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Politik

Die Türkei in Afghanistan: Was der Westen von türkischer Entwicklungshilfe lernen kann

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Der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan gilt als Misserfolg, die Bilanz fast aller beteiligten Staaten ist negativ. Dabei sticht die Türkei als positives Gegenbeispiel heraus, wie in einer aktuellen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik festgestellt wird. Was macht die Türkei anders als ihre westlichen Verbündeten?

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Das Engagement der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan wird weitestgehend als Fehlschlag gewertet: Trotz gewaltiger wirtschaftlicher und menschlicher Anstrengungen ist es in den letzten 14 Jahren nicht gelungen, ein stabiles politisches System, eine funktionierende Verwaltung und eine effektive Justiz aufzubauen. Die meisten Staaten, die in Afghanistan aktiv sind, handeln nach der Devise, dass auf militärische Sicherheit politische Stabilität und darauf wiederum wirtschaftlicher Aufbau folgt. Diese Strategie gilt als gescheitert, ein Staat sticht aber mit seinem Engagement in Afghanistan positiv hervor: die Türkei.

In einer neuen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik haben der Türkei-Experte Dr. Günter Seufert und der freie Journalist Cem Sey die türkische Entwicklungspolitik in Afghanistan analysiert und kommen zu dem Schluss, das türkische Engagement am Hindukusch sei „für den Westen ein wertvolles Beispiel, an dem orientiert er eigene Ideen entwickeln kann.“ Die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist die größte Forschungseinrichtung für außen- und sicherheitspolitische Fragen in Deutschland; sie ist einer der einflussreichsten Thinktanks in Europa und berät Bundestag und Bundesregierung.

Was jedoch macht die türkische Entwicklungs- und Sicherheitspolitik in Afghanistan erfolgreicher als die der westlichen Verbündeten? Die Türkei spielt mit offenen Karten und redet auf Augenhöhe mit den Afghanen.

Grundlegend arbeitet die Türkei in Afghanistan mit denselben Instrumenten wie ihre Verbündeten: Streitkräfte, Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit und Nichtregierungsorganisationen. Sie ergänzt diese jedoch durch zwei andere wichtige Instrumente: Außenwirtschaftspolitik und private Investoren. Von Anfang an „hat Ankara seine ökonomischen Interessen klar definiert und ohne falsche Scham bekannt gegeben“, schreiben Seufert und Sey. Diese Interessen liegen vor allem im Energie- und Transportsektor. Einerseits beteiligen sich private türkische Unternehmen an der Erkundung und Ausbeutung afghanischer Öl- und Gasvorkommen, andererseits ist vor allem der türkische Bausektor in Afghanistan aktiv und beteiligt sich am Ausbau der Infrastruktur und dem Projekt einer neuen Seidenstraße, die irgendwann einen zusammenhängenden Überlandhandel von Peking bis Istanbul ermöglichen soll.

Wirtschaftspartner statt Hilfeempfänger

Auch betreibt Ankara eine aktive Handelspolitik, private Unternehmen werden ermutigt, Investitionen zu tätigen und lokale wirtschaftliche Engpässe werden ausgemacht, um sie mit eigenen Produkten zu beheben. Entsprechend sind türkische Erzeugnisse heute auf dem afghanischen Markt prominent vertreten und begehrt. Der Eigennutz bei der Sache ist offensichtlich, dennoch schadet es dem Ansehen der Türken bei den Afghanen nicht, dass sie ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen derart offen verfolgen: „Im Gegenteil, die afghanische Seite sieht sich eher auf gleicher Augenhöhe, wenn sie als Wirtschaftspartner und nicht als Hilfeempfänger angesprochen wird.“

Dabei kommt auch die Mentalität türkischer Geschäftsleute beiden Seiten zugute: „Ein Vorzug türkischer Unternehmer ist zweifellos, dass sie risikobereiter sind als die meisten europäischen und US-amerikanischen Geschäftsleute.“ Auch türkische Unternehmer und ihre Mitarbeiter seien in den vergangenen Jahren entführt oder gar getötet worden – haben es im Gegenteil zu den meisten westlichen Partnern aber dennoch vermieden, sich hinter Stacheldraht und hohen Mauern zu verschanzen. „So vermitteln sie den Einheimischen das Gefühl, sich nicht von ihnen abzuheben.“ Außerdem werde wertgeschätzt, dass türkische Firmen oft afghanische Arbeitskräfte anstellen. Deren Löhne seien zwar sehr bescheiden, aber in einem Land mit einer exorbitant hohen Arbeitslosigkeit wie Afghanistan sei selbst ein schlecht bezahlter Job ein Privileg.

Doch auch im militärischen Bereich gibt sich Ankara Mühe, sich von seinen Partnern abzugrenzen. Zwar sind die türkischen Streitkräfte in die Strukturen der NATO integriert – mehrere hohe Kommandos, die die Türkei in Afghanistan bereits übernommen hat, zeugen davon. Doch hat sich die Türkei von Anfang an geweigert, an militärischen Aktionen gegen die Taliban, an der Terrorbekämpfung oder an Operationen gegen Drogenproduktion und -handel teilzunehmen. Damit signalisiere Ankara der afghanischen Bevölkerung erfolgreich, dass es keine Besatzungsmacht sein wolle. Und das macht sich auch militärisch bemerkbar: Bisher gab es keinen einzigen Angriff Aufständischer auf türkische Soldaten in Afghanistan.

Flankiert wird das wirtschaftliche und sicherheitspolitische Engagement der Türkei von kultureller und zivilgesellschaftlicher Arbeit: Die Entwicklungsagentur TİKA (Türk İşbirliği ve Koordinasyon Ajansı) führte zwischen 2005 und 2015 über 800 Projekte durch, mehr als die Hälfte davon im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Laut der Studie hat sie damit über 100.000 Kindern eine Grundbildung ermöglicht und  5 Millionen Afghanen Zugang zu medizinischer Versorgung verschafft. Mit jährlich 500 Stipendien für Universitätsstudien in der Türkei ist sie darüber hinaus neben Indien das einzige Land, das in größerer Zahl afghanische Studenten aufnimmt.

Bedeutung zivilgesellschaftlichen Austauschs

Im Bildungs- und Entwicklungsbereich setzt die TİKA auf die Zusammenarbeit mit regierungsnahen NGOs, die meist ein nationalistisches und islamisches Profil haben, wie die umstrittene İHH. Aber auch einem Akteur, den die Regierung in der Türkei selbst erbarmungslos verfolgt, lässt sie in Afghanistan offenbar weitgehend freie Hand: der Hizmet-Bewegung. Die Hizmet-Aktivisten sind „die wohl aktivsten zivilgesellschaftlichen Akteure in Afghanistan“, heißt es bei Seufert und Sey. Dies geschehe vor allem durch die Hilfsorganisation „Kimse Yok Mu?“ und in den elf privaten Schulen, die die Hizmet-Bewegung in Afghanistan betreibt, darunter auch Mädchenschulen. „Die Gülen-Schulen haben einen ausgezeichneten Ruf und ziehen auch Eltern aus der Elite des Landes an. Sie vermitteln neben Englisch auch Türkisch auf sehr hohem Niveau, was türkischer Wirtschaft und Politik direkt zugutekommt.“ Die Hizmet-Aktivisten seien freiwillig in Afghanistan und ließen sich samt ihrer Familien oft für mehrere Jahre im Land nieder. Auch hätte die Hizmet-Bewegung den Eindruck der Zusammenarbeit auf Augenhöhe dadurch weiter gestärkt, dass sie türkische Studenten für einige Jahre an die Universität Kabul gebracht hat.

„Das erfolgreiche Wirken der Türkei in Afghanistan und ihre Fähigkeit, direkten Zugang zu Staat und Bevölkerung zu finden, bestärkt die westlichen Verbündeten des Landes in der Idee, bei künftigen Friedens- und Aufbaueinsätzen noch intensiver mit Ankara zu kooperieren“, resümieren Seufert und Sey in der Studie. Dabei gebe es jedoch ein fundamentales Problem: das türkische Selbstverständnis.  Die türkische Regierung sehe ihre Entwicklungsarbeit als ein Element einer als unvermeidlich wahrgenommenen „Konkurrenz mit westlichen Ländern um Einflusssphären vor allem in der islamischen Welt“. Die Hoffnungen auf eine konstruktive Zusammenarbeit müssten so lange „auf ein realistisches Maß zurechtgestutzt werden“, wie sich die türkische Regierung „in einem schicksalhaften Konkurrenzkampf mit dem Westen“ sehe.

Entsprechend selbstbewusst betont auch der TİKA-Vorsitzende Serdar Çem, dass die Türkei und westliche Länder in ihrer Entwicklungszusammenarbeit entgegengesetzte Interessen verfolgen würden. Während er den westlichen Staaten eine postkoloniale Entwicklungspolitik unterstellt, sei die Türkei das einzige Land, das ohne eigene Interessen helfe: „Wir sind dort, um den Menschen über der Erde zu helfen und nicht wegen des Reichtums unter der Erde.“