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Die neuen Gäste

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Seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 gibt es immer mehr Flüchtlinge auch aus der Türkei. Unser Blogger hat einige von ihnen getroffen und erzählt seine Eindrücke. „Diese hochgebildeten Akademiker verdienen kein Asyl, sondern sollten die neuen willkommenen Gäste genannt werden“, so DTJ-Blogger Salih.

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Die neuen Gäste, Flüchtlinge, Akademiker, Türkei
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Samstagmorgen: Für das Frühstück habe ich Simit  gekauft. (Simit (türkisch) ist ein ringförmiges Hefeteiggebäck mit Sesamkörnern auf der Kruste) Da sind mir sofort die zwei Familien eingefallen, die seit kurzem ganz in der Nähe unserer Wohnung im Flüchtlingsheim wohnen. Sie sind als Sympathisanten der Gülen Bewegung in ihrer Heimat, der Türkei, nicht mehr sicher. Sie flohen mit ihren Kindern nach Deutschland. Ich dachte plötzlich daran, dass sie sicherlich keine Simits auf dem Frühstückstisch haben würden. So entschied ich mich,  zwei Tüten Simits ganz leise und unauffällig vor die Tür dieser beiden Familien zu stellen und wieder zu gehen, damit sie an diesem Samstagmorgen im fernen Europa ein Stück Heimatgefühl genießen können.

Das Ehepaar: Flugzeugingenieur und Lehrerin

Als ich mich der Tür des ca. 20m2 kleinen Zimmers näherte, wurde die Tür jedoch von einem dreijährigen Kind geöffnet. Natürlich habe ich dem Kind  die Tüte mit den Simits übergeben. In dem Moment kam die Mutter des Kindes. Mit einem traurigen Ton bedankte sie sich und sagte: „Wir haben alles, was wir brauchen. Bitte machen Sie sich um uns keine Sorgen“. Ich erfuhr, dass ihr Mann Flugzeugingenieur, sie selbst eine Lehrerin war, und bis vor kurzem hatten sie alles gehabt, u.a. eine ziemlich große Wohnung, ein ziemlich neues Auto und ein sehr gutes Einkommen. Deshalb waren sie immer diejenigen, die Bedürftigen halfen und sie unterstützten, wo sie nur konnten. Auf einmal jedoch waren sie nun diejenigen, die hilfsbedürftig waren. Diese stolze Dame war geknickt und schämte sich und ich konnte ihre Lage sehr gut nachvollziehen.

Als ich mich mit dem Ehemann unterhielt, sagte er ausdrücklich: „Wir sind hier sehr glücklich und dankbar, dass wir sicher sind und eine Unterkunft haben. In der Türkei hatten wir eine Wohnung von ca.180m2, auf unserer Flucht jedoch lediglich einen Rucksack. Dieser wurde mit all meinen Pässen und Unterlagen auf dem Schiff geklaut. Zu guter Letzt wurden wir auch noch von der Polizei erwischt. Unsere Welt bestand anschließend aus einer Zelle von 10m², später aus einem ca.12m2 großen Gefängnis.“ Der Mann hält kurz inne und fährt anschließend fort: „Der liebe Gott prüft uns, indem er uns mal kleinen und mal großen Raum schenkt. Die Prüfung besteht darin, ob wir trotz diesen schwankenden Bedingungen zufrieden sind.“ Aufgrund dieser Verbundenheit und des Vertrauens an Gott findet diese Familie unter allen Umständen stets Hoffnung und Zufriedenheit. Diesen Eindruck habe ich nicht nur bei dieser Familie, sondern bei allen Familien, die aus demselben Grund aus der Türkei flüchten mussten.

Neben der Hoffnung, dass es ihrem Land bald wieder gut geht und die Demokratie wieder zurückkehrt, schauen sie nach vorne und sie haben sogar schon angefangen Deutsch zu lernen.

Sie lernen die Deutsche Sprache in kürzester Zeit

Als einer dieser Gäste mich voller Elan angesprochen hatte, dass sie dringend Kommunikationspartner bräuchten, um sich zu unterhalten, damit sie die im Deutschkurs gelernten Wörter anwenden könnten, sprudelte es in mir förmlich. Sie hatten sich alle das Ziel gesetzt, möglichst schnell die Sprache zu lernen, um in der neuen Heimat ihren Berufen nachgehen zu können und ein funktionierendes Zahnrad dieser Gesellschaft zu sein. Gegenüber vielen, die seit Jahren in Deutschland leben aber der Sprache leider nicht mächtig sind, sind diese hochgebildeten Ärzte, Ingenieure, Professorinnen und Professoren, Lehrer, Lehrerinnen und Geschäftsleute intrinsisch gewillt, sich in die Gesellschaft zu integrieren und ein Teil dieser zu werden.

Da diese Menschen alles Hab und Gut, Familie und Freunde in ihrer Heimat hinterließen, sind sie sehr wohl in der Lage die Kleinigkeiten, die ihr Gastgeberland Deutschland ihnen gibt, auch wert zu schätzen. Sie wissen nämlich, wie wertvoll und kostbar die Freiheit ist.

Sie kennen das Grundgesetz, ihre Grundrechte (z.B. Artikel 1 §1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“) wissen sie zu schätzen, da sie genau diese Wertschätzung, in ihrer Heimat leider Gottes nicht genießen durften. Ohne Angst zu leben und die Meinungen frei zu äußern, ist ein wertvolles Gut. Sie wissen daher nun, wie wertvoll es ist, ohne die Angst, dass jederzeit die Tür nachts von Polizisten eingeschlagen werden könnte, um den Ehemann, den Vater mitnehmen zu können, ins Bett zu gehen. Sie wissen jetzt, wie wertvoll es ist, ohne Angst im eigenen Laden zu stehen, ohne dass die Anhänger der Partei kommen und sie einfach vom eigenen Laden vertreiben.

Sie kamen in der Nacht und nahmen alles weg

Ich berichte nun von einer Familie, einem Arzt und seiner Frau, sie ist ebenfalls eine Ärztin. Sie haben mir lachend erläutert, wie die Leute in der Nacht um 22:00 Uhr gekommen sind, während sie mit einem LKW ihre sehr kostbaren Geräte aus der eigenen Klinik transportieren bzw. retten wollten, und ihnen alles wegnahmen.

Ein anderer Geschäftsmann erklärte mir, er hätte den größten Baumarkt in der Stadt gehabt. Die haben ihn ins Gefängnis geschickt, und als er nach sechszehn Monaten wieder frei war und seinen Baumarkt besuchen wollte, in den er sehr viel Herzblut gesteckt hatte, war dieser bis auf die Wasserhähne komplett ausgebeutet. Aufgeben kam für diesen Mann nie in Frage, er schöpfte neuen Mut und fing bei Null an.

Ein weiteres Ereignis erzählte mir ein Familienvater. Der Hausbesitzer habe ihn und seine Familie von heute auf morgen einfach rausgeworfen und habe die Möbel von einer Umzugsfirma auf die Straße abladen lassen. Obwohl sie Vorzeige-Mieter waren und den Vermieterkindern sogar regelmäßig bei den Hausaufgaben halfen.

Im Jahr 1999 bebte die Türkei bei dem stärksten Erdbeben der türkischen Geschichte. Es gab unheimlich viele Tote und ganze Städte waren verwüstet. Die Wohnung eines Mannes wurde ebenfalls zerstört. Als sein Nachbar, der Lehrer war und der Gülen-Bewegung angehörte, ihn gesehen hatte, saß er auf einem Stuhl auf den Trümmern seiner Wohnung fix und fertig und wiederholte nur weinend und hoffnungslos: „ ich habe alles verloren“. Er kümmerte sich sofort um ihn und baute diesen Menschen seelisch wieder auf, indem er ihn motivierte, sodass er nachher wieder Kraft hatte zu leben. Als genau dieser Mann danach den Lehrer, der ihm doch das Leben gerettet hatte, bespitzelte, wusste dieser genau, dass er nicht mal eine Ameise verletzen würde und unschuldig war. Aber so ist das Leben, wenn man das Rückgrat verliert, dann plagt das Gewissen auch nicht mehr.

Türkei: Wie ein LKW ohne Bremsen

Ganz Europa, die ganze USA, mittlerweile die ganze Welt weiß, dass die Türkei momentan wie ein LKW ohne Bremsen mit voller Geschwindigkeit in den Abgrund fährt. Aber die Mehrheit der Türkei, die auf irgendeine Art und Weise von diesem Chaos profitiert aber leider sich selbst im LKW befindet, denkt, der LKW sei unterwegs zum Gipfel. Um die richtige Richtung des LKW s zu erfahren, müssen wir etwas warten, denn alle Navigationsgeräte in der Türkei zeigen eine andere Richtung, wobei die ganze Welt das Gegenteil sagt. Aus dem Grund haben viele Mitglieder der Gülen-Bewegung den LKW verlassen. Sie haben sich auf die ganze Welt verteilt.

Im Zeitraum von 1931-1945 sind zahlreiche deutsche Wissenschaftler und Künstler in die Türkei geflüchtet. Diese haben sich in der Türkei in verschiedenen Bereichen engagiert und vieles geleistet. Da sie Wissenschaftler waren, wurden sie überwiegend im Bereich der Hochschulen und Universitäten eingesetzt und haben das Bildungssystem der damaligen Türkei verstärkt. Beispielweise haben mit Prof. Albert Malche, bei der Gründung der Universität zu Istanbul und mit Prof. Dr. Philipp Schwartz, bei der Gründung der Universität zu Ankara ca. 100 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitgearbeitet. Jetzt, zu diesem Zeitpunkt kann man nicht sagen, ob durch diese Gäste in den unterschiedlichen Bereichen des Lebens ein Ausgleich stattfinden wird. Sie werden sich dennoch gerne im Alltag, wo es Bedarf ist, einsetzen.

Wir können aber schon sagen, dass diese Gäste fleißig, engagiert, hochgebildet und bereichernd für das Land sein werden. Deshalb verdienen sie nicht Asyl, sondern sollten die neuen Gäste genannt werden. Schade für die Türkei, aber herzlich willkommen in Deutschland.

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