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Bildung & Forschung

Diskriminierung der Muttersprache schadet dem Land

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Statistiken beachten nicht das Anwesende, sondern eher das Abwesende – zumindest wenn es um die Erhebung der Sprachkenntnisse von Einwandererkindern geht. Dabei eröffnet richtig gepflegte Bilingualität schier unerschöpfliche Potenziale. (Foto: dpa)

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Nach ihrer Arbeit üben während eines abendlichen Deutsch-Kurses (Mittelstufe 2) an der Volkshochschule in Leipzig (Sachsen) Elena Tepluchina aus Russland, Macarena Flores aus Chile, Josep C. aus Spanien und Dr. Wadinga Fomba aus Kamerun (r-l) mit ihrer Dozentin für Deutsch, Anke Sägenschnitter-Gütte (M) , Alltagssituationen in deutscher Sprache, aufgenommen am 22.01.2014.
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In Deutschland gibt es kaum Statistiken mit Blick auf die Zukunft und die Potenziale der zweisprachigen Erziehung im Land. Es wird eher nur darauf geachtet, welche Kinder im Kindergartenalter noch kein ausreichendes Deutsch sprechen. Dies beeinflusst dann wiederum eine negative Politik gegenüber Einwandererfamilien, die am Ende ein Verkümmern der Potenziale jener Kinder zur Folge hat, die ihre Muttersprache gut beherrschen.

Das Bundesamt für Statistik wählt für seine Erfassung eine Vorgehensweise, welche die deutsche Sprache in den Vordergrund bringt und die Bedeutung der Muttersprache eher im Hintergrund hält.

Die Abteilung für Statistik in Nordrhein-Westfalen hat kürzlich wieder mit – ohnehin nicht wesentlich neuen – Angaben Aufsehen erregt, dass die meisten Kinder aus Einwandererfamilien im Kindergartenalter zu Hause kein Deutsch sprechen. Die Art und Weise, wie diese Nachricht kommuniziert wurde, legte bei jenen Teilen der Gesellschaft, die primär Wert auf den frühestmöglichen Erwerb der deutschen Sprache legen, einmal mehr den Eindruck nahe, es bedürfe weitreichender Maßnahmen, um dieser Situation zu begegnen.

Zu viele Kinder verlernen ihre Muttersprache

Ab März 2013 haben laut den Recherchen der Institution in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland 507 600 Kinder unter sechs Jahren den Kindergarten besucht. 175 100 davon stammen aus Einwandererfamilien, wobei jedes vierte Kind zu Hause kein Deutsch spricht. Somit bewegt sich die Anzahl der Einwandererkinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, so um die 113 800. Die Statistiken machen darauf aufmerksam, dass insbesondere in Gelsenkirchen, Duisburg und Wuppertal diese Situation bemerkenswert sei.

Die Turkologin Dr. Zerrin Konyalıoğlu teilte in einer Erklärung gegenüber Zaman mit, dass die zweisprachige Erziehung eine Verantwortung der Familie sei. In einer Situation, wo die Familien nachlässig und sorglos vorgingen, könne das Erlernen beider Sprachen Schaden erleiden. Die Familien müssten sehr sorgsam in ihren Anstrengungen zum Erhalt der Muttersprache vorgehen. Außerdem erklärte Konyalıoğlu, dass es in Deutschland zu viele Kinder gäbe, welche die Beherrschung der Muttersprache verloren hätten.

„Politiker, welche sonst die Multikulturalität und Mehrsprachigkeit in die Agenda Deutschlands einbringen, ändern ihre Haltung, wenn es sich um Türkisch handelt“, kritisiert Konyalıoğlu. Es sei zwar wichtig, dass ein Mensch die Sprache des Landes, in dem er lebt, beherrsche, doch ebenso wichtig sei es, die Muttersprache zu kennen.

Die Website „www.bilingual-erziehen.de“ bietet eine Fülle an Informationen über zweisprachige Erziehung und hebt die Chancen und Gelegenheiten, mit zwei Sprachen aufzuwachsen, hervor. Dr. Rosario Then Lammerskötter, die Besitzerin der Seite, welche Informationen für Familien über die Möglichkeiten einer Erziehung in Englisch und Spanisch teilt, ist in Venezuela geboren und arbeitet in der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg. Sie erzählt, dass sie sich das erste Mal während ihrer Schwangerschaft Gedanken über eine zweisprachige Erziehung gemacht hat. Auf ihrer Website erläutert sie die Vorteile der zweisprachigen Erziehung.

Frühzeitige „Übersetzer der Gesellschaft“

Nach ihrer Überzeugung und ihren Erfahrungen sind Kinder, welche von sehr jungem Alter an zwei-oder mehrsprachig aufwachsen, in der Lage, die im Kindesalter erlernten Sprachen ihr Leben lang auf einem hohen Niveau zu beherrschen. Hingegen stehen die einsprachig aufgewachsenen Kinder, solange sie später erlernte Sprachen nicht anwenden, unter dem Risiko, diese zu vergessen. Die mehrsprachig erzogenen Kinder werden mit solch einer Gefahr nicht konfrontiert. Zweisprachig aufgewachsene Kinder besitzen die Fähigkeit, ein ausgezeichnetes Gefühl für die Wahrnehmung der Sprachkenntnisse zu entwickeln, womit sie die Unterschiede zwischen beiden Sprachen gut ermessen können und erkennen, dass diese Sprachen nur ein Mittel zur Kommunikation sind.

Zweisprachig aufgewachsene Kinder haben es zudem viel leichter, später eine weitere Sprache zu erlernen. Für Kinder, welche auf diese Weise erzogen wurden, ist die Wahrscheinlichkeit, im frühen Alter die Rolle des Übersetzers in der Gesellschaft übernehmen zu können, ziemlich hoch. Insbesondere im sozialen Bereich weisen Kinder, welche solche Erfahrungen gesammelt haben, im Gegensatz zu einsprachig aufgewachsenen Kindern eine wesentliche Differenz auf.

Gleichzeitig können mit Sprachen verschiedener Kulturregionen aufgewachsene Kinder bereits im frühen Alter Vergleiche unter Kulturen aufstellen, deren kulturelle Werte in der Gesellschaft auf eine aktive Weise pflegen und beibehalten und ebenfalls besser an andere übertragen. Allerdings ist es während der zweisprachigen Erziehung sehr wichtig, beide Sprachen so beizubringen, dass beide auf eine sehr fortgeschrittene Art angewendet werden können. Doch wenn die eine Sprache von der anderen Sprache überschattet wird, bringt auch eine zweisprachige Erziehung wenig Nutzen.