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Gesellschaft

Diyarbakır: Frieden, Erdgas – Hoffnung

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Diyarbakır ist eine Hochburg der Kurden in der Türkei. Der PKK-Terror schadete den Bewohnern und warf die zweitgrößte Stadt Südostanatoliens um Jahre zurück. Die laufenden Friedensgespräche wecken Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung. (Foto: ap)

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Diyarbakır: Frieden, Erdgas - Hoffnung
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Im ca. eine Millionen Einwohner zählenden Diyarbakır am Tigrisufer, wo kleine Jungs heißen Tee und Sesamringe zwischen alten Männern in traditioneller kurdischer Kleidung verkaufen, sind Vorbehalte gegen den Staat, der über so lange Zeit alles Kurdische strikt verbot, groß. Doch eine Veränderung der Zustände ist in Sichtweite.

Die Türkei beginnt scheinbar ihre kulturelle und ethnische Vielfalt allmählich zu akzeptieren. Es gibt mittlerweile kurdische Fernsehsender, Schüler können Kurdisch als Schulfach wählen, vor Gericht darf auch in der Muttersprache ausgesagt werden und in Diyarbakır belegen einige Polizeioffiziere seit neustem Kurdischkurse. Eine bemerkenswerte Entwicklung vor dem Hintergrund, dass es bis 1991 gesetzeswidrig war, die Sprache überhaupt zu sprechen.

Aus den Gesprächen der türkischen Regierung mit dem inhaftierten PKK-Führer Öcalan sickerte durch, dass man sich auf eine „Roadmap“ zur Erklärung eines PKK-Waffenstillstandes ab dem 21. März, dem kurdischen Neujahr, den Rückzug von PKK-Kämpfern aus der Türkei in den Nordirak und eventuell sogar die Entwaffnung der Terrororganisation geeinigt habe. Im Gegenzug dafür sollen den Kurden mehr Rechte zugesichert werden.

Fabrikbesitzer in Diyarbakır: „Wir werden wie potentielle Terroristen behandelt“

Der schon drei Jahrzehnten andauernde Konflikt hat der Türkei immensen Schaden zugefügt. Neben den Zehntausenden, die durch Waffengewalt umkamen, sind es wahrscheinlich Millionen von Menschen, die unter den wirtschaftlichen Folgen des PKK-Terrors gegen den türkischen Staat leiden. Die Armut wuchs im Südosten des Landes während den letzten Jahrzehnten stetig.

Diyarbakırs Wirtschaft schrumpfte, während die restlichen Landesteile der Türkei prosperierten. Die Gewalt schreckt bis heute noch viele Investoren ab. „Wir versuchen den Unternehmern zu erklären, dass dies hier kein gewalttätiger Ort ist“, sagt der Fabrikbesitzer Aziz Sağır. „Aber wir leiden unter den Vorurteilen über diese Region. Leider werden wir als potentielle Terroristen gesehen.“

Den Daten der „International Crisis Group“ zufolge fiel Diyarbakır von Platz drei des sozioökonomischen Index der Türkei im Jahre 1927 auf Platz 63 (von 81 Provinzen) im Jahre 2003. Bei einer Arbeitslosigkeit von ca. 20% lag das Pro-Kopf-Einkommen 2009 bei nur 1 500 US-Dollar und somit bei weniger als einem Fünftel des nationalen Durchschnitts.

„Es müssen nun unbedingt konkrete Schritte unternommen werden. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn diese Angelegenheit jetzt nicht mit Hilfe der Unterstützung der breiten Öffentlichkeit gelöst wird, wird alles nur noch schlimmer“, sagt der kurdische BDP-Politiker Abdullah Demirbaş.

Schiefergas und Warenhandel mit dem Nordirak – Diyarbakırs Chancen

Die Türkei hofft in Südostanatolien große Schiefergasvorkommen zu finden, um die Abhängigkeit des Landes von ausländischen Rohstofflieferanten zu überwinden. Das Diyarbakır umgebende Talbecken wird als einer der vielversprechendsten Orte zur Entdeckung des Rohstoffes gehandelt. Der Mineralölkonzern „Shell“ bohrt schon in der Region.

Ein weiterer Standortvorteil Diyarbakırs ist die relative Nähe zum Nordirak, mit dem die Türkei florierenden Handel betreibt. Von dort importiert die Türkei seit langem Erdöl und exportiert im Gegenzug Diesel, Getreide und Baumaterial, wie etwa Sandstein und Marmor.

„Stellen Sie sich vor, im Südosten der Türkei würde Frieden herrschen. Gewinne aus dem Energiesektor des kurdischen Autonomiegebiets im Irak würden Investitionen in der ganzen Region ermöglichen und den freien Handel fördern“, sagte Christian Keller, ehemaliger Vertreter des Internationale Währungsfonds (IWF) in der Türkei und jetzt Wirtschaftsexperte für die Londoner Barclays Investment Bank.

Ob Ministerpräsident Erdoğan die Friedensgespräche aus politischen oder wirtschaftlichem Kalkül im Hinblick auf die anstehenden Wahlen nächstes Jahr oder aber aus Sorge vor der Wirkung der erstarkenden Kurden im Nordirak und Syrien betreibt, spielt für den Großteil der Bevölkerung Südostanatoliens eine untergeordnete Rolle.

In Diyarbakır gab es in den vergangenen Monaten einen spürbaren Rückgang an Anschlägen und Beerdigungen. Die Menschen sind kriegsmüde. Der Politiker Demirbaş drückt aus, was viele Menschen in Südostanatolien empfinden: „40 000 Menschen haben ihr Leben verloren und niemand hat (den Krieg) gewonnen. Es ist Zeit für Frieden.“