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Gesellschaft

Die neuen deutschen Nachbarn, die die türkische Mutter verärgerten

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Was ist Patriotismus? Viele definieren ihn durch eine Abgrenzung zum „Fremden“. Doch das muss nicht so sein.

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Mit großen Schritten bewege ich mich auf den örtlichen Bahnhof zu. Auf dem Weg dorthin geht ein Anruf meiner Mutter ein, die mir ihren Unmut über unseren neu eingezogenen deutschen Nachbarn in türkischer Sprache zum Ausdruck bringt. Sie hat einen leckeren Kuchen gebacken und wartet seit geraumer Zeit erwartungsvoll darauf, dass die deutschen Nachbarn sie besuchen und sich vorstellen. So kannte sie es zumindest aus ihrer eigenen Tradition. Vergeblich.

Wenige Tage später hat sie erfahren, dass die deutsche Familie in direkter Nachbarschaft ebenfalls einen Kuchen gebacken hat, denn es sei bei ihnen üblich, dass die Nachbarn vorbeikommen und sie willkommen heißen. Letztendlich sind beide Familien mit ihrem Kuchen allein geblieben.

Es wird deutlich, wie Missverständnisse und Vorurteile entstehen können. Ohne es pauschalisieren zu wollen, wird wohl eine türkische Familie denken, dass die deutschen Familien unfreundlich, distanziert und tendenziell sogar fremdenfeindlich sind. Die deutschen Familien werden wohl eher annehmen, dass die türkische Familie eine Parallelgesellschaft mitten in ihrem Wohnviertel aufbaut und es vorzieht, unter sich zu bleiben. Dabei sind es fehlende Informationen über die gegenseitige Kultur, die zu diesen Vorurteilen führen.

Der interkulturelle Austausch und gemeinsame Dialog sind der Schlüssel für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Durch die soziale und kulturelle Interaktion werden stereotype Denkmuster aufgebrochen, Gemeinsamkeiten entdeckt und daraus resultierend das Wir-Gefühl gestärkt. Vor diesem Hintergrund sind Anstrengungen aller Bevölkerungsgruppen erforderlich. Es ist ein gesellschaftlicher Prozess, in dem alle Menschen, unabhängig ihrer ethnischen Herkunft, mit einbezogen sind. In diesem Sinne beginnt der Patriotismus bereits vor der eigenen Haustür.

Die Nächstenliebe, der Respekt und die Toleranz gegenüber seinen Nachbarn und Mitmenschen. Nicht die vorurteilsbehafteten Gespräche übereinander, sondern das grundlegende Interesse füreinander und der Dialog miteinander. Ein Patriotismus mit Herz und Verstand.

Patriotisch zu sein heißt, sein Land zu lieben und zu achten

Das gemeinsame Interesse an einer zukunftsfähigen und einer immer bunter werdenden Gesellschaft ist im Zuge des demografischen Wandels sowie der zunehmenden Globalisierung ein Indikator für die soziale und emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation. Eine Nation, die von der Vielfalt und dem bürgerschaftlichen Engagement lebt und diese als eine Bereicherung versteht. Diese Bindung ist ein Nationalgefühl, ein Merkmal des patriotischen Bürgers, der sich grundlegend vom Nationalisten differenziert, denn ein Nationalist denkt, dass Menschen anderer Herkunft oder Ethnie nicht so wertvoll sind, wie die Menschen ohne einen Migrationshintergrund. Dies scheint ubiquitär zu sein.

Überall sind diese vorzufinden, jedoch spreche ich von Patrioten, die Vielfalt als Motor gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung unserer Gesellschaft definieren. Echte Patrioten sind sich ihrer zivilgesellschaftlichen Verantwortung bewusst und leisten ihren Beitrag für eine positive Entwicklung des Landes, nicht nur für sich selbst oder explizit einer Bevölkerungsgruppe, sondern für alle. Für eine Nation.

Deutschland gewinnt zunehmend durch seine Vielfalt und Zuwanderung. Das durch die Zugewanderten mitgebrachte soziale und kulturelle Kapital, die Sprachenvielfalt oder die unternehmerische Leistungsbereitschaft bereichern unser Land und stärken unsere Zukunftsfähigkeit. Als Einwanderungsland können wir im Wettbewerb um Talente nur bestehen, wenn wir heute die richtigen Weichen stellen.

Patriotismus beginnt vor der eigenen Haustür, bei jedem selbst

Jeder kann seinen persönlichen Beitrag im eigenen Umfeld leisten, wie die folgende Anekdote zeigt, die dieses Lebensbild bekräftigt:

Ein Kind wollte mit seinem Vater spielen. Da der Vater weder Zeit noch Lust zum Spielen hatte, kam ihm eine Idee, wie er das Kind beschäftigen konnte. In einer Zeitung fand er eine detailreiche Abbildung der Erde.

Er riss das Blatt mit der Weltkugel aus der Zeitung und zerschnitt es in viele kleine Einzelteile. Das Kind, das Puzzles liebte, machte sich sofort ans Werk und der Vater zog sich zufrieden zurück. Aber schon nach kurzer Zeit kam das Kind mit dem vollständigen Welt-Bild an. Der Vater war verblüfft und wollte wissen, wie es möglich war, in so kurzer Zeit die Einzelteile zu ordnen.

„Das war ganz einfach!“, antwortete das Kind stolz. „Auf der Rückseite des Blattes war ein Mensch abgebildet. Damit habe ich begonnen. Als der Mensch fertig war, war auch die Welt wieder zusammengesetzt.“