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Politik

„Die Kurdenpolitik der türkischen Regierung nutzt Öcalan und der PKK“

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Der Nahost-Experte Udo Steinbach analysiert die Kurdenpolitik Erdoğans, auch mit Blick auf die kommenden Präsidentschaftswahlen in der Türkei. Er erklärt in diesem Kontext auch die Agenda von Abdullah Öcalan und der PKK. (Foto: zaman)

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Entgegen der Ankündigung der Regierung sprach sich Präsident Erdoğan gegen ein Beobachtungs-Gremium für den Friedensprozess mit der PKK aus.
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Die marxistische PKK bekämpft seit 1984 mit terroristischen Mitteln den türkischen Staat, um politische Autonomie für die von Kurden dominierten Gebiete in der Türkei zu erlangen. Das Problem ist zum Teil auch Hausgemacht. Die dem Kemalismus verbundenen türkischen Regierungen und das türkische Militär  haben über Jahrzehnte  einen Assimilationspolitik gegenüber den Kurden betrieben.

Der blutige Konflikt, der Schätzungen zufolge bis zu 40 000 Opfer forderte, schadet nicht nur dem sozialen Frieden, lähmt zudem die wirtschaftliche Entwicklung des verarmten Ostens der Türkei. Nach intensiven Verhandlungen mit der türkischen Regierung stimmte der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan einem Rückzug der PKK-Einheiten aus der Türkei und einer dauerhaften Waffenruhe zu.

Ist das sogenannte Kurdenproblem damit gelöst?

„Nein“, meint der Nahost-Experte Udo Steinbach: „Aber enttabuisiert. Wie vieles geht Erdoğan auch die Kurdenfrage nur halbherzig an. Wenn heute der politische Flügel der PKK, die DBP, als möglicher Koalitionspartner bei den Präsidentschaftswahlen in der Diskussion ist, hat es eben mit dieser Enttabuisierung der Kurdenfrage im Allgemeinen und der PKK und ihrem Führer Öcalan im Speziellen zu tun.“  Die PKK rekrutiert weiterhin Kämpfer in der Türkei und ein erneuter Ausbruch des bewaffneten Kampfes schliesst Steinbach nicht aus.

Wer sind Erdoğans neue Partner in seinem Krieg gegen die Bewegung?

Er geht Koalitionen mit den Kräften der „Alten Türkei“ ein. Dazu gehören die Militärs, aber auch Teile des ultranationalistischen Ergenekon-Netzwerks. Viele inhaftierte Mitglieder dieses Netzwerks sind ja wieder auf freiem Fuß. Erdoğan hat bis 2011 den kemalistischen Staat herausgefordert, in dem er mit vielen Tabus gebrochen und die Demokratie vertieft hat. Dazu gehört auch sein Umgang mit der Kurdenfrage.

Ist das sog. Kurdenproblem denn gelöst?

Gelöst nicht, aber enttabuisiert. Wie vieles geht Erdoğan auch die Kurdenfrage nur halbherzig an. Wenn heute der politische Flügel der PKK, die DBP, als möglicher Koalitionspartner bei den Präsidentschaftswahlen in der Diskussion ist, hat es eben mit dieser Enttabuisierung der Kurdenfrage im Allgemeinen und der PKK und ihrem Führer Öcalan im Speziellen zu tun.

Was wird Erdoğan denn der PKK als Gegenpreis anbieten?

Er wird versuchen, die Kurden hinzuhalten, bis die Präsidentschaftswahlen vorbei sind. Erdoğan ist nicht mehr in der Vermittlerposition wie vor einigen Jahren, aus der er sowohl türkisch-nationalistische, als auch kurdisch-nationalistische Interessen vereinen und das Kurdenproblem zur Zufriedenheit aller lösen wollte. Jetzt ist er der Machtpolitiker, der mit allen Instrumenten des zentralistischen Staates spielt. Und die Staatsmacht ist in der Türkei letztendlich kemalistisch, auch wenn sie sich islamisch oder islamistisch gibt.

Was heißt das für das sog. Kurdenproblem?

Nach den Wahlen wird er wieder die alte Staatsdoktrin herausholen und argumentieren, dass die gesamte Türkei aus Ankara regiert wird. An diesem Punkt – so meine Befürchtung – kann die Gewalt wieder eskalieren und es zum militärischen Konflikt mit der PKK kommen.

Öcalan ist ja vom „Terroristenkopf“ zum „Herrn Öcalan“ mutiert. Hat die AKP Öcalan und die PKK gestärkt?

Erdoğan hat mit ihm den politischen Dialog gesucht und ihn in den sogenannten Friedensprozess offiziell eingebunden. Die Regierung hat nur in ihm den Verhandlungspartner auf der kurdischen Seite gesehen. Öcalan hat den Friedensprozess der PKK schmackhaft gemacht. Die Lage der Kurden verbessert sich als Folge dieses Prozesses. Erdoğans Politik hat somit natürlich der PKK und Öcalan genutzt.

Woran sehen Sie das?

Es entsteht erst einmal so etwas wie eine kurdische Identität. Die PKK/DBP agiert auf zwei Ebenen. Sie führt auf der einen Seite Verhandlungen mit der türkischen Regierung, baut aber gleichzeitig staatsähnliche Strukturen im Kurdengebiet auf. Noch leben die Kurden verteilt in mehreren Ländern mit festen Staatsgrenzen. Aber das kulturelle und politische Bewusstsein, ein Volk und eine Nation zu sein, nimmt grenzüberschreitend zu. Das ist auch der Grund, warum die PKK im Augenblick das Spiel mit der Erdoğan-Regierung mitspielt. Erdoğan meint, sich über die Zustimmung der PKK das Präsidentschaftsamt sichern zu können. Die PKK hingegen sieht darin die Chance, der langersehnten Gründung eines Kurdenstaates näher zu kommen. Ich habe Anfang der 1990er-Jahre Abdullah Öcalan in Syrien besucht und deswegen ja damals die Feindschaft der türkischen Regierung auf mich gezogen.

Was haben Sie mit ihm besprochen?

Ich war drei Tage lang bei ihm. Man hat natürlich den revolutionären Impuls gespürt. Er sagte: „Ich muss die Kurden auf der Grundlage einer sozialistischen Ideologie vereinen.“ Er hat in den feudalen Strukturen der Kurden das Grundproblem gesehen und war auf der Suche nach Wegen, dieses zu überwinden, um so etwas wie ein Volk oder eine Nation hervorzubringen. Das war seine Vision, von der er besessen war.

Hat er sich seither nicht verändert?

In dem Einsatz von Mitteln ja, aber an seinem eigentlichen Ziel hält er fest. Mit den Jahren ist er zwar realistischer und taktischer geworden. Das Ziel aber, einen Kurdenstaat zu gründen, hat er nie aufgegeben. Die Gewalt war – zeitweilig – ein Instrument, das Kurdenproblem auf der politischen Agenda ganz nach oben zu setzen. Das ist ihm gelungen.

Was für eine Person ist denn Öcalan?

Er hat eine Vision und für diese Vision kämpft er erfolgreich. Er ist schon mehr als ein „Terroristenkopf“, wie ihn die türkischen Medien und Politiker oft bezeichnen.

Also entsteht im Südosten der Türkei de facto ein Kurdistan?

Das Ziel, einen solchen zu gründen, besteht fort. Und die Entwicklungen unter den Kurden im Irak und in Syrien schaffen dafür günstige Rahmenbedingungen.