Politik
„Die Menschen verlieren die Hoffnung“: Die Winterkälte offenbart das Elend der Flüchtlinge in Griechenland
Tausende Menschen mussten auf den griechischen Inseln tagelang bei Minusgraden ohne Strom und Wasser ausharren. Nun drohen mit der Schneeschmelze weitere Probleme. Hilfsorganisationen schlagen Alarm.
Kalte Zelte, die unter einem halben Meter Schnee zusammenzubrechen drohen, gefrorener Boden, der tagsüber zu Matsch wird – in den vergangenen Tagen haben Bilder aus den Flüchtlingslagern der griechischen Inseln einmal mehr das Elend der Menschen dort ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Nun steigen die Temperaturen schlagartig, mit Schmelzwasser und starkem Regen drohen neue Probleme. Und der Winter ist in Griechenland noch längst nicht vorbei.
„Wie man die Menschen hier leben lässt, ist in höchstem Grade unverantwortlich und unmenschlich“, bringt Sophie de Vries die Situation im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste, auf den Punkt. Die Medizinerin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen arbeitet dort seit sechs Monaten. Ihr Alltag ist ein Kampf gegen Windmühlen. „Rund 2000 Menschen, darunter Kleinkinder, Schwangere, Traumatisierte leben hier in dünnen Nylonzelten ohne Wasser, Heizung und Strom. Sie haben keine Matratzen, sie schlafen auf dem Boden – und das in manchen Fällen seit acht, neun Monaten.“
Im Winter kommen die Helfer mit der Versorgung überhaupt nicht mehr nach: „Die Flüchtlinge sind ständig nass. Wir verteilen trockene Kleider, aber wenn es regnet, geht alles wieder von vorne los, mehrfach pro Tag. Das ganze Lager ist ein einziges matschiges Loch. Wenn es besonders stark regnet, werden ganze Zelte weggespült.“ Die Menschen seien geflohen und versuchten nun, im Lager zu überleben. Wer nicht sowieso schon krank sei, werde krank: „Die Zustände bergen enorme Gesundheitsrisiken.“
Auch die Mediziner der Hilfsorganisation Ärzte der Welt sehen, wie die Schutzsuchenden unter den Folgen des Winters leiden. „Wir haben immer mehr Kinder und ältere Menschen mit Atemwegsinfektionen“, sagt Nikolaos Marinos, Koordinator der Organisation für Griechenland. „Für manche ist das lebensbedrohlich, weil die Kälte Asthmaanfälle oder schwere Lungenentzündungen mit Komplikationen hervorrufen kann.“ Allein die Zahl der Lungenentzündungen habe sich in den vergangenen beiden Monaten verdoppelt.
Es dauerte bei Minusgraden und Schneestürmen mehrere Tage, bis die griechische Regierung handelte: Am Mittwoch wurde ein Schiff der Kriegsmarine nach Lesbos geschickt, um vorübergehend 500 Menschen aufzunehmen. An Bord: Heizlüfter, warme Decken und anderes Material. „Wieso haben sie nicht einfach eine Fähre geschickt?“, fragt ein griechischer Helfer. „Ist denen nicht klar, dass wir hier viele traumatisierte Menschen haben, die lieber erfrieren würden, als auf ein Kriegsschiff zu steigen? Nicht zuletzt, weil sie Angst haben, dass man sie damit zurück in die Türkei bringt?“
Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, macht den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei für das Elend verantwortlich. „Wegen dieses Deals sitzen jetzt mehr als 15 000 Menschen in den doppelt überbelegten EU-Hotspots auf den griechischen Inseln in der Kälte fest.“ Seine Kollegin Sophie de Vries erlebt, wie sehr die Flüchtlinge und Migranten unter der monatelangen Warterei leiden, vor allem auch psychisch. „Die Bearbeitung der Anträge geht nur sehr langsam voran. Die Menschen verlieren die Hoffnung, Frust und Aggression steigen.“
Nicht nur auf den Inseln, auch in anderen Flüchtlingslagern des Landes sind die Zustände schlecht. Was bislang für diese Menschen getan wurde, sei bei weitem nicht genug, sagt François de Keersmaeker, Direktor von Ärzte der Welt in Deutschland. „Griechenland ist mitten in einer Wirtschaftskrise. Wir können von diesem Land nicht erwarten, allein mit dem Problem fertig zu werden, während andere europäische Länder keine Flüchtlinge aufnehmen.“ Ursprünglich war zwischen den EU-Staaten vereinbart worden, Griechenland im vergangenen Jahr 30 000 Flüchtlinge abzunehmen. Tatsächlich reisten nur 5500 ab. (Alexia Angelopoulou und Takis Tsafos, dpa/ dtj)