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Gesellschaft

Herr Friedrich, sehe ich etwa aus wie ein Opfer?

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Immerhin verzichtet Innenminister Friedrich darauf, seinen Traum von der homogenen Gesellschaft weiter hinter dem unverfänglicheren Begriff der „Integration“ zu verstecken. Die Entscheidungen von Optionskindern deutet er jedoch grundfalsch. (Foto: dpa)

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Der amtierende Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kommt am 13.11.2013 zu einer weiteren Runde der Koalitionsverhandlungen in das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin - dpa
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GASTBEITRAG „Ich freue mich, dass Sie sich für meine Person und meine politische Arbeit interessieren. Nur wer ausreichend informiert ist, kann mitreden und vor allem gestaltend mitwirken.“ Diese klugen Sätze kann man auf der Homepage des deutschen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) lesen.

Ich stimme Herrn Friedrich zu 100 Prozent zu: Nur wer ausreichend informiert ist, kann auch mitreden. Dann frage ich mich allerdings, wie sich Herr Friedrich, der die Einwanderungswelle in den letzten 50 Jahren scheinbar verpasst hat, immer noch ernsthaft so zum Doppelpass äußern kann, wie er es nun mal tut.

In der FAZ (vom 06.11.2013) äußert er klar und deutlich, dass das Optionsmodell nichts anderes als ein schleichendes Assimilierungsmodell ist. „Wenn wir Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben“. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft.“

Bei dieser Aussage sträuben sich mir als Deutsch-Türkin die Haare. Alles, was die deutsche Politik jahrelang unter dem Stichwort „Integration“ zusammenzufassen versucht, entpuppt sich als schleichender Assimilierungsdruck. Gebe ich den deutschen Pass ab, dann gelte ich als Integrationsverweigerer. Nein, nach der obigen Begründung als Assimilisationsverweigerer.

Laut Herrn Friedrich, der von einer homogenen Gesellschaft träumt und diese aufrechterhalten will, möchte man den Deutsch-Türken langfristig seiner Wurzeln berauben. Anders sind seine warnenden Ausdrücke wie „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“ nicht zu deuten. Scheinbar lebt Herr Friedrich seit den 60er-Jahren in einer Parallelgesellschaft mit Deutschen ohne Migrationshintergrund und ist erst durch seinen Einzug in den Bundestag Ende der 90er in Berlin zum ersten Mal auf Türken gestoßen. Wenig verwunderlich ist deshalb sein Unwissen darüber, dass der türkische Gastarbeiter seit den 60ern einen wesentlichen Teil der Identität der deutschen Gesellschaft ausmacht.

Entlastung bei einer Identitätskrise

Durch das Optionsmodell werde den jungen Leuten die Chance geboten, sich zu einem Land zu bekennen, sodass Identitätskonflikte und -krisen erst gar nicht entstehen könnten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich den Staat darum gebeten hätte, für mich bezüglich meiner Identität eine Entscheidung zu treffen. Es herrscht immer noch die utopische Vorstellung in den Köpfen einiger Politiker über den verzweifelten und verwirrten Migranten auf der Suche nach seiner Identität. Man sei in Deutschland ja „Ausländer“ und in der Heimat bzw. der Heimat der Eltern „Deutscher“.

So etwas gibt es aber nicht. Wir sind junge, selbstbewusste Menschen, die gelernt haben, wie vorteilhaft es ist, „zwischen beiden Stühlen“ zu sitzen. Das ist mehr als Multitasking: Ich spreche und träume in zwei Sprachen, habe ein äußert sensibles Verständnis zu zwei komplett unterschiedlichen Kulturen und kann so eindeutig besser einen Dialog führen, pflegen und aufrechterhalten. Sehe ich etwa aus wie ein Opfer, das unter einer Identitätskrise leiden würde?!

Egal ob von Bouffier, Friedrich oder seinem Parteikollegen Mayer: Von allen kommt immer wieder das gleiche Argument, nämlich dass sich doch 98 Prozent der betroffenen Optionskinder für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden hätten. Daraus schließen die Herren nicht nur, dass sich das Optionsmodell bewährt hätte, sondern auch, dass sich junge Erwachsene aus Einwandererfamilien hier in Deutschland willkommen fühlen würden.

Taktische Entscheidung, keine Herzenssache

Nein, junge Menschen zwischen 18 und 23 Jahren entscheiden sich nicht deswegen für die deutsche Staatsangehörigkeit, weil sie hier alles toll finden und sich besonders zu Hause fühlen, sondern schlicht und einfach deswegen, weil sich die nächsten fünf bis zehn Jahre ihres Lebens in Deutschland abspielen werden und sie auf diesem Wege ihre Rechte absichern wollen. Sie treffen ihre Entscheidungen nach der abschätzbaren und nahen Zukunft. Weder das Identitätsbekenntnis zu Deutschland noch der Integrationswille spielen hier eine Rolle.

Stattdessen lesen wir immer mehr Berichte darüber, dass viele junge Menschen -insbesondere mit türkischem Migrationshintergrund – auswandern möchten.

Sie nutzen die deutsche Staatsbürgerschaft, um sich zumindest rechtliche Hindernisse während ihres akademischen Werdegangs aus dem Weg zu räumen. Sobald der Abschluss und die erste Berufserfahrung stehen, geht es dann in Richtung Ausland. Denn bei solchen Ministern wie Friedrich scheint alles attraktiver als Deutschland zu sein.

Für die Union und auch für die SPD wäre die Doppelpassherausforderung eigentlich eine ausgezeichnete Chance, den Wohlfühlfaktor der Migranten in Deutschland zu stärken. So hätten sie gegen den Auswanderungsdrang und das Misstrauen gegenüber dem Staat, insbesondere in der türkischen Community, kämpfen und einen weiteren Schritt Richtung Einwanderungs- und multikulturelle Gesellschaft machen können.

Stattdessen haben es Politiker wie Friedrich wieder einmal hinbekommen, unter den Einwanderern Assimilierungsängste auszulösen, indem sie die Bemühungen ihrer übrigen Parteikollegen und auch anderer Politiker ignorieren und das Wunschbild einer homogenen Gesellschaft malen.

Was bleibt dem Türken in Deutschland noch?

Gerade jetzt sollten alle Mitbürger mit Migrationshintergrund endlich erkennen, wie wichtig es ist, durch Partizipation in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Die Wahl liegt bei uns: entweder wir bleiben da und kämpfen, damit die nachfolgenden Generationen nicht unter Ministern wie Friedrich leiden müssen, oder wir konzentrieren uns ganz auf unseren Auswanderungsgedanken und kehren dem deutschen Staat und der Gesellschaft den Rücken zu.

Ich habe mich für die erste Option entschieden.