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Politik

Ditib in Niedersachsen: Wie geht es weiter nach dem geplatzten Staatsvertrag?

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Eigentlich fehlte nur noch die Unterschrift unter dem Islamvertrag in Niedersachsen. Wegen wachsender Kritik am türkischen Moscheeverband Ditib aber liegt der Vertrag mit Symbolkraft nun auf Eis. Die Muslime sind frustriert. Wie geht es weiter?

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Aya-Sofya-Moschee in Hannover
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Plötzlich steht Niedersachsen vor einem Scherbenhaufen: Obwohl der Staatsvertrag mit den islamischen Verbänden längst unterschriftsreif war, obwohl die Integration und Anerkennung von Muslimen weiter als in manch anderem Bundesland gediehen ist, hat die rot-grüne Landesregierung die Vereinbarung am Freitag auf Eis gelegt. Zu heftig war die Kritik am türkischen Moscheeverband Ditib nach dem Putschversuch in der Türkei geworden. Der Vertrag solle nicht zum Thema im Landtagswahlkampf werden, hieß es zur Begründung. Nun soll erst Anfang 2018 unter der nächsten Regierung wieder diskutiert werden – die Verbände sind frustriert.

Den ersten größeren Schaden richtet die bundesweite Diskussion um Abhängigkeit und Beeinflussung der Ditib von der Erdoğan-Regierung damit in einem Bundesland an, das mit den Muslimen schon frühzeitig Pflöcke für ein besseres Miteinander eingeschlagen hatte. Schon vor zehn Jahren, das betonte der Ditib-Landesvorsitzende Yılmaz Kılıç, hatten die Beratungen über einen Staatsvertrag unter dem damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) begonnen. Ähnlich wie in den Nachkriegsjahren mit der evangelischen und der katholischen Kirche und später mit der jüdischen Gemeinschaft – so die Idee – sollte mit den Muslimen ein Vertrag geschlossen werden, der ihre Beziehung zum Land regelt.

Warum so viel Wirbel um eine kurze Abmachung?

Im Wesentlichen geht es in dem Vertrag um viele praktische Regelungen für das alltägliche Leben, die schon vor Jahren Schritt für Schritt vereinbart wurden: Der islamische Religionsunterricht wurde in einem Modellprojekt erprobt und längst zum Regelfach, eine muslimische Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen ermöglicht sowie Absprachen zum Bestattungswesen getroffen. Ein Vertrag, wie ihn bereits die Länder Hamburg und Bremen besiegelten, sollte all dies in einen grundsätzlichen Rahmen fassen, ergänzt noch um einige zusätzliche Regelungen. Weshalb dann gibt es um die nur eine Handvoll Seiten starke Abmachung – der Entwurf steht längst im Internet – so viel Wirbel?

„Das hat eine große Symbolkraft für die Muslime“, sagte Kılıç zur Bedeutung der Vereinbarung. Ständig werde er in seiner Umgebung auf den Stand der Dinge angesprochen. Auch gehe es um eine Anerkennung der Arbeit der Moscheegemeinden etwa im sozialen Bereich, sagte der Vorsitzende des zweiten großen Islamverbandes in Niedersachsen, der Schura, Recep Bilgen. Andererseits sehen sich die Landtagspolitiker nicht zuletzt wegen der Spitzelvorwürfen gegen Ditib-Imame in ihrer Skepsis gegenüber dem Verband gestärkt. Knackpunkt vor einem Neustart der Verhandlungen sei die Frage der Unabhängigkeit der Ditib von der Türkei, die der Verband intern klären müsse, hiess es am Freitag aus der Staatskanzlei in Hannover.

Gutachten bestätigte Ditib Niedersachsen gute Arbeit

„Traurig“, „enttäuscht“ und „frustriert“ sind Vokabeln, die die Reaktionen der muslimischen Verbandsvertreter bestimmen – auch aber die Warnung, dass der Schaden durch die Absage enorm sein könnte. An der Basis werde dies als eine verweigerte Anerkennung und Wertschätzung für die Moscheegemeinden aufgefasst – bis hin zu der Frage, welche Partei Muslime künftig noch wählen könnten, sagte Bilgen. Auch im Kampf gegen eine islamistische Radikalisierung sei die Absage fatal. Radikale Kräfte könnten nun ihre Propaganda darauf aufbauen, egal was die Muslime machten, es werde doch nicht für gut befunden. Dagegen anzugehen, sei Aufgabe der Politik.

Für das Land Niedersachsen zumindest lässt Ditib-Landeschef Kılıç die Kritik an dem Verband nicht gelten. Eine vorbildliche Arbeit ohne störende Einmischung aus Ankara wurde der Ditib Niedersachsen/Bremen nicht zuletzt durch ein Gutachten im Auftrag des Landtags bescheinigt – und auf das Bundesgeschehen habe er keinen Einfluss. Wie Bilgen setzt er trotz aller Enttäuschung auf eine Fortführung der Gespräche 2018: „Es wird weitergehen, das ist selbstverständlich.“

(Michael Evers, dpa/ dtj; Foto: Aya-Sofya-Moschee in Hannover)