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Politik

Diffamierungskampagne gegen Opferfamilie: „Wir sind Sunniten, aber den Aleviten wird Unrecht getan“

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Gegen Mehmet Alkan, den Oberstleutnant, der bei der Beerdigung seines Bruders Vorwürfe gegen die AKP-Regierung erhoben hat, wurde in sozialen Medien eine Diffamierungskampagne gestartet. Seine Familie hat nun Stellung bezogen.

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Oberstleutnant Mehmet Alkan
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Die Familie des in Şırnak gefallenen Hauptmanns Ali Alkan hat auf die Schmutzkampagne gegen sie reagiert. Die Familie äußerte bezüglich der Hetze gegen sie, dass sie keine Aleviten sondern Sunniten seien, zugleich aber glauben, dass Aleviten und anderen Glaubensrichtungen großes Unrecht getan wird.

Grund für die Schmutzkampagne gegen die in Osmaniye bei Adana ansässige Familie ist das Verhalten Mehmet Alkans, ebenfalls Offizier im Rang eines Oberstleutnant. Bei der Beerdigung seines jüngeren Bruders ließ er seinem Unmut freien Lauf und fragte, wer den Tod seines Bruders zu verantworten habe: „Warum reden diejenigen, die bisher immer von ‚Lösung‘ [gemeint ist der Friedensprozess, Anm. d. Red.] gesprochen haben, jetzt von  von ‚Krieg bis zum bitteren Ende‘ ?“ so der Oberstleutnant.

Alkan machte seiner Wut auch in Richtung des Energieministers Taner Yıldız Luft: „Es geht nicht an, in Palästen zu leben, mit 30 Personenschützern herumzulaufen und zu sagen, man wolle als Märtyrer sterben. Wenn das so ist, dann geh doch dorthin.“ Yıldız hatte erst vor kurzem verlauten lassen, es sei sein Ziel, als Märtyrer zu sterben.

Wut nicht nur auf die PKK

Die spontane Reaktion Mehmet Alkans erhielt in der ganzen Türkei viel Aufmerksamkeit. Sie war ein Symbol dafür, dass viele Angehörige von getöteten Soldaten nicht mehr nur die PKK allein für die Toten verantwortlich machen, sondern auch die Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und der AKP-Regierung. Sein Verhalten wurde daraufhin in regierungsnahen Medien kritisiert. So fragte beispielsweise Emin Pazarcı, Ankara-Korrespondent der Tageszeitung Akşam, rhetorisch in Richtung Alkan: „Muss jemand, der bis zum Oberstleutnant aufgestiegen ist, nicht wissen, dass er insebsondere gegen seinen Oberbefehlshaber keinen Widerstand leisten darf?“

Direkt nach Alkans kritischen Äußerungen begann auch in den sozialen Medien eine Kampagne gegen ihn, geführt vor allem von AKP-Trolls. Auf der einschlägigen Facebookseite „Gizli Arşiv“ wird Altan beispielsweise als „Verräter“ verunglimpft, der „tue, was (nicht mal) die PKK in der Lage ist, zu tun“. Es handele sich um „ein dreckiges Spiel, um die Moral der Soldaten zu brechen“. Manche beschuldigten ihn, der PKK zuzureden, andere brachten ihn mit der sogenannten „Parallelstruktur“ in Verbindung und wieder andere bezeichneten seine Familie als alevitisch, mit der Absicht, sie zu diffamieren. Auf diese Diskreditierungsversuche hin äußert die Familie, dass sie zwar keine Aleviten seien, aber durch diese diffamierende Benutzung des Begriffs den Aleviten und anderen Glaubensrichtungen Unrecht getan werde.

Türkischen Medienberichten zufolge wurde unterdessen bekannt, dass die gegen Erdoğan gerichteten Reaktionen bei Beerdigungszeremonien getöteter Soldaten für Unruhe auf Regierungsseite gesorgt haben. Demzufolge wolle die Regierung untersuchen lassen, warum die Angehörigen der getöteten Soldaten nicht wie früher „Es lebe das Vaterland“ („Vatan sağolsun“) rufen, sondern sich die Reaktionen gegen AKP-Verantwortliche richten.

Muftis sollen Martyrertod als heroisch preisen

Zeitgleich habe man der Tageszeitung Taraf zufolge zwei Entscheidungen getroffen: Zum Einen sollen die Muftis in Fällen von getöteten Soldaten die religiöse Bedeutung des Märtyrertums dem Volk besser erklären. Zum Anderen sollen aber auch die Medien, zumindest die regierungstreuen, nicht zu ausführlich über das Leid der Angehörigen der getöteten Soldaten berichten.

Auch wurde bekannt, dass gegen den Oberst Mehmet Alkan ein Disziplinarverfahren wegen seiner Äußerungen aufgenommen wurde. Innenminister Sebahattin Öztürk sagte bezüglich des Falls: „Man sollte ihn als Verwandten von Märtyrern betrachten. In dieser Hinsicht kann ich ihn verstehen. Aber es ist nicht in Ordnung, dass ein Uniformträger auf diese Weise politische Äußerungen von sich gibt.“

In der Bevölkerung verbreitet sich zunehmend die Auffassung, Erdoğan habe den Friedensprozess beendet, um die HDP für ihre ablehnende Haltung bei der angestrebten Einführung eines Präsidialsystems zu bestrafen und durch die Diskreditierung der prokurdischen Partei bei vorgezogenen Wahlen für deren Schwächung und die erneute Erringung der Alleinregierung seiner AKP zu sorgen. Zudem solle die nationalen Reihen in einer kriegerischen Auseinandersetzung hinter der Staatsführung vereint werden.

Seit dem Ausbruch der Gewalt vor circa einem Monat sind über 55 Soldaten und Polizisten ums Leben gekommen.