Politik
„Die PKK ist keine Terrororganisation“: Meinungsfreiheit oder Verbrechen?
Der Vorsitzende der Anwaltskammer von Diyarbakır wurde festgenommen, weil er gesagt hat, dass er die PKK nicht als Terrorgruppe sehe. AKP-Mitglieder hingegen können diese Auffassung anscheinend äußern, ohne Konsequenzen zu befürchten.
Ist die PKK eine Terrororganisation oder nicht? Es gibt dort wenig Interpretationsspielraum. Aber kurz vor den Neuwahlen bestimmt die PKK das Tagesgeschehen. Und während die Regierung noch vor wenigen Monaten selbst Verhandlungen mit der PKK führte, kann es jetzt brandgefährlich sein, die Abkürzung in den Mund zu nehmen.
Am gestrigen Nachmittag wurde der Tahir Elçi, der Vorsitzende der Anwaltskammer von Diyarbakır, auf freien Fuß gesetzt, nachdem er in der Nacht von Montag auf Dienstag in Diyarbakır von Sicherheitskräften festgenommen und in den frühen Morgenstunden per Flugzeug nach Istanbul verlegt worden war. Seine Freilassung erfolgte unter den Auflagen juristischer Kontrolle und des Verbots, das Land zu verlassen.
Grund für seine Verhaftung war eine Äußerung, die er am 14. Oktober getätigt hatte. Im privaten Nachrichtensender CNN Türk hatte er in der bekannten Polittalkshow ‚Tarafsız Bölge‚ (in etwa ‚Neutraler Boden‘) des Journalisten Ahmet Hakan geäußert, dass er die PKK nicht für eine Terrorgruppe halte. Wörtlich sagte er: „Die PKK ist keine Terrororganisation. Auch wenn manche ihrer Aktionen als terroristisch einzustufen sind, handelt es sich bei ihr [lediglich] um eine bewaffnete politische Bewegung. Sie ist eine Bewegung, die politische Forderungen stellt und großen Rückhalt in der Bevölkerung erfährt.“
Wegen dieser Worte hatte die Generalstaatsanwaltschaft Bakırköy am Freitag Ermittlungen bezüglich „Propaganda für eine Terrororganisation“ gegen Elçi eingeleitet und am Montagabend bekanntgegeben, dass Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Daraufhin wartete Elçi, der jegliche juristische Schuld zurückweist, trotzig auf seine Verhaftung: „Ich warte im Gebäude der Anwaltskammer, ich bin nicht weggerannt, ich habe nichts verbrochen. Ich warte“, soll seine Reaktion gewesen sein. Daraufhin dauerte es noch bis 2.20 Uhr nachts, bis er in Haft genommen wurde.
Elçi: Terror ist Definitionssache
In Istanbul verteidigte er sich nicht nur, indem er darauf verwies, nur eine Meinung geäußert und keineswegs Propaganda für die PKK gemacht zu haben. Er äußerte auch die Auffassung, die Ermittlungen gegen ihn und seine Verhaftung seien nicht aufgrund juristischer Kriterien erfolgt, sondern auf die Weisung von Regierungsmitgliedern hin. Vor allem aber prangerte er die Doppelmoral der Regierung an: „Der verehrte Herr Davutoğlu hat ebenso öffentlich geäußert, dass er den IS, der von der gesamten Welt als barbarische und bestialische Terrororganisation geächtet wird, nicht als solche sieht“, behauptete der Anwalt. Die Beispiele Hamas und Fatah würden zeigen, dass die Definition, was eine Terrorgruppe ist und was nicht, eine internationale Formalität ist. Die AKP und Premierminister Erdoğan empfangen schließlich ebenfalls Terroristen wie Khalid Masch’al, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein.
Unterstützung für Elçis Argument hat unterdessen Mehmet Aslan ebenfalls in Ahmet Hakans Sendung ‚Tarafsız Bölge‘ eingebracht. Als Schelte gegen die Doppelmoral der Regierung spielte er an diesem Montag im Studio eine Aufnahme des AKP-Abgeordneten Orhan Miroğlu ab, der in der Sendung ‚Bıçak Sırtı‚ (‚Messers Schneide‘) im Sender Ülke TV beinahe im Wortlaut dieselbe Äußerung tätigte wie Elçin: „Die PKK ist keine Terrororganisation, sondern eine politische Organisation, die auf ihrem eigenen [Grund und] Boden versucht, ein bestimmtes politisches Programm umzusetzen“, so der AKP-Abgeordnete aus Mardin. Konsequenzen zog diese Aussage bislang nicht nach sich.