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Kolumnen

Die Wahlstudie war ein Aprilscherz – endax nicht

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Die am Montag präsentierte endaX-Wahlumfrage war Teil eines Aprilscherzes. Sie schlug dennoch hohe Wellen und sollte zeigen, wie wenig es an seriöser Meinungsforschung mit Blick auf die Migrantencommunity derzeit wirklich gibt.

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Die Wahlstudie war ein Aprilscherz – endax nicht
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Am Montag trafen die geneigten Leserinnen und Leser dieser Publikation an dieser Stelle auf eine wohl alle überraschende Meldung: Eine Initiative namens „endaX“ habe eine repräsentative Wahlstudie – nämlich auf der Basis der ersten repräsentativen Wahlforschung, die den wissenschaftlichen Anforderungen genüge – unter Menschen mit Migrationshintergrund durchgeführt. Das Ergebnis: Angela Merkel sei bei jungen Deutschlandtürkinnen und -türken in der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren beliebter als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und als Grünen-Chef Cem Özdemir. Insgesamt seien CDU und FDP in der migrantischen Community weitaus populärer als man bisher angenommen habe. Die FDP überflügele die Grünen um Längen.

Tweets und Postings in sozialen Netzwerken: „Die Zukunft von Schwarz-Gelb ist türkisch!”

Diese Nachrichten wurden von Teilen der politischen Klasse begierig aufgegriffen. Der CDU-Integrationspolitiker Armin Laschet verbreitete den Beitrag gar per Twitter. Hunderte von Mandats- und Funktionsträgern teilten die Nachrichten über Facebook. Ulf Poschardt von „Die Welt“ kommentierte auf seinem Facebook-Profil: „Die Zukunft von schwarz-gelb ist türkisch”. Nur bei den Grünen herrschte offenbar entsetztes Schweigen. Konnte das denn alles wirklich wahr sein? Hatte man die Präferenzen der in Deutschland lebenden Migranten völlig falsch eingeschätzt?

Aprilscherz als Guerilla-Marketing, um auf demokratische Missstände aufmerksam zu machen

Die objektive Bewertung lautet: Wir alle wissen es nicht! Deutschland tappt, was die politischen Präferenzen und das Wahlverhalten seiner migrantischen Community angeht, fast völlig im Dunkeln.

Tatsächlich gibt es bisher keine valide Wahlforschung, mittels welcher die politische Verortung von Menschen mit Migrationshintergrund ergründet werden könnte. Immer wieder kursieren Einschätzungen, stichprobenartige und einmalige Befragungen, doch letztlich könnte in Bezug auf das Wahlverhalten der Migrantinnen und Migranten jedermann nahezu alles behaupten. Es könnte niemals mittels einer halbwegs seriösen Datengrundlage überprüft werden. Auf diesen eklatanten Missstand wollte endaX mit seinem als „Aprilscherz” getarnten Guerilla-Marketing aufmerksam machen und ein Bewusstsein für die demokratietheoretischen und demokratiepraktischen Konsequenzen dieser Erkenntnisdefizite schaffen.

Über Jahrzehnte hinweg wurden die Migrantinnen und Migranten in Deutschland als vermeintlich nicht relevantes Phänomen gesehen und somit auch politisch am Rand der Gesellschaft verortet. Mittels des vielzitierten Mythos der „Gastarbeiter” suggerierte sich die Mehrheitsgesellschaft selbst, dass all diese Menschen aus Kalabrien, von der Schwarzmeerküste, vom Balkan, aus Anatolien oder aus Andalusien nicht dauerhaft hier bleiben würden. Nach ein paar Jahren würden sie und ihre Kinder und Kindeskinder Deutschland wieder verlassen oder hierzulande Häuser gekauft oder Existenzen gegründet haben und dies natürlich ohne die deutsche Staatsbürgerschaft und ohne damit das Wahlrecht erworben zu haben. Indes, es ist anders gekommen.

Migrantinnen und Migranten im Schatten der politischen Willensbildung

Deutschland ist ein Einwanderungsland – nur einige durch ideologische Verblendung und Mangel an Intellekt stark Begrenzte bestreiten das noch ernsthaft. Nach amtlichen Statistiken beträgt allein der Anteil der wahlberechtigten Migrantinnen und Migranten 10% aller Wahlberechtigten in Westdeutschland. In NRW beträgt dieses Stimmenpotenzial sogar über 11%. Und in den deutschen Großstädten, wo die meisten Einwanderinnen und Einwanderer leben, dürfte der Anteil sogar höher sein. Auch diese für manche Mitbürger sicher überraschenden Zahlen wurden am 1. April publiziert. Sie waren nicht Teil des Aprilscherzes, sondern sind amtlich garantierte Empirie, mithin gesellschaftliche Realität.

Zählt man die nicht wahlberechtigten Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund hinzu, kommt man auf einen noch höheren Bevölkerungsanteil, der im Schatten der politischen Willensbildung steht: Seit dem Mikrozensus aus dem Jahr 2005 ist bekannt, dass knapp 20% der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund aufweisen. In den deutschen Metropolregionen (Frankfurt am Main, Berlin, München, Stuttgart, Ruhrgebiet u.a.) hat nahezu jedes zweite Neugeborene mindestens einen Elternteil, der oder die einen Migrationshintergrund besitzt.

Gerade ein Land, dass sich erst unter Schmerzen und angesichts einer einfach nicht mehr länger zu leugnenden sozialen Realität dazu bekannt hat, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, kann und darf seine Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund nicht länger abseits der politischen Meinungs- und Willensbildung stehen lassen. Vielmehr müssen Politik und Gesellschaft Mittel und Wege finden, um Partizipation zu fördern.

endaX ist ein Projekt zur Emanzipation von Migrantinnen und Migranten

Die Migrantinnen und Migranten wiederum müssen Mittel und Wege finden, um ihre Präferenzen zu artikulieren und in das politische System einzuspeisen. „endaX” kann hier einen wichtigen Beitrag erbringen: Die Meinungen, Interessen und Wünsche, aber auch Sorgen und Stimmungen der migrantischen Community in Deutschland werden von nun an durch „endaX” erhoben, analysiert und in Form von statistischen Kennzahlen, Tabellen und Grafiken in eine Sprache verdichtet, die schnell verstanden und angenommen werden kann.

Machen Sie mit – und werden Sie ein Teil des endaX-Projekts!

Durch „endaX” soll das politische, ökonomische und kulturelle Kapital der Einwanderergesellschaft dargestellt werden, um so Anliegen und Anforderungen gegenüber der Politik, den Ministerien und Verbänden sowie der Wirtschaft zu artikulieren.

Im Gegensatz zum Aprilscherz möchte endaX Ihnen, den verehrten Leserinnen und Lesern, im Zuge der tatsächlichen Wahlforschungen nicht einfach vorgekaute Ergebnisse auf den Tisch legen. Sie sollen selbst ein Teil des Projekts werden. Dafür können Sie sich auf www.endax.de registrieren und so ein Mitglied der endaX-Gemeinschaft werden. Als registriertes Mitglied werden Sie zu Wahlforschungen eingeladen und zu aktuellen Themen um Ihre Meinung gebeten. endaX möchte wissen, was Sie bewegt. Uns interessiert, welche Sorgen Sie haben und was Sie sich für Ihre Zukunft und für die Zukunft Ihrer Kinder wünschen. Denn unser wichtigstes Anliegen ist es, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen.

Kamuran Sezer, Jg. 1978, ist Leiter des Dortmunder futureorg Instituts, eine Denkfabrik für Diversity und gesellschaftlichen Wandel und gemeinsam mit Mustafa Altaş Leiter der Initiative endaX.

Mit-Autor Philipp Freiherr von Brandenstein, Jg. 1976, arbeitet heute – nach beruflichen Stationen bei Procter & Gamble, als Büroleiter von Karl-Theodor zu Guttenberg und in der Wissenschaft – als Führungskraft am futureorg Institut. Zudem ist er als freier Autor und Blogger („Der Brandenstein-Blog“) tätig.