes Programm für die Bundestagswahl im September vor. Sie selbst nennt es „Regierungsprogramm“, aber in Wahrheit ist es nichts weiter als ein Sammelsurium haltloser und noch dazu leicht durchschaubarer Ankündigungen und Versprechen. Das hielt die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel freilich nicht davon ab, es als Zeugnis von „Maß und Mitte“ zu loben. Doch sogar der CDU-Wirtschaftsrat vermochte sich die Bemerkung nicht zu verkneifen, das Programm sei nicht darauf angelegt, es in praktische Politik umzusetzen. Es solle nur Wähler ködern.

Wenn schon eine Organisation aus den eigenen Reihen ein so vernichtendes Urteil fällt, was soll dann erst der Bürger davon halten, den seit über drei Jahren nichts so sehr umtreibt wie die Euro-Krise und mit ihr die Angst davor, Wohlstand und Alterssicherung zu verlieren? Doch über die Euro-Krise findet der Wähler in den 128 Seiten nichts, was ihm, was Deutschland und Europa irgendwie weiterhelfen könnte. Stattdessen findet er Sätze wie diesen: „Wir sind davon überzeugt, dass Europa für ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand unverzichtbar ist.“ Damit Frieden, Freiheit und Wohlstand gesichert würde, brauche Europa „eine solide Finanzpolitik, Wachstumsförderung durch Strukturreformen und mehr Investitionen in Bildung und Forschung“. Darum wirbt die CDU dafür, die duale Ausbildung in Schule und Betrieb in anderen europäischen Ländern einzuführen.

Bevorstehende Hilfsanfragen aus Griechenland und anderen Krisenstaaten

Was da geschrieben steht, ist eine Frechheit. Die Merkel-Partei reiht Plattitüden aneinander, produziert Worthülsen und lässt die Menschen über die wahren Umstände und Folgen der Krise im Unklaren. Die milliardenschweren Garantieverpflichtungen verschweigt die CDU ebenso wie die Maßnahmen, mittels derer sie das sich abzeichnende Desaster einzudämmen gedenkt. Es fehlt jede Aussage dazu, wie es mit dem Euro und Europa weitergeht, wenn die sich bereits abzeichnenden zusätzlichen Hilfsersuchen aus Griechenland, Spanien und Italien eintreffen.

Wie will die Regierungspartei die historisch hohen Schulden bezahlen? Schulden lassen sich nicht wegsparen, sie wollen getilgt werden. Das Geld dazu muss irgendwo herkommen. Nur sagt die CDU nicht, woher sie es nehmen will. Sie bekennt sich nicht zu der Vergemeinschaftung der europäischen Schulden, die sie unter Angela Merkel auf den Weg gebracht hat. Und schon gar nicht spricht sie darüber, was das für die deutschen Spareinlagen bedeuten könnte.

Genauso wenig bekennt sich die Merkel-Partei zu den geplanten Kompetenzverlagerungen auf die EU in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Schließlich soll die politische Union mit einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung geschaffen werden. Das hat Angela Merkel bereits mit den anderen Staats- und Regierungschefs vereinbart.

Stattdessen baut sie Luftschlösser. Ab 2015 soll der Bundeshaushalt ohne neue Schulden auskommen. Aber 2016 solle der Staat sogar schon Schulden abbauen. Das heißt, die Union will drastisch sparen, aber sie sagt nicht wo, und will dem Wähler zusätzlich noch weismachen, dass sie in der Lage ist, einerseits brutal zu sparen und dennoch mehr Geld in die Bildung zu investieren und die Bundesfernstraßen mit 25 Milliarden Euro auszubauen. Wie soll das gehen?

Obwohl sie Schulden in gigantischer Höhe angehäuft hat, verspricht die CDU „die Mitte der Gesellschaft steuerlich entlasten“ zu wollen. Sie will die Steuertarife an die Inflation anpassen. Dabei unterschlägt sie, dass dem Staat auf diese Weise Einnahmen in Milliardenhöhe verlorengehen. Wie passt das alles zusammen? Gar nicht!

Kombirente als Offenbarungseid

Die CDU verspricht die Energiewende, an der sie in dieser Legislaturperiode grandios gescheitert ist. Sie sagt aber nicht, was sie künftig anders machen will. Und was verbirgt sich hinter ihrem Konzept der Kombirente, die sie als Innovation fürs Alter anpreist? In Wahrheit ist sie nichts anders als das Eingeständnis, dass die gesetzliche Rente am Ende ist und die Arbeitnehmer künftig ohne Nebenverdienst nicht mehr über die Runden kommen. Lebenslanges Arbeiten ist wahre Botschaft der CDU.

Wer so mit seinen Wählern umgeht, der nimmt sie, vorsichtig ausgedrückt, nicht ernst. Der glaubt, sie an der Nase herumführen und mit allerlei unsinnigen Versprechen blenden zu können. Genau das aber ist es, was die Bürger leid sind. Aus diesem Grund haben sie den Parteien das Vertrauen entzogen und wenden sich ab. So wächst die Zahl der Nichtwähler seit Jahren, und die parlamentarische Demokratie bekommt ein unübersehbares Legitimationsdefizit.

Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit und Verantwortung sollten elementare Prinzipien der Politik sein. Nichts davon ist mehr vorhanden. Und nichts kann den Gehalt dieses Wahlprogramms von CDU und CSU besser umschreiben als der Versprecher von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bei der Vorstellung der Inhalte: „Die Wahrheit liegt in der Urne.“ So ist es. Es gibt keine Wahrheit in diesem Programm. Sie fiel der Politik zum Opfer. Leider hat die Union noch immer nicht begriffen, was diese Erkenntnis für sie und die repräsentative Demokratie bedeutet.