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Politik

Die Türkei zwischen den Fronten: Ankara und der saudisch-iranische Konflikt

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Seit der Hinrichtung des Geistlichen Nimr Al-Nimr sind Saudi-Arabien und Iran mehr denn je auf Konfrontationskurs. Der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad spricht im DTJ-Interview über die Ursachen und darüber, was das für die Türkei bedeutet.

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Die Türkei steht im Nahen Osten einmal mehr zwischen den Stühlen, seitdem Iran und Saudi-Arabien nach der Hinrichtung des schiitischen Klerikers Nimr Al-Nimr ihre ohnehin angespannten Beziehungen abgebrochen haben und vollends auf Konfrontationskurs gegangen sind. Ankara hat bisher versucht, zu beiden Seiten gute Beziehungen zu wahren und scheint keinen klaren Fahrplan zu haben, wie es mit dem Konflikt umgehen soll. DTJ hat mit dem Nahost-Experten Dr. Ali Fathollah-Nejad über die Gründe und Folgen des saudisch-iranischen Konflikts gesprochen und warum er für die Türkei von Bedeutung ist.

Viele Beobachter unterstellen Saudi-Arabien, die Krise durch die Hinrichtung Nimr Al-Nimrs absichtlich herbeigeführt zu haben. Wie sehen Sie das?

Fathollah-Nejad: Der Zeitpunkt der Hinrichtungen lässt solch eine Vermutung zu. Sowohl innen- als auch außenpolitisch befindet sich Saudi-Arabien in Bedrägnis. Die Hinrichtungen dieser 47 als Terroristen Titulierten sind als Warnung an inländische Opponenten des Regimes zu verstehen: Zum einen gegenüber sunnitischen Radikalen, die die Herrschaft des Saud-Clans ablehnen und zum anderen gegenüber der schiitischen Minderheit, die die für die Staatseinnahmen so zentrale ölreiche Ostprovinz bewohnt. Außenpolitisch sieht sich Riad durch den zunehmenden Einfluss Irans in der Region und den Annäherungsprozess zwischen Iran und dem Westen bedroht. Da letzterer nun erste Früchte – die Aufhebung von EU- und UN-Sanktionen am sogenannten „Implementation Day – tragen soll, war der Zeitpunkt der Provokation sicherlich nicht willkürlich. Auch hat der Krieg im Jemen nicht den erhofften zügigen Sieg eingefahren, obwohl er noch nicht die notwendige Kritik seitens der internationalen Gemeinschaft hervorgerufen hat.

Aber warum hatte der hingerichtete Nimr Al-Nimr eine so große Bedeutung für Iran und weshalb löste seine Hinrichtung eine derart heftige Reaktion aus?

Fathollah-Nejad: Die Islamische Republik Iran und ihr religiöses und politisches Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei sehen sich als Schutzmacht der Schiiten. Somit musste Riad damit rechnen, durch die Exekution al-Nimrs harsche iranische Reaktionen hervorzurufen. Unter Umständen hat man sich sogar eine Massivität bei der iranischen Reaktion gewünscht, die den von ihnen mit Argusaugen verfolgten Annäherungsprozess zwischen Iran und den Westen unterhöhlen könnte.

Allerdings haben die von einem Mob von Ultra-Hardlinern verübten Angriffe auf saudische diplomatische Vertretungen in Teheran und Mashhad der zentristischen Regierung unter Präsident Hassan Rohani und ihre außenpolitische Entspannungspolitik einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran wird meist als eine Rivalität zwischen Sunniten und Schiiten dargestellt. Teilen Sei diese Einschätzung oder glauben Sie, dass andere Gründe den Kern des Konflikts bilden?

Fathollah-Nejad: Es ist vermessen, wenn nicht gar gefährlich, die im Westen und auch zunehmend in den Saudi-Arabien nahestehenden arabischen Medien populäre Lesart eines Konfessionskrieges das Wort zu reden. Ganz abgesehen davon, dass solch eine Lesart kaum Hoffnung auf eine Beendinung einer angeblich uralten Feindschaft aufkommen lässt, verschleiert sie den Blick auf die zentrale Frage: So handelt sich bei der iranisch-saudischen Rivaltät um einen Hegemonialkonflikt in der Region des Persischen Golfes. Beide Staaten erheben den Anspruch auf die Vorreiterrolle nicht nur in Westasien, sondern auch in der islamischen Welt. Diese miteinander nicht in Einklang zu bringenden Zielsetzungen rufen natürlich Konflikte hervor.

Rechnen Sie damit, dass dieser Hegemonialkonflikt weiter eskalieren wird?

Fathollah-Nejad: Weitere Eskalationen sind nicht auszuschließen. Eher sind sie vorpogrammiert, solange die sicherheitspolitische Malaise in der Region weiterbesteht: Die vorhandene Sicherheitsarchitektur ist vielmehr eine auf Ausgrenzung basierte Unsicherheitsarchitektur. Nur eine großangelegte politische Initiative gen „gemeinsamer Sicherheit“ kann tatsächlich für alle Staaten der Region eine nachhaltige Sicherheit gewährleisten. Hier hat die auch von mir in der Vergangenheit favorisierte Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO) kaum an Relevanz verloren.

Doch ein Kriegsausbruch zwischen Saudi-Arabien und Iran ist momentan kaum denkbar, da dies nicht im Interesse beider Seiten wäre.

Zwischen diesen beiden Fronten steht die Türkei. Sie hatte bisher gleichermaßen ein kompliziertes, aber relativ wohlgesonnenes Verhältnis zu beiden Ländern. Ankara hat sich uneindeutig zwischen beiden Konfliktparteien positioniert, zeigt jedoch eine Tendenz zu Saudi-Arabien. Vor allem mit Blick auf Syrien steht Ankara an der Seite Riads. Was aber hätte die Türkei an Iran zu verlieren?

Fathollah-Nejad: Trotz der anvisierten Äquidistanz Ankaras zu Teheran und Riad ist nunmehr eine pro-saudische Tendenz zu erkennen. Anfang des Jahres wurde ein türkisch-saudischer Rat für strategische Fragen ins Leben gerufen, dessen Ausgangspunkt eine deckungsgleiche Lageeinschätzung in Bezug auf die regionalen Konfliktherde bildet. Dabei erfodert es keine große Phantasie, den gemeinsamen Nenner in dem Ziel der Zurückdrängung iranischer Macht in regionalen Konfliktherden, allen voran in Syrien, zu erkennen. Zudem hat sich jüngst auch die Türkei einem anderen Rivalen Irans angenähert, nämlich Israel.

Man darf die Nachhaltigkeit dieser Annäherung Ankaras an Riad und Tel Aviv infrage stellen, da sie nur schwer mit guten Beziehungen zu Teheran in Einklang zu bringen ist. Denn die türkisch-iranischen Beziehungen sind für beide Seiten wichtig, so zum Beispiel bezüglich des Krieges in und der Zukunft von Syrien, der Gegenwart und Zukunft der Kurdenfrage (d.h. die Bekämpfung kurdischer Unabhängigkeitsbestrebungen), die Energiefrage (bei der die Türkei auf iranische Importe angewiesen ist und andersherum Iran die Türkei als Transitland für Exporte nach Europa braucht).

Denken Sie, dass die Türkei im Zweifelsfall ihre guten Beziehungen zu Iran opfern würde, um keinen Konflikt mit Saudi-Arabien zu riskieren? Kann man überhaupt noch von guten türkisch-iranischen Beziehungen sprechen?

Fathollah-Nejad: Aufgrund der oben genannten Gründe glaube ich nicht, dass die Türkei wegen dementsprechender Wünsche aus Saudi-Arabien ihre Beziehungen zu Iran aufs Spiel setzen wird. Dass aber aufgrund der Annäherung zwischen Ankara, Riad und Tel Aviv die türkisch-iranischen Beziehungen, die seit dem Kurswechsel der türkischen Syrien-Politik ohnehin angespannt sind, vor besonderen Herausforderungen stehen, kann nicht von der Hand gewiesen werden.


Der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er hat an der School for Oriental and African Studies (SOAS) der University of London promoviert und ist zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut (DOI) und am Centre of International Cooperation and Development Research (CECID) der Freien Universität Brüssel.