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Politik

Die Türken würden eine Putinisierung Erdoğans nicht zulassen

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Seit seiner Wiederwahl 2011 hat Erdoğan an Prestige verloren. Der türkische Premier erinnert mit seinem Führungsstil zunehmend an Wladimir Putin. Doch die gesellschaftspolitischen Verhältnisse hindern die Putinisierung Erdoğans. (Foto: reuters)

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Die Türken würden eine Putinisierung Erdoğans nicht zulassen
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Es wird immer offensichtlicher, dass Recep Tayyip Erdoğan sich den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Vorbild nimmt und der Türkei ein ähnliches Regime wünscht wie jenes in Putins Russland. Wenn Erdoğan es schaffen sollte, in der Türkei Zustände dieser Art durchzusetzen, so würde die politische Macht in der Hand einer Exekutive konzentriert werden, welcher er selbst an der Spitze vorsteht; die Legislative und die Judikative würden der Exekutive untergeordnet, die oppositionellen Medien würden zum Schweigen gebracht, ein Nationalismus unter dem Motto „Wir sind die Nachkommen der Osmanen!“ würde forciert, die Außenpolitik würde in einem grobherzigen Stil geführt, ein Ministerpräsident, der verlautbart: „Der Staat bin ich“, würde den Bürgern sagen, was sie zu tun und zu lassen hätten.

Dass direkt im Anschluss an seinen Vorschlag eines „Präsidialsystems nach türkischer Art“ mit den Haushaltsdebatten begonnen wurde, also noch bevor die Prüfungsberichte des Obersten Rechnungshofs eingetroffen sind; dass mit einem Gesetz, welches seit 10 Jahren schon 57 (!) Mal verändert wurde, die Zahl der von der Kontrolle durch die „Behörde für öffentliche Ausschreibungen“ befreiten öffentlichen Anstalten von 6 auf 60 erhöht wurde, sind Zeichen dieser Entwicklung. Was Erdoğan in Konya sagte, macht deutlich, was ihm als Regime am Herzen liegt: „Wisst Ihr, dieses Zeugs, das sich Gewaltenteilung nennt, es pflanzt sich wie ein Hindernis vor Dir auf. Es sagt, auch Du hättest nur einen bestimmten Spielraum…“

Türken sind autoritärer Praktiken müde

Es sieht so aus, als würde der Ministerpräsident, haargenau wie einst der „Heiliger Führer“ Atatürk, an der Gewaltenteilung, die zum Grundsatz der Demokratie gehört, keinen Gefallen finden.

Trotzdem halte ich die Praktizierung eines Putinismus in der Türkei für sehr unwahrscheinlich. Vor allem, weil die Türkei nicht Russland ist. Wenn auch mit Defiziten und Fehlern, so blickt die Türkei doch auf eine mindestens 60 Jahre lange Erfahrung mit der Demokratie zurück. Die Türken haben in dieser Zeit eine demokratische Reife erlangt. Die Menschen haben gelernt, Politiker wegen ihrer Erfolge zu belohnen und wegen ihrer Fehler zu bestrafen. Die Türkei ist ein altes Mitglied des westlichen Bündnisses. Den Rahmen seiner Referenzen bilden die westlichen Demokratien.

In der Türkei gibt es solche großen Bodenschätze wie Erdöl und Erdgas nicht, mit denen Putin sein autoritäres Regime aufrecht zu erhalten vermag. Viele der russischen Intellektuellen gehen ins Ausland, während man kaum erwarten kann, dass die Intellektuellen der Türkei sich vom Kampf um die Demokratie zurückziehen werden. Und es ist nicht möglich, dass eine politische Führung, die die Intellektuellen gegen sich aufgebracht hat, von langem Bestand sein wird. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass auch in Russland der Widerstand des Volkes gegen den Putinismus Schritt für Schritt immer größer wird.

Volk würde Verfassungsvorschlag ablehnen und Erdoğan 2014 nicht wählen
Es ist inzwischen offensichtlich geworden, dass der Vorschlag eines „Präsidialsystems nach türkischer Art“, welches bedeuten würde, dass Erdoğan das Land durch Erlasse regiert, im türkischen Parlament keine Mehrheit finden wird. Und eine Mehrheit von drei Fünfteln zu erreichen, die man bei einem Volksentscheid braucht, erscheint ebenfalls so gut wie undenkbar. Man kann außerdem nicht davon ausgehen, dass die AKP-Gruppe sich im Parlament wie eine Herde verhalten würde. Selbst wenn der Ministerpräsident es dennoch schaffen sollte, seinen Vorschlag bis zu einem Referendum zu bringen, wäre die Ablehnung durch das Volk sehr wahrscheinlich.

Schließlich wäre es keine Hellseherei vorauszusagen, dass ein bedeutender Teil der Wählerschaft, allen voran jener religiöse Teil der Gesellschaft, der eine demokratische Verfassung verlangt und die Willkürherrschaft ablehnt, sowie all jene Kurden, die bisher die AKP-Herrschaft unterstützt hatten, einer Ein-Mann-Regierung keine Zusage geben würden.

Meines Erachtens würde Erdoğan im Falle der Fortführung seiner seit den letzten Wahlen gefahrenen, an Putin erinnernden Linie, Gefahr laufen, aus den oben genannten Gründen die für 2014 vorgesehene Wahl des Staatspräsidenten durch das Volk klar zu verlieren und sich dadurch ins politische Abseits zu manövrieren.

Das Beste für ihn, seine Partei und die Türkei wäre, wenn der Ministerpräsident seine Linie korrigiert, das Amt der Staatspräsidentschaft mit den derzeitigen Befugnissen akzeptiert und die Ministerpräsidentschaft Abdullah Gül übergibt – der ohnehin die einzige Person zu sein scheint, die die Partei noch zusammenhalten kann.

Şahin Alpay (*1944 in Balıkesir) ist ein türkischer Schriftsteller, Kolumnist und Buchautor. Der Politikwissenschaftler promovierte an der Universität Stockholm in Schweden. Nachdem er für Cumhuriyet, Sabah und Milliyet gearbeitet hatte, ist er heute Moderator bei CNN Türk und schreibt Kommentare für die Zeitung Zaman.