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Politik

Jetzt ist Zaman an der Reihe

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Die türkische Regierung zerschlägt die auflagenstärkste Tageszeitung und eine der letzten einflussreichen regierungskritischen Publikationen des Landes. Vor dem Redaktionsgebäude von Zaman erwartet eine Menschenmenge den Zwangsverwalter.

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Die AKP-Regierung in der Türkei hat die Tageszeitung Zaman unter einen staatlichen Zwangsverwalter gestellt. Zaman ist mit einer Auflage von täglich über 650.000 verkauften Exemplaren die auflagenstärkste Zeitung des Landes und hat als eine der letzten Zeitungen regierungskritisch berichtet. Ersoy Dede, ein regierungstreuer Journalist, soll die Leitung der Zeitung übernehmen.

Der Whistleblower Fuat Avni, dessen Ankündigungen über die AKP-Regierung sich schon viele Male bewahrheiteten, hatte erst gestern über Twitter geschrieben, dass Zaman unter einen staatlichen Zwangsverwalter gestellt werden solle und die Staatsanwaltschaft sowie ein Gericht damit beauftragt wurden. Fuat Avni behauptete, dass der Staatsanwalt Fuzuli Aydoğdu und das 6. Friedensgericht (Sulh Ceza Mahkemesi) mit der Zerschlagung der Zeitung beauftragt wurden.

Türkische Medien berichteten am Freitagnachmittag, dass sich der Zwangsverwalter in Begleitung von Polizisten auf den Weg in das Redaktionsgebäude im Istanbuler Stadtteil Yenisbosna befindet. Der Chefredakteur der Zeitung Abdülhamit Bilici rief „alle Demokraten im Land dazu auf, gegen die Entscheidung zu protestieren und für die Erhaltung der freien Presse einzutreten.“ Die Chefredakteurin der englischsprachigen Zeitung Today’s Zaman Sevgi Akarçeşme ließ die Öffentlichkeit über den Mitteilungsdienst Periscope wissen: „Möglicherweise werden wir heute unsere letzte Ausgabe herausbringen.“

Vor dem Redaktionsgebäude versammelt sich zur Zeit eine große Menschenmenge und erwartet die Ankunft des Zwangsverwalters. Die Chefredakteure und mehrere Journalisten von Zaman, der englischsprachigen Ausgabe Today’s Zaman sowie anderer nahestehender Publikationen halten Reden vor dem Gebäude, in denen sie das Vorgehen der Regierung verurteilen, an sie appellieren, die Pressefreiheit nicht noch weiter einzuschränken, sich für die Solidarität mit ihnen bedanken und geloben, sich nicht mundtot machen zu lassen.

Juristische Zulässigkeit spielt längst keine Rolle mehr

Eine offizielle juristische Begründung für die Einsetzung eines Zwangsverwalters wurde bisher nicht gegeben. Die Zeitung Zaman steht der Hizmet-Bewegung des muslimischen Predigers Fethullah Gülen nahe, die seit mehreren Jahren vom türkischen Staat verfolgt und mittlerweile als Terrorgruppe diffamiert wird.

Laut türkischer Verfassung dürfen Medienorgane nicht enteignet werden. Respekt vor der Verfassung kann man der türkischen Regierung aber seit langem nicht mehr nachsagen. Die Freilassung der beiden Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül nach einer Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts veranlasste Erdoğan erst am letzten Wochenende zu sagen, dass er das Urteil des Verfassungsgerichts weder achten noch respektieren werde. Wenn Zaman zum Schweigen gebracht wurde, werden Cumhuriyet und Sözcü die letzten einflussreichen Zeitungen sein, die noch nicht auf Regierungslinie sind.

Die Verstaatlichung von Zaman ist der jüngste Akt in der Einschränkung der Pressefreiheit durch die türkische Regierung. Erst letzte Woche wurden die beiden oppositionellen Fernsehsender Bengütürk und IMC TV aus der staatlichen Satellitenübertragung Türksat verbannt, sodass sie nicht mehr landesweit empfangen werden können. Davor hatte es die Sender der Samanyolu-Gruppe getroffen.

Im November vergangenen Jahres wurde der Konzern Koza İpek unter einen staatlichen Zwangsverwalter gestellt. Der Zwangsverwalter entliess Dutzende von Journalisten. Innerhalb von vier Monaten wurden die zwei hauseigenen Zeitungen Bugün und Millet in den Ruin getrieben und schließlich geschlossen. Ähnlich erging es den hauseigenen Fernsehsendern Bugün TV und Kanaltürk sowie Radiosender Radio Kanaltürk. Dieses Schicksal steht nun auch der größten Tageszeitung des Landes bevor.