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Politik

Die vergessenen Journalisten

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Der Fall der beiden Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül erhält internationale Aufmerksamkeit, entsprechend wurde ihre Freilassung gefeiert. Andere inhaftierte Journalisten in der Türkei erfahren deutlich weniger Solidarität.

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Freilassung von Can Dündar
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KOMMENTAR In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurden die beiden Journalisten Erdem Gül und Can Dündar aus der Untersuchungshaft entlassen. Zuvor hatte das Verfassungsgericht in Ankara entschieden, durch die Haft würde das Recht auf Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der beiden verletzt. Dem Hauptstadtkorrespondenten der kemalistischen Tageszeitung Cumhuriyet Erdem Gül und dessen Chefredakteur Can Dündar  werden unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, die Veröffentlichung geheimer Informationen sowie Spionage vorgeworfen. Anzeige gegen die beiden Journalisten wurde von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich erstattet. Seitdem waren die beiden Journalisten in Untersuchungshaft. 

Einen Schritt in Richtung Meinungsfreiheit ist diese Entlassung allerdings nicht. Noch immer befinden sich mehr als 30 Journalisten wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit im Gefängnis. Informationen über die Verhandlungen finden in den meisten Fällen keine Aufmerksamkeit. Insbesondere die inhaftierten Journalisten von Minderheitsgruppen finden wenig Aufmerksamkeit. Sie werden vor allem von Europa im Stich gelassen. Die Flüchtlingsthematik und die so wichtige Rolle der Türkei hat viele europäische Staatschefs dazu veranlasst, die eigenen Werte mit Füßen zu treten. 

Erdem Gül und Can Dündar wurden unter anderem deshalb aus der Untersuchungshaft entlassen, weil sie durch ihre kemalistische Ausrichtung eine große Anhängerschaft haben. Petitionen waren nur ein Teil der Kampagne dieser Anhängerschaft. Es ist zu begrüßen, wenn Menschen für ihre Mitmenschen und für die Meinungsfreiheit kämpfen. Aber leider wurden dabei die Kollegen dieser Menschen vergessen. Der Chef der TV-Sendergruppe Samanyolu TV Hidayet Karaca sitzt beispielsweise weiter in Haft. Er hatte am selben Abend einen Prozess. Ihm wird vorgeworfen, eine terroristische Organisation gegründet zu haben, nur weil ein bestimmter Begriff einmal in einer TV-Serie vor über fünf Jahren gefallen ist.

In Wahrheit steckt aber mehr dahinter. Samanyolu TV gilt nämlich als Sender der Gülen-Bewegung. Deren Begründer Fethullah Gülen lebt seit 1999 in den USA und wird von Erdoğan mit allen Mitteln bekämpft. Ebenso Mehmet Baransu von der Tageszeitung Taraf, der mit investigativer Arbeit an der Aufarbeitung des Ergenekon-Netzwerks mitgewirkt hat. Ebenfalls in Haft ist der Reporter Nuri Akman von der kurdischen Nachrichtenagentur DİHA. All diese Journalisten haben keine große Stimme in der Öffentlichkeit. Die Stimme von Gülen-Anhängern wird in der regierungsnahen Presselandschaft quasi erstickt und auch in internationalen Medien spielt das Unrecht, das ihnen widerfährt, keine Rolle.

Die Fronten stehen sich weiterhin verhärtet gegenüber. Keiner sieht den anderen als Freund oder praktiziert lagerübergreifende Solidarität. Die Fehler der Vergangenheit werden ständig wiederholt.

Es ist also noch ein langer Weg in Richtung Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei.

Zudem ist die Freilassung von Gül und Dündar keineswegs mit einem Freispruch zu verwechseln. Der Prozess wird fortgeführt, gegen beide wurde ein Auslandsreiseverbot verhängt.