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Wirtschaft

Die untragbare politische Last auf dem Bundesverfassungsgericht

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In Kürze wird das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Euro-Rettungspolitik entscheiden. Befürworter wollen jetzt schon das Höchstgericht an die Leine nehmen, Kritiker warnen vor einem ausufernden Haftungsrisiko. (Foto: ap)

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Die untragbare politische Last auf dem Bundesverfassungsgericht
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Die Schuldenkrise in Europa beschäftigt inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht. Konkret setzen sich die Karlsruher Richter mit der Rechtmäßigkeit des Kaufs von Staatsanleihen verschuldeter Euroländer und dem Eurorettungsschirm ESM auseinander. Das hat auch in Deutschland zu einer heftigen Diskussion geführt. Kritiker und Befürworter warnen vor Konsequenzen.

Wer sind die Befürworter des Projekts?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen verteidigen die Stütze für die Schuldenstaaten. Ohne diese Hilfe drohe das Auseinanderbrechen der Eurozone. Zudem warnte Schäuble die Richter: „Ich halte es für schwer vorstellbar, dass deutsche Gerichte unmittelbar über die Rechtmäßigkeit von Handlungen der EZB entscheiden könnten. Dadurch entstünde ja die Gefahr, dass die EZB von einer Vielzahl nationaler Verfassungsgerichte innerhalb der Währungsunion vollkommen gegensätzliche Rechtsanwendungsbefehle erhalten könnte.“

Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung, es müsse eine gesamteuropäische Rechtsauffassung über die Gemeinschaftswährung her. Wenn jedes nationale Verfassungsgericht individuell über die Europolitik entscheiden würde, gäbe es ein Chaos.

Kritiker befürchten unkontrolliertes Haftungsrisiko

Die Kläger hingegen sehen – neben der Infragestellung des Legalitätsprinzips durch eine faktische Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts – Gefahren bei der Europolitik der EZB. Sie sehen in dem Ankauf von Staatsanleihen einen Fall verbotener Staatsfinanzierung, womit die Europäische Notenbank ihre Kompetenzen überschreite.

Zu den wichtigsten Kritikern der Europolitik gehört Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Seiner Rechnung zufolge entstünde mit den vorgesehenen Mechanismen zur Eurorettung ein Haftungsrisiko von 1.363 Milliarden Euro. Als größten Anteilseigner an der EZB entfalle auf den deutschen Steuerzahler ein Risiko von 369 Milliarden Euro.

Dem Top-Ökonomen zufolge passe es nicht zusammen, dass Deutschland beim ESM mit höchstens 190 Milliarden haften dürfe, während die EZB theoretisch unbegrenzt Staatsanleihen erwerben könne.

Risiko bleibt

Ganz egal, wie sich die Karlsruher Richter am Ende entscheiden, für den deutschen Steuerzahler wird immer ein Risiko vorhanden bleiben. Sollte der Eurokurs der Bundesregierung fortgesetzt werden, müssten die Bundesbürger etwa bei einer Pleite Griechenlands tief in die Tasche greifen. Das gleiche Risiko besteht auch für Portugal und Spanien – und auch Italien entwickelt sich immer mehr zu einem Sorgenkind.

Dass die Problemländer in der Eurozone, die sog. PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) doch noch die Kurve kriegen, erscheint als wahrscheinlich, aber ist noch lange nicht garantiert. Zuletzt hat sich auch noch der Kleinstaat Südzypern den Sorgenkindern zugesellt. In diesem Inselstaat muss das Bankenwesen grundlegend verändert werden.

Alleine Reformen reichen aber nicht aus, um die Schuldenstaaten aus der Misere zu führen. Gerade in den südeuropäischen Staaten wird an allen Ecken und Enden gespart. Staatsbetriebe entlassen zu Tausenden Mitarbeiter, es werden Renten, Bildungsausgaben, Sozialleistungen und Gehälter gekürzt, das Rentenalter wird drastisch angehoben und Betriebe geschlossen. Viele Menschen in diesen Ländern haben Angst um ihre Zukunft und sind deswegen frustriert. In Spanien oder Griechenland folgt ein Streik auf den Anderen, auch Protestkundgebungen gehören inzwischen zum Alltagsbild. Diese Leute wollen keine Reformen mehr. Die Menschen in den Krisenländern haben eine Reform-Phobie entwickelt. Ihnen graut es nur bei dem Gedanken, die Regierung könnte wieder Kürzungen vornehmen wollen.

Erhebliches Unruhepotenzial

Inzwischen wächst in den betroffenen Staaten die Sorge um soziale Unruhen. In Spanien hat man noch die Bilder im Kopf, wo sich Minenarbeiter mit selbstgebauten Waffen Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. In Griechenland wurden zu Beginn der Reformen die Polizisten mehrfach mit Molotowcocktails beworfen. Neonazis sitzen im Parlament und terrorisieren Ausländer. Die Straßenproteste sind im Moment größtenteils friedlich, aber der Frust sitzt bei den Betroffenen tief. Wie lange die Menschen unter diesem Druck ruhig bleiben können, weiß niemand.

Auch in den besser situierten Eurostaaten hat die Schuldenkrise zu Veränderungen geführt. Rechtsradikale wie der Niederländer Geert Wilders haben ein neues Feindbild entdeckt: den Euro und die Idee einer europäischen Schicksalsgemeinschaft. Europas Populisten sprechen plötzlich von Eurodiktatur und einem Austritt aus der Eurozone. Auch in der Bundesrepublik hat es angesichts der Schuldenkrise Änderungen in der Politik und der politischen Landschaft gegeben.

Neben den Euroskeptikern, die in allen der Volksparteien sitzen, gibt es auch eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD). Sie fordert in ihrem Parteiprogramm eine Auflösung der Eurozone. Sie liegt in Umfragen zwar im Moment nur bei 2% – die Tatsache, dass sich der Unmut über die Europolitik in Teilen der Bevölkerung noch nicht in Wählerstimmen ummünzen lässt, bedeutet jedoch nicht, dass er nicht vorhanden wäre.

Den Staatenlenkern in Europa sei daher dringend angeraten, schnellstmöglich ihre wirtschaftlichen Probleme zu lösen.